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Die Freigebigkeit lohnt sich wie die Saat

Walther von der Vogelweide und die Politik

Die Freigebigkeit lohnt sich wie die Saat
Der Minnesänger Walther von der Vogelweide war zugleich der erste Dichter, von dem wir wissen, daß er auch politische Lyrik in deutscher Sprache verfaßt hat. Fraglich bleibt, ob er dies aus innerer Überzeugung oder materieller Notwendigkeit getan hat.

„Ich saß auf einem Steine, legte das eine Bein über das andere setzte meinen Ellenbogen darauf und schmiegte mein Kinn und eine Wange in die Hand. Dabei dachte ich mit Sorge darüber nach, wie man auf der Welt leben soll… Untreue lauert im Hinterhalt Gewalt herrscht auf der Straße Friede und Recht sind beide verletzt…“

So lautet die etwas ungelenke neuhochdeutsche Übersetzung einiger Zeilen aus dem wohl bekanntesten Lied Walthers von der Vogelweide. Schlimme Zeiten waren es, in denen der Dichter und Sänger die beschriebene klassische Denker-Pose einnahm und solches berichten mußte. Was war geschehen? Warum war das Leben auf der Straße nicht mehr sicher, und warum waren Recht und Friede gebrochen?

Begonnen hatte die schwere Zeit 1197, als das Reich nach dem unerwarteten Tod Kaiser Heinrichs VI. plötzlich ohne Herrscher war. Zwar war Friedrich (II.) – der Sohn Heinrichs – schon 1196 auf Betreiben seines Vaters von den Fürsten des Reiches zum König gewählt worden, doch war das Kind beim Tod seines Vaters gerade drei Jahre alt und damit nicht selbständig regierungsfähig. Die nach dem Ableben des mit harter Hand regierenden Kaisers ausbrechenden Unruhen im Reich machten aber die Nachfolge eines erwachsenen und selber handlungsfähigen Königs erforderlich. Zumindest vertraten diese Ansicht die stauferfreundlichen unter den Fürsten und wählten daher im März 1198 den Bruder des verstorbenen Kaisers Philipp Schwaben zum neuen deutschen König. Der wollte eigentlich zunächst wohl nur die Regentschaft für seinen Neffen Friedrich übernehmen, mußte sich dann aber dem Willen der Fürsten beugen. Gekrönt wurde er am 8. September in Mainz.

Aber nicht alle Fürsten standen hinter Philipp. Vor allem in welfischen und niederrheinischen Kreisen erhob sich eine Opposition gegen den Staufer, die – hauptsächlich geführt durch Adolf, den Erzbischof von Köln – lieber einen eigenen Kandidaten auf den Thron setzten wollte. Während sich zwei deutsche Fürsten, mit denen man in dieser Sache verhandelt hatte, zur Kandidatur nicht entschließen konnten – Herzog Bernhard von Sachsen hatte beispielsweise dankend abgelehnt, nachdem er erfahren hatte, was ihn die Königswahl kosten würde – brachte Richard Löwenherz, damals König von England, seinen welfischen Lieblingsneffen Otto von Aquitanien und Poitou ins Spiel, einen Sohn Heinrichs des Löwen. Richard war wohl immer noch, unter anderem wegen seiner langen Gefangenschaft in Deutschland unter Heinrich VI., auf die Staufer nicht gut zu sprechen, und die welfische Partei, die schon seit langer Zeit der meist unterlegene Kontrahent der Staufer war, sah nun die Gelegenheit gekommen, endlich auch einmal den Sieg davonzutragen und einen der ihren zum König und Kaiser zu machen. So wurde Otto am 9. Juni 1198 in Köln zum König gewählt und am 12. Juli – nachdem er Aachen eingenommen hatte – dort vom Kölner Erzbischof gekrönt. Mit diesen Ereignissen begann der mehr als zehn Jahre andauernde Streit um den deutschen Königsthron, in dessen Verlauf sich Walther von der Vogelweide in seinen Liedern immer wieder zu Wort gemeldet hat.

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Der Sänger kritisierte aber nicht nur die rechtlosen Zustände im Reich. Er ging noch weiter: Walther prangerte den Streit als solchen an und nahm eindeutig Partei. So heißt es in einer weiteren Strophe des oben zitierten Liedes, daß selbst die Tiere in der Natur unter sich einen Herrscher ausmachten und sich selbst Recht und Ordnung setzten. Und so solle es auch endlich wieder das deutsche Volk halten und wieder zur Ordnung finden. Bekehren soll es sich, so ruft der Dichter aus, und weiter:

„die Fürsten sind zu stolz, die kleinen Könige bedrängen Dich, Philipp setz den Waisen auf Und befehle ihnen hinter dich zu treten.“

Der „Waise“ ist ein sagenumwobener Edelstein, der die deutsche Königskrone geschmückt haben soll. Auch wenn es heute in der Forschung umstritten ist, ob damit wirklich die in Wien aufbewahrte achteckige Reichskrone gemeint, davon ausgegangen werden, daß eben dieser „Waise“ Walther und seinen Zuhörern als Synonym für die Krone – oder besser die Königsherrschaft – galt. Ebenso ist nicht ganz geklärt, wer die „kleinen Könige“ sind, die Walther beschreibt. Gemeint sein könnte damit der König von England, der gegen den Staufer in Opposition stand. Wie dem auch gewesen sein mag, Philipp ist es also, auf dessen Seite sich Walther stellte. So war er auch anläßlich des Weihnachstfestes 1199 in Magdeburg voll des Lobes für den jungen König, dessen kaiserliche Abstammung er ausdrücklich betonte und feststellte, daß dieser in geziemender Weise, sehr gemessen und ohne jede Hast auftrat sowie Zepter und Krone auftrat. Eben diese Krone, so hatte Walther schon 1198 in einer anderen Strophe festgestellt, war wie für Philipp gemacht. Sie paßte ihm, als ob der Schmied sie eigens für ihn angefertigt hätte, obwohl sie doch älter war als der König, was eigentlich einem Wunder gleichkäme. Kein gut gesinnter Mensch, so dichtete Walther weiter, sollte die beiden voneinander trennen. Dies alles und noch einiges mehr, das wir hier nicht weiter betrachten können, trug der Sänger seinem Publikum vor, um die Legitimität König Philipps zu unterstreichen.

Warum aber sang der Dichter für den König? Ein umherziehender Propagandist im Auftrag der Staufer war er wahrscheinlich nicht. Das Publikum, vor dem er mit diesen Liedern auftrat, war bereits auf der Seite Philipps und mußte nicht erst noch für diesen eingenommen, allenfalls moralisch bestärkt werden. Vielleicht waren Unentschlossene noch zu beeinflussen, aber die dürften in der direkten Umgebung Philipps und seiner Parteigänger eher selten zugegen gewesen sein. Welche Motivation kommt sonst in Frage? War es reiner Idealismus, seine Begeisterung für die „staufische Reichsidee“, die ihm besonders die ältere Forschung immer wieder unterstellte? Oder hatte es andere Gründe? Ein Blick auf die Lebensumstände eines Sängers wie Walther kann einige Hinweise zur Beantwortung dieser Fragen geben. Leider gilt für die meisten von Walthers Sängerkollegen, daß über ihr persönliches Leben nichts sicher bekannt ist, zumal sie so gut wie nie in den historischen Quellen konkret faßbar sind. Bei Walther ist es kaum anders. Nur einmal kann er in einer Quelle sicher nachgewiesen werden. In den Rechnungen des Passauer Bischofs Wolfger von Erla findet sich mit Datum vom 12. November 1203 eine Notiz, nach der ein „Walther cantor de Vogelweide“ fünf Goldmünzen für den Kauf eines Pelzes erhalten habe.

Alle anderen Informationen über sein Leben, müssen seinem literarischen Schaffen entnommen werden, in dem er manchmal konkret faßbare Persönlichkeiten nennt oder auf in den Quellen belegte Ereignisse anspielt. Dabei gilt die Prämisse, daß Walther an einigen Stellen eben auch seine persönliche Situation beschrieben hat. So läßt sich rekonstruieren, daß Walther seine Sängerlaufbahn wohl um 1190 begonnen hat, woraus zurückgeschlossen wurde, daß er wohl nach 1170 geboren worden sein muß. 1198 war dann für ihn ein schweres Jahr, nicht nur weil das Reich durch den Thronstreit in schwere Unordnung geraten war, sondern auch, weil Walther durch den Tod Herzog Friedrichs I. von Österreich seinen Gönner verloren hatte, was für ihn nach eigenem Bekunden ein schwerer Schlag gewesen ist und weshalb er „den Kopf bis auf die Knie“ hatte hängen lassen. Er war nun also auf der Suche nach einem neuen Gönner, nach jemandem, der es sich nicht nur leisten konnte an seinem Hof einen Sänger zu beschäftigen, sondern der obendrein auch noch Gefallen an Walthers Liedern fand…

Ralf Molkenthin

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