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Die Stadt am Glücksberg

Ausgrabungen in Karakorum

Die Stadt am Glücksberg
1220 entschied Tschingis Khan, wo die künftige Hauptstadt des Mongolenreiches liegen sollte. Seine Ortswahl symbolisierte die Überzeugung, vom Himmel zum Weltherrscher berufen zu sein.

Im 15. Jahr seiner Herrschaft, im Jahr des Drachen, bestimmte Tschingis Khan im Herzen der Mongolei, im Orchon-Tal, den Ort, an dem die künftige Hauptstadt seines Reiches stehen sollte: Karakorum. Karakorum bedeutet „schwarzer Fels“ und ist der alttürkisch-uigurische Name für das Changgai-Gebirge, aber auch für die Changgai-Orchon-Region und schließlich der Name zweier Städte in diesem Gebiet. Zwei Quellen bezeugen das Gründungsdatum 1220, die „Geschichte der Yuan“ und eine 1346 gestiftete chinesisch-mongolische Inschrift von Karakorum. Die Entscheidung, eine Stadt im Orchon-Tal zu gründen, war nicht nur strategisch, sondern auch ideologisch begründet. Die Inschrift von 1346 nennt Karakorum „ein[en] Platz … geeignet zur Gründung eines Staates“ und spricht damit vor allem die heilige Tradition des Orchon-Tals sowie den Aspekt der Herrschafts-legitimation an. Beide Aspekte haben vom Anfang bis zum Ende auch die Geschichte der Stadt Karakorum in dramatischer Weise bestimmt.

Die meisten reiternomadischen Herrschafts- und Reichsbildungen Zentralasiens hatten ihren Ursprung im Tal des Orchon. Es war das Herzland und Zentrum vieler spätnomadischer Reitervölker wie Xiongnu [asiatische Hunnen], Kök-Türk, Uiguren, Mongolen. Es ist das Ötükän-Gebiet, das heilige, verheißene Land der alttürkischen Königsideologie: Hier hatten der Überlieferung zufolge schon die Xiongnu sowie die Uiguren ihre Hauptstadt und die Kök-Türk ihr Kult- und Herrschaftszentrum.

Mit der Gründung einer Hauptstadt im Orchon-Tal vollzog Tschingis Khan sehr bewußt einen Akt der Herrschaftslegitimation. Er emanzipierte sich fernab seines Stammlandes am Onon von der engeren Welt seiner mongolischen Stammestradi?tion und stellte sich und die mongolische Reichsbildung in die größere und ältere Tradition derer, die „ewig leben und die Stämme beherrschen, wenn sie im Ötükän yis [also im Waldgebirge des Changgai] bleiben“.

Der Ötükän-Wald, der heilige Hain mit dem Qut dagh („Glücksberg“), bildete im Verständnis der alttürkischen und uigurischen Stämme die Mitte der Welt. Und so dienten die reiternomadischen Hauptstädte oder Zentralorte im Orchon-Tal nicht nur als Schaltzentralen einer Reichsadministration, als Stapelplätze abgepreßter Tribute, als Märkte und Kultzentren. Sie bildeten vielmehr die unverrückbare und identitätstiftende Mitte des Reiches zu der, wie es in einer alttürkischen Inschrift heißt, „alle Völker kamen, die im Süden, im Westen, im Norden und im Osten lebten“. Der Besitz des Qut Dagh und des Ötükän yis verhieß und begründete Herrschaft über alle Völker in Nord und Süd, in Ost und West, legitimierte Weltherrschaft im (zunächst engeren) Sinn einer Herrschaft über alle, „die in Filzzelten leben“. Wer sie besaß, der war im Besitz des schicksalhaften Glücks und Herrschaftsglanzes: Er war vom Himmel zur Weltherrschaft berufen.

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Vor diesem Hintergrund kann die Gründung der künftigen Reichshauptstadt im Karakorum-Gebiet als die bewußte Entscheidung eines Weltherrschers verstanden werden, der mit der Eroberung des Ötükän-Walds seinen Anspruch auch vor den nichtmongolischen Steppenvölkern legi-timieren konnte. Mit der Stadtgründung gab Tschingis Khan der Welt der Steppenvölker dort eine neue feste Mitte, wo schon die von allen respektierte ältere Tradition die Mitte der Welt definiert hatte.

Die symbolische Überhöhung Karakorums durch die enge Verknüpfung mit Tschingis Khan scheint eine spätere Entwicklung zu sein. Der Verdacht, daß die Gründung durch Tschingis Khan eine ideologisch begründete Manipulation darstellen könnte, findet eine gewisse Bestätigung in den älteren Quellen, so in der im 13. Jahrhundert verfaßten „Geschichte des Welteroberers“ des Persers Ata Malek Djuwaini sowie im Itinerar („Reise zu den Mongolen 1253–55“) des flämischen Franziskaners Wilhelm von Rubruk. Weder Rubruk noch Djuwaini verbinden Karakorum mit Tschingis Khan.

Rubruk kennt ungefähr den uigurischen Hintergrund: „Karakorum ist gewissermaßen in ihrem Gebiet [dem der Uiguren] gelegen“. Er sieht aber keine tieferen Gründe für die Wahl des Ortes: „Weil aber Karakorum in der Gegend liegt, in deren Umgebung sie ihre ersten kriegerischen Eroberungen machten, sehen sie diese Stadt als ihre Residenz an und wählten dort in der Nähe ihren Khan.“ Djuwaini schreibt über den Orchon, daß er seine Quelle auf einem Berg habe, „den sie [die Uiguren] Karakorum nennen; die Stadt, die in unserer Zeit vom Großkhan erbaut wurde, ist auch nach diesem Berg benannt“. Der Perser Raschid ad-Din, der „Sammler der Geschichten“ (um 1304), nennt Karakorum dagegen wiederholt die Residenz des Tschingis Khan, den Platz seines Hauptlagers, und die Karakorum-Region das Gebiet der Lager- und Weidegründe Tschingis Khans. Beispielhaft für die enge Verbindung der Stadt mit Tschingis Khan ist eine Episode aus dem mongolischen Bruderkrieg (1277–1301), ein Krieg nicht nur der Tschingissiden-Linien, sondern ein Krieg auch der Ideolo?gien, zwischen den Traditionalisten und Legitimisten der zentralasiatischen Nomaden-Fraktion unter Ögödeis Enkel Khaidu und den progressiven Befürwortern eines Zentralstaats nach chinesischem Muster, geführt von Khubilai Khan. Nach Raschid-ad-Din fällt der Prinz Ulus Buqa 1298/99 in die Stadt Karakorum ein, plündert den Markt und die Getreidespeicher. Temür Khagan klagt ihn an: „Wie konntest du es wagen, eine solche Tat zu begehen am Rastplatz des Tschingis Khan?“ Und er ließ ihn in Ketten schlagen und einsperren…

Prof. Dr. Hans-Georg Hüttel

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Stör  〈m. 1; Zool.〉 Angehöriger einer Unterklasse der Fische, die in Flüssen gefangen werden, um ihren Rogen (Kaviar) u. ihre Schwimmblase (Hausenblase) zu gewinnen: Acipenseridae [Herkunft unsicher]

Gauk|ler|blu|me  〈f. 19; Bot.〉 Angehörige einer als Zierpflanze gezogenen, vorwiegend amerikanischen Gattung der Rachenblütler: Mimulus

♦ Em|bryo|pa|thie  〈f. 19; Med.〉 Krankheit od. Schädigung des Embryos während der ersten drei Schwangerschaftsmonate, die zu Missbildungen führt [<Embryo … mehr

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