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Der Weg ins Wirtschaftswunder

Die Nachkriegsjahre

Der Weg ins Wirtschaftswunder
Das rasante Wachstum der 50er Jahre schien für die deutsche Nachkriegsbevölkerung wie aus dem Nichts zu kommen. Ein Aufstieg, der allerdings ohne die vorhergegangene existentielle Ausnahmesituation nicht möglich gewesen wäre.

Als das Deutsche Reich 1945 nach sechs Kriegsjahren endlich besiegt und besetzt war, standen die Alliierten und die von ihnen eingesetzten deutschen Politiker vor einem schier unüberwindbar erscheinenden Berg von Problemen. Deutschland war nicht nur zerstört und in voneinander abgeschottete Besatzungszonen aufgeteilt, sondern auch moralisch zerrüttet und in seinen tradierten gesellschaftlichen Strukturen aufgelöst. Viele Städte glichen bei Kriegsende 1945 einer Ruinenlandschaft. Zerstörung, Entwurzelung und erzwungene Migration betrafen jedoch viele Völker und Staaten, die der von Hitler entfesselte Krieg überzogen hatte. Die Übergänge vom Krieg in die Nachkriegsjahre waren fließend.

Die massenhafte Flucht der ostdeutschen Bevölkerung vor der Roten Armee in den letzten Kriegsmonaten setzte sich fort in millionenfacher Vertreibung und Zwangsumsiedlung nach Kriegsende. Hitlers Pendel der gewaltsamen Neuordnung Europas schlug nun massiv gegen die Deutschen insgesamt, insbesondere gegen die Ostdeutschen zurück. Eine riesenhafte Bevölkerungsbewegung nach Westen war die Folge. Überstiegen solche Bevölkerungsverschiebungen schon in Zeiten normaler politischer Verhältnisse die Vorstellungskraft, so mussten angesichts der Zerstörung Deutschlands die Zukunftsperspektiven vollends düster aussehen.

Eine grobe quantitative Bilanz mag verdeut-lichen, mit welchen Problemen Deutschland in der Nachkriegszeit konfrontiert war. Etwa 5,3 Millionen tote und 1,5 Millionen als vermisst registrierte Soldaten waren auf deutscher Seite zu beklagen. Hinzu kamen rund 600000 zivile Opfer des Bombenkriegs und mehr als die doppelte Zahl von Opfern während der Flucht und der Vertreibungsaktionen. Auf dem um rund ein Viertel verkleinerten Territorium der vier Besatzungszonen stieg trotz der hohen Kriegsverluste die Bevölkerungszahl durch Flüchtlinge und Vertriebene drastisch an.

Rund 17 Millionen Deutsche hatten im Jahr des Kriegsausbruchs 1939 in den ost- und südosteuropäischen Staaten und den späteren Vertreibungsgebieten gelebt, davon etwa 9,5 Millionen jenseits von Oder und Neiße, 3,5 Millionen in der Tschechoslowakei. Bereits am 1. April 1947 wurden in den vier Besatzungszonen Deutschlands 10,096 Millionen Vertriebene registriert, davon 3,9 Millionen in der sowjetischen, 3,2 Millionen in der britischen, 2,9 Millionen in der amerikanischen und nur 50000 in der französischen Zo‧ne, weil die dortige Besatzungsmacht zunächst die Aufnahme verweigerte. Zu den kaum genau zu quantifizierenden Zerstörungen von Städten, Produktionsanlagen, Straßen- und Eisenbahnverbindungen kamen die von den Alliierten 1945 auf der Potsdamer Konferenz beschlossenen umfangreichen Produktionsbeschränkungen und Reparationen.

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Niemand konnte sich unmittelbar nach Kriegsende angesichts solcher Daten vorstellen, dass es zumindest im Westen in kurzer Zeit einen erstaunlich schnellen „Aufstieg aus dem Nichts“ (Zentner) geben würde. Die zeitgenössische Formel von der „Stunde Null“ markierte zwar bei manchen Zeitgenossen die vage Hoffnung auf einen totalen politischen Neuanfang, sie gab aber bei der großen Masse eher das Empfinden vom völligen sozialen Desaster treffend wieder. Die Bevölkerung richtete daher ihr gesamtes Interesse auf die Organisation des physischen Überlebens. Dass es keine Stunde Null gab, sondern vieles erhalten geblieben war und sich bald beträchtliche Kontinuitäten zeigten, steht auf einem anderen Blatt.

Die Besatzungsmächte hatten sich zwar darauf geeinigt, Deutschland als wirtschaftliche Einheit zu behandeln; daraus wurde jedoch nicht viel. Insbesondere die Vereinbarung, dass jede Besatzungsmacht die von Deutschland zu fordernden Reparationen aus ihrer Zone zu befriedigen habe, ließ die Entwicklung schnell auseinanderdriften. Während die durch den Krieg völlig ausgeblutete Sowjetunion ihre Ansprüche durch umfangreiche Demontagen und später durch Übernahme deutscher Betriebe als Sowjetische Aktiengesellschaften (SAG) realisierte, hielten sich die Westmächte hier eher zurück. Denn ohne eine Wiedergesundung der deutschen Wirtschaft war auch ein europäischer Aufbau kaum möglich.

Dem diente der 1947 vom ameri‧kanischen Außenminister verkündete Marshall-Plan. Er war ein für die europäischen Länder (auch für Osteuropa) gedachtes Hilfsangebot, das mit einem umfangreichen Kreditprogramm den Wiederaufbau in Europa und in der Weltwirtschaft ankurbeln sollte. Da Stalin darin ein großangelegtes imperialistisches Manöver zur ökonomischen Versklavung Europas sah und seinen Satelliten (also auch der sowjetischen Zone) jede Beteili‧gung verbot, führte der Marshall-Plan, noch bevor sich seine ökonomischen Wirkungen überhaupt entfalten konnten, zur Vertiefung der Spaltung Europas und Deutschlands sowie zur Verschärfung des beginnenden Kalten Krieges…

Aktuelle Neuerscheinungen zur Geschichte der Bundesrepublik Deutschland:

Heribert Schwan/Rolf Steininger, Die Bonner Republik 1949-1998. Berlin 2009. Hans-Peter Schwarz (Koord.), Die Bundesrepublik. Eine Bilanz nach 60 Jahren. München 2008. Die Zeit (Hrsg.), 60 Jahre Bundesrepublik im Spiegel der ZEIT. Hamburg 2009.

Prof. Dr. Christoph Kleßmann

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