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Der Staat, den keiner wollte

Österreich 1910–1930

Der Staat, den keiner wollte
Es waren Probleme auf vielen Ebenen, die den Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg auseinanderbrechen ließen. Dazu gehörten die ungelösten Nationalitätenfragen ebenso wie wirtschaftliche Schwierigkeiten. Doch auch die junge Republik hatte keinen leichten Start, war sie doch ein Staat wider Willen, dessen maßgebliche Politiker die Vereinigung mit Deutschland propagierten.

Mit der Teilung der Habsburger-Monarchie in eine östliche und eine westliche Reichshälfte war 1867 die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie entstanden (siehe DAMALS 7-1997). Dieser Dualismus mit Wien und Budapest als Zentren führte zwar zum Ausgleich mit den Ungarn, verbaute dafür aber den Weg zu ähnlichen Lösungen vor allem mit den Tschechen und Südslawen, also den Slowenen, Kroaten und Serben. Als Folge dessen blockierten nationalpolitische Parteien über Jahre hinweg die Arbeit des Reichsrats der österreichischen Reichshälfte. So trat 1910/11 die Regierung des Grafen Bienerth-Schmerling wegen der massiven Obstruktionspolitik der Tschechen im Parlament zurück. Sie war damit eine der vielen kurzlebigen Regierungen der westlichen Reichshälfte der Habsburger-Monarchie, die am zentralen Problem der Zeit, der Nationalitätenfrage, gescheitert war.

So lebten im westlichen Teil der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn neben den politisch dominierenden Deutschen, die vor allem im Bereich des heutigen Österreich, aber auch als Minderheit in den anderen Kronländern wie Böhmen, Mähren, Galizien und der Bukowina siedelten, viele andere Nationen: Tschechen, Polen, Ukrainer, Rumänen, Slowenen und Italiener, um nur die wichtigsten zu nennen. Im ungarischen Reichsteil siedelten neben den Ungarn noch Rumänen, Slowaken, Kroaten, Serben und ebenfalls Deutsche.

Vor allem zwei der nationalen Probleme hatten im Lauf des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts dramatische Entwicklungen genommen: der Kampf der Tschechen um das böhmische Staatsrecht und die sogenannte südslawische Frage, die beide Reichshälften betraf, was die Sache nicht einfacher machte. Die Tschechen sahen zunehmend ihr Heil in einem eigenen Staat, doch war die südslawische Frage – wie sich her-ausstellen sollte – von noch größerer Brisanz. Franz Joseph selbst stand allen weiteren Zugeständnissen an eine der anderen Nationen außer den Deutschen und den Ungarn ablehnend gegenüber, doch sein vorgesehener Nachfolger Erzherzog Franz Ferdinand hatte eigene Pläne. Er wollte für die Südslawen eine so-genannte austroslawische Lösung schaffen, das selbständige Königreich Serbien erobern und die Slowenen, Serben und Kroaten unter der Führung der katholischen Kroaten innerhalb der Monarchie in einem südslawischen Königreich vereinen (Trialismus mit dem zusätzlichen Zentrum Zagreb).

Das war der Hintergrund für die tödlichen Schüsse, die am 28. Juni 1914 in Sarajevo fielen. Der in Bosnien-Herzegowina lebende Serbe Gavrilo Princip erschoß Franz Ferdinand und seine morganatische (nicht standesgemäße) Ehefrau Sophie. Damit löste er eine Katastrophe ungeheuerlichen Ausmaßes aus, den Ersten Weltkrieg, der mit seinen Folgen Mittel- und Osteuropa grundlegend umgestaltete. Doch die nationale Frage war nur eine der vielen Schwierigkeiten, mit denen die Monarchie konfrontiert war. Soziale Spannungen entluden sich immer wieder in Unruhen, vor allem die Arbeiter protestierten gegen die Teuerung, die ihnen die Lebensgrundlage nahm. Die Lage der arbeitenden Klasse, aber auch die der Bauern war allgemein nicht besonders gut. Auch die Kleingewerbetreibenden spürten die Konkurrenz der Fabriken und lebten in ständiger Angst vor der Proletarisierung, was sie für radikale Ideologien empfänglich machte.

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Das politische Klima in der deutschsprachigen Bevölkerung war stark von einer unversöhnlichen Abneigung der Parteien gegeneinander geprägt, die Christlichsozialen und die Deutschnationalen waren sich vorwiegend in einem einig: in ihrem Haß gegen die Juden und die Sozialisten. Das politische Klima mit seinem offenen Antisemitismus stand in einem krassen Gegensatz zu einer kulturellen Dominanz jüdischer Künstler und Intellektueller in der Kultur des Fin de siècle in Wien und anderen Städten der Monarchie. Viele Schriftsteller (Franz Kafka, Franz Werfel, Stefan Zweig, Rainer Maria Rilke usw.), Musiker (Gustav Mahler, Arnold Schönberg usw.) und Wissenschaftler (Sigmund Freud) stammten aus jüdischen Familien.

Wien am Vorabend des Ersten Weltkriegs war ein lebendiges geistiges Zentrum, in dem auch viele der späteren Handlungsträger der Geschichte Impulse erhielten. Nur einige kleine Beispiele: Am 22. März 1912 hielt der bekannte Schriftsteller Karl May in den Stephanie-Sälen in Wien einen Vortrag zum Thema „Empor ins Reich der Edelmenschen“ – unter den 2000 Zuhörern war auch ein gewisser Adolf Hitler, und ein Jahr später verbrachte Josef Stalin einige Zeit in Wien, Trotzky lebte ebenfalls von 1907 bis 1914 viele Jahre in der Donau-Metropole.

1914 wurde die Habsburger-Monarchie in einen Strudel der Ereignisse hineingerissen, der nach einem Ultimatum an Serbien und dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu diesem Land einen Monat nach den Schüssen von Sarajevo am 28. Juli 1914 zur Kriegserklärung an Serbien führte. Der vermeintlich kurze Feldzug, der unter großer patriotischer Begeisterung begann („Serbien muß sterbien“), entwickelte sich zum Schwanengesang der alten Ordnung Europas. Eine Reihe von Kriegserklärungen aufgrund der Bündnissitua-tion setzte die Welt in wenigen Wochen in Flammen.

Am Ende dieses Ersten Weltkriegs standen auch das Ende der Monarchie und das Ende des Vielvölkerstaats. Soziale Revolten und Hungerkrisen, nationale Aufstände und bolschewistische Erhebungen hatten die letzten Jahre diese Krieges geprägt, in dem es zu einer Unterdrückung aller durch ein unbarmherziges Militärregime gekommen war. 1916 hatte der Sohn des sozialdemokratischen Parteigründers Victor Adler, der junge, radikal denkende Friedrich Adler, den Ministerpräsidenten Graf Karl Stürgkh aus Protest gegen die herrschenden Verhältnisse erschossen und in einer flammenden Anklagerede vor Gericht die Verbrechen des Staates angeprangert.

Die Sozialdemokraten hatten schon lange eine Sympathie für die Republik, jetzt am Ende des Krieges forderten sie zwei Tage vor dem Waffenstillstand vom 3. November 1918 die Errichtung eines neuen demokratisch-republikanischen Staates. Wenige Tage später war es soweit. Nach dem letzten gescheiterten Versuch des jungen Kaisers Karl, die Monarchie zu retten, wurde im Parlament in Wien am 12. November 1918 die Republik ausgerufen. Doch die Geburtswehen der entstehenden Republik waren heftig.

Gleichzeitig mit der Ausrufung der Republik kam es vor dem Parlament zu einer Schießerei mit Roten Garden, die eine rot-weiß-rote Fahne vom Mast geholt hatten, das Weiße herausrissen, um die rote Fahne – das Symbol der von ihnen angestrebten Räterepublik – zu hissen. Zwei Tote und 40 Verletzte verzeichnete man an diesem Tag der Republikgründung. Die Auseinandersetzungen gipfelten in einem gescheiterten kommunistischen Putschversuch am 15. Juni 1919…

Univ.-Prof. Dr. Karl Vocelka

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