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Die Zivilisierung der Krieger

Ritter im europäischen Mittelalter

Die Zivilisierung der Krieger
Am Anfang stand ein ungeheurer Zivilisisierungsprozeß: Aus grobschlächtigen Kriegern wurden Ritter. Sie entwickelten ein eigenes Gruppenbewußtsein und ihre spezifischen Normen und Werte – einen „ritterlichen” Verhaltenskodex, dessen Nachklang in Europa bis heute zu vernehmen ist.

Wäre das Mittelalter ein Unternehmen mit Werbeabteilung, so läge es für Marketingstrategen wohl auf der Hand, welche Sympathieträger sie einsetzen müßten: die Ritter in ihren Rüstungen. Nicht nur in der Literatur, in Filmen und Computerspielen haben Ritter noch heute ihren Auftritt. Mancherorts wird gar Ritterleben zum Anfassen geboten: Turniere werden von Schauspieltruppen nachgestellt, und auf Burgen gehört es zum Besuchsprogramm, wie die lustigen Rittersleut‘ zu tafeln.

Vielleicht aber stehen die ritterlichen Recken nur deshalb so glänzend dar, weil sie sich von dem tiefschwarzen Hintergrund des populären Mittelalterbildes abheben. So wird in Berichten über beklagenswerte Zustände – sei es mangelnde Hygiene, religiöse Intoleranz oder politische Willkür – gern zum Negativattribut “mittelalterlich” gegriffen. Im öffentlichen Bewußtsein gibt es also ein gespaltenes Mittelalterbild, wobei Ritter und Ritterschaft der glänzenden Seite zugeschlagen werden. Doch wie waren diese Männer wirklich?

Männer in Eisenkleidern, hoch zu Roß, mit bunten Fahnen – so sind uns die Ritter vertraut. Und in der Tat sind mittelalterliche Ritter auf den Reiterkampf spezialisiert gewesen. „Ritter” meint daher zunächst Kämpfer zu Pferde. Es wäre jedoch eine unzulässige Vereinfachung, wollte man jeden Krieger zu Pferde zum Ritter erklären. Reiterkämpfer gab es auch in der römischen Armee, im Frühmittelalter kämpften Hunnen und Awaren zu Pferde, auch die Kavallerie des 19. Jahrhunderts ließe sich mit einer gewisser Berechtigung anführen. Hier geht es aber nur um diejenigen, die etwa seit 1100 in allen europäischen Sprachen ähnlich bezeichnet wurden: als chevaliers, knights, cavalieri, caballeros und ritter.

Da die meisten Schriftstücke des Hochmittelalters in lateinischer Sprache verfaßt sind, müssen wir nach dem lateinischen Begriff für Ritter, miles, suchen, wenn man herausfinden will, wann Ritter auftauchen. Dabei gilt es zu beachten, daß solche langlebigen Begriffe nicht unproblematisch sind, denn das, was sie benennen, kann sich im Lauf der Zeit verändern. So übernahm das Mittelalter den Begriff miles aus der Antike, in der er allgemein einen Soldaten bezeichnete.

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In dieser Bedeutung erscheint er noch im frühen Mittelalter. Bald aber wird seine Bedeutung ausdifferenziert, und der Begriff beschreibt nun eine spezifische Funktion. Seit dem 9. Jahrhundert ist miles gleichbedeutend mit Lehnsmann (vasallus), und seit dem 10. Jahrhundert wird es synonym mit loricatus gebraucht, was man als „schwergepanzerter Reiter zu Pferde” umschreiben kann. Diese Bedeutungsverschiebung vom Soldaten zum schwergepanzerten lehnsabhängigen Reiter verweist auf fundamentale Veränderungen im militärischen Bereich.

Im Frankenreich war das Heer ein Aufgebot von freien Bauernkriegern. Karl der Große etwa stellte für seine Eroberungszüge im Frühjahr eine Armee aus Männern zusammen, die den Rest des Jahres als Bauern ihre Felder bewirtschafteten, die also – um einen modernen Begriff zu verwenden – „Teilzeitkrieger” waren. Doch schon unter Karl stieß dieses System an seine Grenzen, vor allem, weil nicht mehr Fußtruppen, sondern Reiter die Schlachten entschieden. Kämpfer zu Pferde waren also gefragt. Diese benötigten allerdings sehr viel Zeit und eine Menge Geld. Weil man im gesamten Mittelalter erwartete, daß Kämpfer ihre Ausrüstung selbst stellten, mußte ein Reiter über ausreichend Eigenkapital verfügen, um Schlachtroß, Beipferde, Waffen und Rüstungen zu beschaffen.

Auch den Zeitaufwand sollte man nicht unterschätzen. Anders als in Ritterfilmen zu sehen, waren mittelalterliche Armeen durchaus taktisch operierende Formationen; das Vorgehen in einer geschlossenen Reiterformation, die als eine Wand aus berittenen Kämpfern die gegnerischen Truppen niederwerfen sollte, wurde daher immer wieder eingeübt.

Der Dienst als berittener Kämpfer konnte also nur hauptberuflich ausgeübt werden. Schon Karl der Große reagierte auf diese Entwicklung, indem er die Verpflichtung zum Heerdienst für Männer mit geringem Landbesitz aufhob. Dies spaltete die einheitliche Schicht der Freien, die bis dahin die Armee gebildet hatten: Die Nachkommen der meisten wurden zu Bauern, die Söhne einer Minderheit professionalisierten sich zu spezialisierten Reiterkämpfern.

Diese Entwicklung hatte gravierende soziale Folgen, denn die Professionalisierung ließ sich ja nicht durch die Schaffung einer (aus Steuermitteln finanzierten) Berufsarmee erreichen – dafür fehlten nicht nur die finanz- und verwaltungstechnischen, sondern auch die mentalen Voraussetzungen. Die Kämpfer mußten folglich von der täglichen Arbeit freigestellt werden, indem man sie mit Landbesitz ausstattete, und so erhielten die Ritter von ihren Herren, mächtigen weltlichen und geistlichen Fürsten, als Gegenleistung für Dienst und Hilfe ein Lehen. Dieses umfaßte sowohl das Eigentum an Grund und Boden als auch die Herrschaftsrechte über die dort lebenden Bauern. Mittelpunkt eines solchen Lehens war seit dem 11. Jahrhundert meist eine Burg.

Um 1200 fanden sich unter den Rittern, die durch ihr Lehen für den Kriegsdienst abkömmlich waren, nicht nur Nachkommen des Adels und der freien Bauernkrieger. Hinzugestoßen waren zu dieser Gruppe seit dem 11. Jahrhundert unfreie Dienstleute, die von Fürsten und Bischöfen ebenfalls zum Kriegsdienst herangezogen worden waren. Auch diese Ministerialen wurden ins Lehnswesen integriert, wodurch langfristig ihre rechtliche Unfreiheit gegenüber ihrer Funktion als Krieger zu verblassen begann. Diese Statusverbesserung widerlegt die holzschnittartige Vorstellung, im Mittelalter sei jeder an seinen Stand gefesselt gewesen. Die Ministerialen, die zu Vasallen und zu Rittern wurden, sind als soziale Aufsteiger ein schlagendes Gegenbeispiel. So entstand durch neue militärische Anforderungen die Ritterschaft…

Literatur Josef Fleckenstein (unter Mitwirkung von Thomas Zotz), Rittertum und ritterliche Welt. Berlin 2002. Maurice Keen, Das Rittertum, München u.a. 1987 (letzte Auflage 2002). Werner Paravicini, Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters, 2. Aufl. München 1999.

Die Ritter Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz in Speyer 30. März – 26. Oktober 2003

Die Ausstellung zeigt auf 1300 Quadratmetern die zentralen Lebensbereiche, die mit dem Rittertum verbunden sind: Kampf und Turnier, Leben auf der Burg, Fest und Alltag… Originalexponate wie Waffen, Rüstungen und Helme, Jagdutensilien, Spielwürfel, Schachfiguren, Musikinstrumente, Keramik für Tisch und Herd oder verzierte Ofenkacheln spiegeln die verschiedenen Facetten des ritterlichen Lebens wider. Darüber hinaus vermitteln Inszenierungen und multimediale Elemente ein anschauliches Bild der Ritterzeit. Ein besonderes Augenmerk legt die Ausstellung auch auf das Nachleben ritterlicher Vorstellungen bis in unsere Zeit. Eine eigene Ausstellung für Kinder und Jugendliche beschäftigt sich mit der Erziehung der zukünftigen Ritter und Damen im Mittelalter. Zu der Ausstellung erscheint im Stuttgarter Theiss Verlag ein reichbebilderter Katalog.

Dr. Stephan Selzer

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MIK–Wert  〈m. 1; Abk. für〉 Maximale Immissions–Konzentration, für bestimmte Stoffe gesetzlich festgelegte, maximal zulässige Abgabe in bodennahen Luftschichten

Bau|leit|pla|nung  〈f. 20〉 auf der Grundlage des Baugesetzbuches (BauGB) festgelegte Planung der städtebaulichen Nutzung u. Entwicklung von Grundflächen einer Gemeinde, umfasst in der ersten Stufe die Aufstellung eines Flächennutzungsplan und in der zweiten Stufe die Aufstellung von Bebauungsplänen für Teilbereiche der gemeindlichen Flächen

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