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Eifrige Geburtshelferinnen

Die Amazonen als Städtegründerinnen

Eifrige Geburtshelferinnen
Viele griechische Städte in Kleinasien führten ihre Herkunft auf die Amazonen zurück: Sich auf die streitbaren Frauen als Gründerinnen zu berufen war im Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit ein beliebtes Mittel im Kampf um Einfluss und Prestige.

Wer der Gründer von Alexandria in Ägypten war, ist kein Geheimnis. Es war der makedonische König Alexander der Große, der während seines großen Eroberungszugs gegen die Perser 331 v. Chr. einen Abstecher in das Land der alten Pharaonen machte und höchstpersönlich den Grundstein zur heutigen Millionenstadt im Norden des Nillands legte. Wer sich den Ehrentitel „Gründer Roms“ ans historische Revers heften darf, ist hingegen weitaus weniger klar. Mit Fug und Recht darf man davon ausgehen, dass es sich nicht, wie von der römischen Überlieferung reklamiert, um Romulus gehandelt hat. Darüber kann auch das scheingenaue, angebliche Gründungsdatum 21. April 753 v. Chr. nicht hinwegtäuschen. Romulus ist und bleibt eine fiktive Figur, von den Römern nachträglich eingesetzt, weil man gern nach griechischem Vorbild jemanden haben wollte, den man für die Existenz der eigenen Stadt verantwortlich machen konnte. In Wirklichkeit hat sich Rom als eine gewachsene und eben nicht, wie Alexandria, geplante Stadt sukzessive entwickelt, wobei die zeitliche Einordnung des Beginns der Stadtwerdung in das 8. Jahrhundert v. Chr. immerhin aktuellen archäologischen Erkenntnissen entspricht.

Andere Städte, deren Bewohner nicht mehr wussten, wie ihre Städte entstanden waren, nominierten ganz unbescheiden als Gründer gleich veritable Götter oder, in minderschweren Fällen, wenigstens Heroen, also übermenschlich wirkende Helden mit einem göttlichen Elternteil. Ein prominenter und gern eingesetzter Gründer der zweiten Kategorie war Herakles, so dass es in der griechischen Welt viele Städte namens Herakleia gab. Unter den Göttern erfreute sich Apollon einer besonderen Popularität. Seine Rolle als namensgebender ktistes (so die griechische Bezeichnung für einen Städtegründer) lässt sich an vielen antiken Städten mit Namen wie Apollonia ablesen. In anderen Fällen waren die eigentlichen – menschlichen – Stadtgründer durchaus bekannt, doch hielt man es für vornehmer, sich einen mythischen oder göttlichen Gründer zuzulegen. Einen solchen Fall bezeugt im 2. Jahrhundert n. Chr., also in der römischen Kaiserzeit, der griechische Reiseschriftsteller Pausanias. Die Einwohner von Gythion, dem Hafen Spartas, legten damals Wert auf die Feststellung, nicht von einem Menschen, sondern von Göttern gegründet worden zu sein. Und hatten zur Sicherheit gleich noch eine Erzählung parat: Der Gott Apollon und der Halbgott Herakles gerieten wegen eines Dreifußes in einen Streit. Nach dessen Beilegung beschlossen sie, die Versöhnung mit der Gründung einer Stadt – eben Gythions – zu besiegeln. Pausanias konnte sich bei seinem Besuch in der Stadt davon überzeugen, dass die Bewohner Gythions konsequenterweise Statuen beider vermeintlichen Gründer aufgestellt hatten.

Über eine respektable Gründungsgeschichte zu verfügen und beeindruckende Gründerfiguren präsentieren zu können gehörte bei den Griechen zum guten Ton. Zu einem nicht zu unterschätzenden Teil handelte es sich dabei um ein Element des für die Griechen so typischen internen Konkurrenzkampfes. Besser zu sein als die anderen war ihnen als Erbe archaischer, sich in den homerischen Epen in Reinkultur artikulierender Adelsethik in Fleisch und Blut übergegangen. Und als die Welt der Griechen von den Römern erobert und Teil des Römischen Reiches geworden war, wetteiferten die Städte um jene Privilegien, deren Verteilung zu den wirksamsten, weil Loyalität erzeugenden Instrumentarien der römischen Herrschaft gehörte: Außerordentlich begehrt war beispielsweise die Ehre, eine Stätte des Kaiserkults in seinen Mauern beherbergen zu dürfen. Vor den Nachbarstädten und überhaupt in der griechischen Öffentlichkeit waren damit die herausgehobene Position und die Überlegenheit der vom Kaiser ausgezeichneten Stadt in aller Deutlichkeit dokumentiert.

Konnte man seine Gründung nicht nachweisbar auf eine reale Lichtgestalt wie Alexander den Großen zurückführen, so griffen die griechischen Städte im Kampf um Prestige und Einfluss gerne auf mythische, heroische oder göttliche Persönlichkeiten zurück. In diesen Rahmen gehören auch die Namen zahlreicher griechischer Städte, deren Gründung mit dem streitbaren Volk der Amazonen in Verbindung gebracht wurde. Eine genauere geographische Verortung der Städte, die ihre Entstehung den militanten Frauen zu verdanken haben sollen, liefert einen eindeutigen Befund: Es handelt sich überwiegend um griechische Siedlungen im westlichen und nördlichen Kleinasien. Hinzu kommen antike Überlieferungen, die den Gründungsradius der Amazonen in den Ägäisraum und sogar ins nördliche Afrika ausdehnen.

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In die Riege jener antiken Autoren, die sich intensiv mit den urbanistischen Aktivitäten der umtriebigen Ares-Töchter beschäftigt haben, gehört der berühmte Geograph und Historiker Strabon. Die Heimat des Gelehrten, eines Zeitgenossen des römischen Kaisers Augustus, befand sich in Amaseia (dem heutigen Amasya) an der Südküste des Schwarzen Meeres. So verfügte Strabon über einen engen persönlichen und lokalen Bezug zu den Amazonen, die ihre Kriegszüge von ihrer Basis am Thermodon – einem mythologischen Fluss, den man in Kleinasien verortete und nach dem dort später tatsächlich ein Fluss benannt wurde – aus unternommen haben sollen. Dort, wo er von den Städtegründungen der Amazonen spricht, hebt Strabon mit Ephesos, Smyrna und Kyme drei Orte besonders hervor. Tatsächlich fokussieren sich auch andere antike Quellen auf diese Städte, die, was ihr politisches und kulturelles Gewicht anging, zu den prominentesten griechischen Städten in Kleinasien zählten. Was aber hat sie bewogen, sich als Gründungen der Amazonen auszugeben?

Ephesos, heute eine vielbesuchte archäologische Stätte an der Westküste Kleinasiens, verdankte seinen antiken Ruhm in erster Linie dem Heiligtum der Göttin Artemis, das in allen maßgeblichen Listen der Sieben Weltwunder auftauchte. Auch bei der Einrichtung dieses bedeutenden Tempels sollen, wie mehrere antike Autoren übereinstimmend berichten, die Amazonen ihre Hände im Spiel gehabt haben. Entweder schreiben ihnen die Quellen die Gründung des Artemisions an sich zu, oder sie sprechen davon, dass die kämpferischen Frauen auf der Flucht vor dem Gott Dionysos und dem Heros Herakles in dem Heiligtum um Asyl gebeten hätten. Die erste Variante plazieren antike Autoren wie der Lobredner Pindar (5. Jahrhundert v. Chr.) in den Kontext des Zugs der Kriegerinnen gegen Theben und Athen: Demnach hätten die Amazonen auf ihrem Weg Richtung Westen noch die Zeit gefunden, den Grundstein für den nachmals so berühmten Tempel zu legen.

Smyrna, nach Strabon ein weiterer Kandidat auf der Liste der amazoni‧schen Städtegründungen, liegt etwa 75 Kilometer nördlich von Ephesos an der kleinasiatischen Westküste. Die einstigen griechischen Be‧wohner der heutigen türkischen Millionenmetropole Izmir propagierten in der Antike mit einigem Erfolg ihren Anspruch als Geburtsstätte des großen Epikers Homer. Und sie waren offenbar auch stolz darauf, die Amazonen zu ihren Geburtshelfern zählen zu dürfen. Passenderweise nominierten jene als „Mythographen“ bezeichneten Dichter und Gelehrten, deren Aufgabe es war, die Gründungssagen zu ersinnen und ihnen eine plausible Form zu geben, dafür eine Amazone namens Smyrna. Sie war die Herrscherin von Ephesos und zeichnete in dieser Eigenschaft auch für die Bildung einer Amazonen-Filiale in Smyrna verantwortlich.

Selbstverständlich darf mit Gewissheit davon ausgegangen werden, dass diese Smyrna ebenso pure Fik‧tion war wie der römische Romulus. Doch zeigt sich hier in aller Klarheit die Arbeitsweise der griechischen Mythen-Produzenten: Nicht, weil es eine Frau namens Smyrna gegeben hat, wurde die Stadt Smyrna genannt, sondern umgekehrt brauchte man eine Frau namens Smyrna, um den Namen der Stadt zu erklären. Die Amazone Smyrna verkörpert in dieser Überlieferung die im Mythos beliebte Figur des Eponymos, eines Namensgebers. Den Klassiker dieses Verfahrens darf man nach wie vor in jenem unglücklichen König Aigeus von Athen sehen, der sich tragischerweise ins Meer stürzte, weil sein Sohn Theseus bei der Rückkehr von Kreta und Naxos vergessen hatte, als Zeichen eines geglückten Abenteuers die weißen Segel zu setzen – so soll die Ägäis ihren Namen bekommen haben. In Wirklichkeit war es auch hier so, dass man sich fragte, warum die Ägäis Ägäis heißt; um das zu erklären, fabrizierte man die Geschichte vom König Aigeus. Die angebliche Amazonen-Gründung Smyrna profilierte sich jedenfalls als bedeutende Hafenstadt, lag nach einer um 600 v. Chr. durch Lyder erfolgten Zerstörung allerdings für mehrere Jahrhunderte praktisch brach, bevor sie am Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. im städtebaufreundlichen Klima des frühen Hellenismus in neuer Blüte erstrahlte…

Prof. Dr. Holger Sonnabend

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