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Ein Denkmal seiner selbst

Die architektonische Entwicklung des Moskauer Kreml

Ein Denkmal seiner selbst
Er war eine Festung und eine Stadt in der Stadt, Residenz der Zaren und Sitz des russischen Kirchenoberhaupts: der Kreml in Moskau. Mit der Entwicklung Rußlands wuchsen und wechselten seine Funktionen und mit ihnen änderte sich auch seine Architektur.

Fremde hat der Kreml schon immer tief beeindruckt. Eine der schönsten Beschreibungen hat uns der deutsche Schriftsteller und Slawist Friedrich von Bodenstedt hinterlassen, der 1841 bis 1843 als Hauslehrer in Moskau war: „Den freiesten und vollständigsten Überblick der launenhaft zusammengewürfelten Bauwerke des Kreml bietet das südliche Ufer der Moskwa. Über den breiten Spiegel des Stroms spannt sich eine pfeilergetragene, hohe, prachtvolle Brücke hin. Dahinter steigt die weiße Kremlinmauer mit ihren an gothische Bauart erinnernden Thürmen auf. Diese gewaltige Mauer erscheint von hier nur als eine leichte Umgrenzung der gigantischen Häusermassen mit den zahllosen Kuppeln, welche, beherrscht von dem hier in seiner ganzen Größe sichtbaren Iwan Weliky, dem höchsten aller Thürme des Zarenreichs aus ihr emporragen. Es ist schwer, wo nicht unmöglich, ein treffendes Bild zur schnellen Veranschaulichung dieser in allen Farben spielenden Wunderwelt zu finden, die, in sich abgeschlossen, ihres Gleichen nicht hat. Den besten Ausdruck dafür hat wohl der Volksmund gefunden, indem er den Kreml nach seinen zwei wesentlichsten Merkmalen den „weißsteinigen“ und den „goldköpfigen“ nennt. Damit ist das Hervorragende, zunächst in die Augen Springende und dauernd in der Erinnerung Bleibende des Ganzen sehr glücklich bezeichnet: die von weißsteiniger Mauer umschlungenen, malerisch ineinander verschobenen Tempel und Paläste unten und das Labyrinth der goldschimmernden Kuppeln oben.“

Die erste Festung vom Anfang des 12. Jahrhunderts war von Wällen aus Holz und Erdreich von insgesamt fast 700 Metern Länge umgeben. Auch die Gebäude – Kirchen, das Haus des Fürsten und die außerhalb gelegene Siedlung von Handwerkern und Händlern – waren aus Holz. Um den wiederkehrenden Zerstörungen durch verheerende Brände zu begegnen, errichtete man seit dem 14. Jahrhundert die ersten steinernen Kirchen. Zur gleichen Zeit wurde die Befestigung des Kreml erneuert und nach Nordosten hin erweitert. Die neuen Wälle waren aus Eichenstämmen mit einem Durchmesser von bis zu einem Meter. Sie bestanden vermutlich aus zwei parallelen Balkenwänden, die durch quer liegende Stämme miteinander verbunden waren. Die teilweise über sechs Meter starken Wälle waren in regelmäßigen Abständen durch Verteidigungstürme verstärkt. Insgesamt erreichte der Festungsring nun eine Länge von 1700 Metern.

Das „schreckliche, alles verschlingende Feuer“, von dem der Chronist etwa für 1365 berichtet, blieb aber ein Problem. Der Moskauer Großfürst Dmitri Donskoi ließ daher die Mauern des Kreml aus weißem Kalkstein aufbauen, dem gleichen, der schon für die Kirchen seines Großvaters Iwan Kalita aus der Umgebung Moskaus herbeigeschafft worden war. Die neuen Mauern folgten dem alten Umriß, allerdings wieder mit einer Erweiterung nach Osten hin. Die steinernen Mauern und Kirchen müssen für die Zeitgenossen von grandioser Wirkung gewesen sein und trugen der Stadt Moskau den auch von Friedrich von Bodenstedt erwähnten Namen „die Weißsteinerne“ ein. Das geschichtsfreudige 19. Jahrhundert versuchte sich durch das Studium der Chroniken und durch Ausgrabungen, nachhaltigsten aber durch die Zeichnungen das Malers Apollinari Wasnezow, die bis in das 20. Jahrhundert hinein für den Schulunterricht im Gebrauch waren, ein Bild dieses Wunderwerkes zu machen. Die für sein heutiges Aussehen wichtigste Bauphase des Kreml begann im späten 15. Jahrhundert unter Großfürst Iwan III. Mit seiner zweiten Frau, der in Italien erzogenen byzantinischen Prinzessin Zoe (Sophia) kamen neue Sitten und Gebräuche zumindest an den großfürstlichen Hof. Der Kreml mit seinen einfachen, kleinen Steinkirchen und den hölzernen Palästen schien Iwan III., der die Moskau umgebenden Teilfürstentümer unter seiner Herrschaft vereint hatte und als erster russischer Herrscher den Titel eines Zaren oder „Herrschers der ganzen Rus“ annahm und sich mit Gosudar anreden ließ, nicht mehr prächtig genug. Auch die Befestigungsmauern konnten ihren Zweck wohl nicht mehr hinreichend erfüllen – neue Waffen erforderten neue Fortifikationen, und so wurde der Kreml zur Großbaustelle.

Der Gesamtplan der neuen Festung stammte vermutlich von dem italienischen Architekten Aristotele di Fioravante di Ridolfo, die Ausführung lag bei einer Reihe seiner Landsleute. Man ersetzte die alten Mauern durch neue, bis zu 19 Metern hohe Backsteinmauern, die von schwalbenschwanzförmigen Zinnen bekrönt waren. Die hölzernen Überdachungen der hinter den Zinnen liegenden Laufgänge fielen 1737 einem Feuer zum Opfer.

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Als der Erbauer der südlichen Mauer gilt Antonio Frjasin. Am 19. Juli 1485 begann er mit dem Bau des ersten neuen mit Schießscharten versehenen Torturms. Unter dem Tor wurde bis zur Moskwa hinunter ein geheimer Gang angelegt, der die Wasserversorgung in Belagerungszeiten sicherstellen sollte; nach ihm trägt der Turm bis heute den Namen tainizkaja baschnja (Geheimnisturm). Auch von dem 1488 fertiggestellten Swiblowo- oder Wasserturm (nach dem Brunnen in seinem Inneren) führte ein Geheimgang aus der Festung, und vom Nabat-Turm läutete die Sturmglocke (nabat). Oberhalb des 1492 erbauten Sobakin-Turms wurde das Wasser der Neglinna gestaut und teilweise in den Festungsgraben an der Ostseite abgeleitet: Nur über eine steinerne Brücke am Dreifaltigkeits-Tor und über Zugbrücken konnte man in diese Festung gelangen.

Der heutige Besucher braucht etwas Phantasie, um sich den „italienischen“ Kreml des 15. und 16. Jahrhunderts vorzustellen, denn die hohen Aufbauten und Zeltdächer der Türme, die ihm heute das malerisch-orientalische Gepräge verleihen, kamen erst im 17. Jahrhundert hinzu, ebenso wie die den Toren der westlichen und östlichen Mauern gegenüberliegenden Brückenbefestigungen, von denen nur noch der Kutafja-Turm am Dreifaltigkeits-Tor erhalten ist.

Die italienischen Architekten wurden vor allem gebraucht, um technische Probleme wie Großbauten oder die Fortifikation zu lösen, nicht, um die Ästhetik der Renaissance nach Rußland zu bringen. Für kleinere Bauten wurden durchaus wieder einheimische Baumeister herangezogen . So errichteten in den 1480er Jahren Baumeister aus Pskow die Verkündigungs-Kirche an der südwestlichen Ecke des Kathedralenplatzes neu; die alte Kirche war bis auf den Kalksteinsockel abgetragen worden. Die neue Kirche war an drei seiten von Vorhallen umgeben, auf deren Ecken man um die Mitte des 16. Jahrhunderts von Kuppeln bekrönte Kapellen baute; die Kirche selbst erhielt zwei Nebenkuppeln. Die nunmehr neun Kuppeln und die Dächer wurden mit vergoldetem Kupfer gedeckt. So wurde der besondere Rang dieser Privatkirche der russischen Herrscher, die allerdings auch dem Volk zugänglich war, unterstrichen und die Kirche erhielt ihr malerisches Aussehen, das bis heute nicht an Wirkung eingebüßt hat…

Ulrike Schmiegelt

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