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Des Königs letzte Kleider

Untersuchung von Gewebefragmenten

Des Königs letzte Kleider
Die kostbaren Textilien, die sich in den Herrschergräbern im Speyerer Dom befanden, werden derzeit konserviert und wissenschaftlich analysiert. Im Mittelpunkt steht die Kleidung König Philipps von Schwaben.

Am 17. August 1900 war es endlich so weit: Die Grabungskommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften stand vor der ersten geöffneten Bestattung im Königs‧chor des Speyerer Doms. Die imposante Kirchenanlage diente im Mittelalter vielen Herrscherpersönlichkeiten als Grablege. Vor allem das Geschlecht der Salier war und ist untrennbar mit der Bischofsstadt am Rhein verbunden. Neben Kaiser Konrad II., dem Begründer des Doms, und seiner Gemahlin Gisela wurden auch die ihm nachfolgenden salischen Kaiser Heinrich III., Heinrich IV. und seine Gemahlin Bertha sowie Heinrich V. im Dom beigesetzt. Beatrix von Burgund und ihre Tochter Agnes, die Könige Philipp von Schwaben, Rudolf von Habsburg, Adolf von Nassau und Albrecht I. von Österreich fanden ebenfalls hier ihre letzte Ruhestätte.

Die Gräber waren im Dom einst durch ein Monument gekennzeichnet, das die genaue Anordnung der Bestattungen und die Namen der dort beigesetzten Personen nannte. Doch während der Verwüstung Speyers im Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688 –1697) wurde dieses Monument 1689 zerstört, und die genaue Lage der Gräber im Dom geriet in Vergessenheit. Eine durch Kaiser Karl VI. initi‧ierte Suchgrabung im Jahr 1739 führte zwar zur Lokalisierung der Bestattungen im Königschor. In der Folgezeit beklagte man aber immer wieder den schlechten Zustand der Grablege. Auf Anregung Kaiser Franz Josephs von Österreich erwirkte Prinzregent Luitpold von Bayern schließlich im Jahr 1900 beim Speyerer Domkapitel die Erlaubnis zur umfassenden Untersu-chung der Herrschergräber.

Als nun die Kommission in den geöffneten Bleisarg schaute, bot sich ihr ein bewegender Anblick: „Letzterer [Bleisarg] barg in der ursprünglichen Lage ihrer Bestattung die Leiche einer sehr vornehmen weltlichen Person. Dieselbe war in ihrer ganzen Länge mit einem Mantel aus Seide, besetzt mit ornamentierten Goldborten, überdeckt und – soweit sich bis jetzt feststellen ließ – bekleidet mit Wams, Hosen, Schuhen, an letzteren Eisensporen.“ So beschreibt der zweite offizielle Grabungsbericht vom 18. August 1900 den in feinste Gewebe gehüllten Leichnam, der später als König Philipp von Schwaben identifiziert werden sollte.

Die Bestattung des 1208 in Bamberg ermordeten staufi‧schen Königs war das erste von insgesamt 18 Gräbern, die vom 16. August bis zum 2. September 1900 geöffnet und untersucht wurden. Aus diesem und den anderen Gräbern wurden königliche und kaiserliche Würdenzeichen sowie zahlreiche weitere Reste kostbarer Grabtextilien geborgen, etwa Gewebefragmente aus Wolle, Seide und Leinen, Überreste lederner Schuhe und edle, mit Gold verzierte Borten.

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Philipps Beisetzung in einem Bleisarg hat wahrscheinlich dazu beigetragen, dass sich seine Kleidung relativ gut erhalten hat. Neben dem mit gestickten Medaillons verzierten Mantel konnten unter anderem Fragmente einer wohl aus dem islamischen Raum stammenden Tunika geborgen werden. Auch ein 118 Zentimeter langer gewebter Gürtel mit Gold- und Silberbroschierung, ein Paar goldbestickte Strümpfe mit Goldbändern, Zierelemente der Schuhe aus Gold- und Silberdraht sowie das gestickte Medaillon eines Handschuhs gehörten einst zur Kleidung des Herrschers.

Nur wenige mittelalterliche Herrschermäntel haben die Zeit überdauert. Der Mantel des staufischen Königs Philipp von Schwaben ist allerdings im Vergleich zu den prächtigen Mänteln in Bamberg, Braunschweig, Metz und Wien eher schlicht gehalten. Während das Herkunftsgebiet des Mantelstoffs aus einem ungemusterten Seidengewebe schwer zu lokalisieren ist, stehen die beiden in Brusthöhe angebrachten Medaillons mit den Darstellungen des Christus Pantokrator (Christus als Weltenherrscher) und der Maria Orans (der betenden Maria) deutlich in byzantinischer Tradition.

Die Strümpfe des Königs, sogenannte Caligae, wurden aus mehreren, unterschiedlich gemusterten Geweben zusammengesetzt. In versetzten Reihen angeordnete Medaillons mit Darstellungen von Greifen und Panthern bzw. Greifen und Simurghen (Fabelwesen) schmücken die verschiedenen Stoffe, feinste Goldstickerei betont einzelne Musterelemente auf den Schäften. Ein Paar Goldbänder unterschiedlicher Herkunft zierte wahrscheinlich den oberen Rand der Strümpfe. Die hier vorgefundenen Muster haben eine lange Tradition, die sich zum Teil bis in das 9. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Die ähnlich gemusterten Caligae des in Bamberg bestatteten Papstes Clemens II. haben zur Vermutung geführt, König Philipp von Schwaben habe die Strümpfe als Altstücke aus dem Textilienschatz des Bamberger Doms erhalten.

Die Textilfragmente wurden zusammen mit den anderen Objekten aus den Bestattungen unmittelbar nach Ende der Grabung nach München transportiert, wo sie in einem neueingerichteten Laboratorium des Bayerischen Nationalmuseums untersucht wurden. Viele der empfindlichen Gewebefragmente wurden seinerzeit auf stützende Unterlagen montiert, die der ursprünglichen Form des jeweiligen Kleidungsstückes nachemp- funden wurden. Von 1906 bis zum Zweiten Weltkrieg wurden die Funde in der Katharinenkapelle in Speyer präsentiert, dann zu ihrem Schutz teilweise in die Krypta des Doms gebracht. In den 1950er und 1960er Jahren wurden in München weitere Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen vorgenommen.

Heute werden die Grabkronen der salischen Kaiser als Teil des Domschatzes im Historischen Museum der Pfalz ausgestellt, während die Beigaben aus organischen Materialien im Depot des Museums konservatorisch betreut werden. Die jahrhundertelange Lagerung der Textilien im feuchten Milieu der Gräber und die wechselhafte Aufbewahrungssituation seit der Bergung sind an den Geweben jedoch nicht spurlos vorübergegangen.

Eine Förderung im Rahmen des von der Kulturstiftung des Bundes initiierten KUR-Programms (Konservierung und Restaurierung von mobilem Kulturgut) gab dem Historischen Museum der Pfalz die Möglichkeit, die organischen Materialien einer erneuten Analyse zu unterziehen und ihren aktuellen Zustand zu dokumentieren. Die Untersuchungen begannen 2009 mit der Aufnahme der verschiedenen Schadensbilder an den Fragmenten. Textiltechno‧logische Fragestellungen und die kunsthistorische Einordnung des Gesamtkomplexes stehen seither im Zentrum der Forschungen. Dabei bietet die Fülle der unterschiedlichen Textilien die Möglichkeit, Fragen nach der Herkunft mittelalterlicher Prachttextilien, der Handelsbeziehungen und der Mode des 11. bis 13. Jahrhunderts zu beantworten.

Naturwissenschaftliche Analysen dienen der Untersuchung des Materials von Textilfasern und Metallfäden, der ursprünglichen Farbigkeit und der sekundären Auflagerungen wie zum Beispiel Verschmutzungen oder Einbalsamierungsstoffen. Erste Ergebnisse geben Aufschluss darüber, dass die heute gelbbraun erscheinenden Textilfragmente ursprünglich mit Schildlaus-farbstoffen, Indigo, Krapp, Färberwaid und Flechtenfarbstoffen veredelt wurden und in einem weitaus umfangreicheren Farbspektrum leuchte-ten, als dies heute der Fall ist.

Zur umfassenden Beurteilung der Grabbeigaben muss auch die Restaurierungsge-schichte der vergangenen 100 Jahre berücksichtigt werden. Wertvolle Erkenntnisse hierzu konnten den seinerzeit angefertigten, heute leider nur noch zum Teil erhaltenen Grabungsunterlagen entnommen werden. Von der damals geplanten Grabungspublikation sind nur Textfragmente erhalten. Dagegen gibt es mehrere hundert Glasplattennegative, die den Verlauf der Grabung und den Zustand der Funde nach der Bergung im Bild festhalten.

Als bereits abgeschlossener Teil des KUR-Projekts wurden diese sensiblen Negative ge-reinigt und digitalisiert. Sie erwiesen sich als ergiebige Informationsquelle für den Zustand der Textilien in den Jahren nach 1900 und begeistern durch ihre detailreiche fotografische Qualität. In der Publikation zur Sonderausstellung „Des Kaisers letzte Kleider“, die begleitend zur großen Salier-Ausstellung in Speyer präsentiert wird, ist ein Teil dieser Aufnahmen zu sehen.

Melanie Herget

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