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Die Entstehung eines Volkes

Anfänge der Vandalen

Die Entstehung eines Volkes
Es gibt keinen „Tag X“, an dem die Vandalen womöglich in Skandinavien aufgebrochen wären, um Jahrhunderte später in Nordafrika zu landen. Ein Volk der Vandalen bildete sich in der Zeit der Wanderung ständig neu, und dazu trugen nicht zuletzt die Kontakte mit der römischen Welt bei.

Auch heute noch haben die Vandalen einen schlechten Ruf. Wenn öffentliche Parkanlagen verwüstet oder frisch getünchte Häuserwände obszön beschmiert werden, sind es Vandalen gewesen. Das bekannte Schimpfwort „Vandalismus“ für sinnlose Zerstörungswut prägte Abbé Henri-Baptiste Grégoire im Frankreich des späten 18. Jahrhunderts, also in einem Land, von dem man meinte, es sei 14 Jahrhunderte zuvor von den Vandalen verwüstet worden. In der Folge trat Vandalismus an die Stelle des bis dahin negativ besetzten Gotischen — und die Gotik konnte einer positiv verstandenen Kulturepoche in Kunst, Architektur und Schrift den Namen geben.

So entstand fast zur gleichen Zeit, in der Conrad Mannert die erste Geschichte der Vandalen in deutscher Sprache veröffentlichte (1785), ein Vandalen-Bild, das etwa so viel Objektivität besitzt, wie wenn man „das Papsttum des 16. Jahrhunderts allein nach Luther darstellte“ (Christian Courtois). Dort allerdings, wo mittelalterliche Traditionen fortlebten, schätzte man den Vandalennamen positiver ein. Von Gustav I. Wasa (1523–1560) bis ins Jahr 1972 symbolisierte die dritte Krone im schwedischen Staatswappen das „Reich der Vandalen“ und meinte damit die Herrschaft über die slawisch-baltischen Ostseeländer: Von der Karolingerzeit bis ins 17. Jahrhundert wurde nämlich der Name der Vandalen mit dem der Wenden (= Slawen, Balten) gleichgesetzt.

Diese „Etymologie“ operierte mit dem scheinbaren Gleichklang der Namen, wie dies die herkömmliche Ethnographie seit jeher getan hat: So wurden etwa die Goten zu Geten, die Franken, wenn auch über Umwege, zu Trojanern und die Dänen zu Dakern. Verstand man aber die Vandalen als Germanen und setzte man Letztere, was seit dem Hochmittelalter üblich war, mit den Deutschen gleich, konnte man sie und ihre Siedlungsgebiete für das Deutschtum reklamieren. Etwa mit dem Hinweis, die Sudeten seien schon in der Antike als „Vandalische Berge“ bezeichnet worden, und Schlesien verdanke seinen Namen den silingischen Vandalen. Oder man erfand einst in Westungarn siedelnde Vandalen, um die deutsche Identität des werdenden Burgenlands zu beweisen. An diese krause Argumentation der Zeit um 1920 erinnern noch heute Wappen und Farben dieses österreichischen Bundeslands, die einem vorgeblich vandalischen Drachenbanner nachempfunden wurden.

Wer aber waren die Vandalen „wirklich“? Sicher weder frühe Deutsche noch Slawen, noch halbstarke Rabauken. Vielmehr bildete ihr Name „Vandili(i)“, als er im 1. Jahrhundert der antiken Welt bekannt wurde, den Überbegriff für einen aus mehreren Germanenvölkern bestehenden Verband. Und woher kamen sie, wo lag ihre Urheimat? In Skandinavien, wo denn sonst, möchte man auf diese Frage unwillkürlich antworten, tragen doch das dem dänischen Himmerland (Kimbernland) benachbarte Vendsyssel und die Region Vendel im schwedischen Uppland bis heute vermeintlich ihren Namen. Doch vergangene Wirklichkeiten haben es an sich, dass sie häufig unwirklich werden, wenn sich die histo‧rische Kritik mit ihnen beschäftigt.

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Da wäre zunächst das Zeugnis von Ortsnamen: Zwischen den datierbaren Erstnennungen und angenommenen Ursprüngen in vorschriftlicher Zeit kann eine so gewaltige Lücke klaffen, dass jede historische Aussage unmöglich ist, weil keine verlässliche Chronologie zur Verfügung steht. Das Gleiche gilt für die „Urheimaten“: Es handelt sich dabei um Erzählungen, die ihren Inhalt wie ihre Form erst sehr viel später erhalten haben, wenn sich ein Volk an seine Wurzeln zu erinnern versuchte. Die Annahme einer skandinavischen Urheimat etwa bildete in der antiken und frühmittelalterlichen Ethnographie, für die der europäische Norden das Auswanderungsland schlechthin war, ein solches Versatzstück. Naturkatastrophen wie Springfluten oder klimatisch bedingte Ernteausfälle und darauf folgende Hungersnöte hätten zum Verlassen der Heimat gezwungen, die zudem ständig von Übervölkerung bedroht gewesen sei…

Univ.-Prof. Dr. Herwig Wolfram

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