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Ein Foto von hinten gab es nicht

Interview mit dem Steinrestaurator des Tell Halaf-Projekts

Ein Foto von hinten gab es nicht
Bis zu sechs Restauratoren setzten neben den Archäologen die Figuren wieder zusammen. Eine einzigartige Aufgabe, die wohl nur einmal in einem Restauratorenleben vorkommt. Mit Stefan Geismeier, dem Steinrestaurator des Projekts, sprach Marlene P. Hiller.

Die Archäologen sortierten die Zigtausende Fragmente und ordneten sie einzelnen Skulpturen zu – was war der Part der Restauratoren?

Die Restauratoren traten immer dann auf den Plan, wenn ein provisorisch zusammengesetztes Objekt instabil wurde. Die Fragmente wurden zunächst ja immer trocken aneinandergelegt, damit Korrekturen möglich waren bzw. weitere Zuordnungen erfolgen konnten.

Gab es einen Rohkörper, an den die Fragmente angefügt wurden?

Je nachdem. In einem Sonderfall haben die Sortierer immer nur Kernstücke einer Figur gefunden. So bildete sich ein Kern heraus, aber niemand wusste, was am Ende daraus werden würde; das wurde erst klar, als schließlich auch Oberflächenteile hinzukamen. Umgekehrt waren manchmal viele Oberflächenteile vorhanden, aber es gab keinen Kern. Der Zufall spielt eine große Rolle: Können Sie große Teile aneinanderfügen, bildet sich ja automatisch ein Körper, und wenn an diesen Teilen Oberfläche daran ist, ist alles gut. Genauso gut können sie aber auch ohne Oberflächenanteile sein. Steine, die zusammenpassen, kann man unter anderem an Gesteinsanomalien erkennen, etwa an Kalziteinsprengseln, die charakteristische Muster bilden. Dann kann man nach ähnlich strukturierten Steinen suchen.

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Es war wohl ein Glück, dass es die historischen Fotos gab, an denen man erkennen konnte, zu welcher Figur bestimmte Oberflächenteile gehörten?

Ja. Sobald klar war, welches Fragment zu welcher Figur gehörte, war es Aufgabe der Restauratoren, das zusammengefügte Provisorium zu stabilisieren. Waren dann alle überzeugt, dass nichts Nennenswertes mehr hinzukäme, konnte die Restaurierung beginnen.

Was machten Sie anders als bei Ihren sonstigen Restaurationsarbeiten?

Einzigartig war, dass Dinge restauriert wurden, von denen man keine Vorkenntnis hatte. Wir wussten am Anfang nie, was am Ende dabei herauskommen würde. Das ist ganz anders als bei einer Skulptur, die in zwei oder drei Teile zerborsten, aber in ihrer Gestalt noch erkennbar ist. Die Fotos halfen zwar weiter, gaben aber nur eine zweidimensionale Vorstellung. Überraschend war, dass manche Objekte viel größer waren, als es auf den Fotos schien. Besonders machte die Restaurierung auch, dass es bei der Zuordnung immer wieder Nachzügler gab. Wir haben ja etwas restauriert, dessen Bestandteile nicht von vornherein klar bzw. die oft gar nicht alle vorhanden waren. So etwas gibt es sonst einfach nicht: In der Regel hat man einen festen Bestand an erhaltenen Teilen und macht etwas daraus. Dass Sie bis zum Schluss der Restaurierung immer wieder austarieren müssen, was endgültig geklebt werden kann oder was provisorisch sein sollte – weil noch Stücke zu erwarten sind und sich bestimmte prägnante Stellen doch noch füllen könnten –, das war einzigartig.

Zu einem hohen Prozentsatz war das Projekt dann aber erfolgreich?!

Das ursprüngliche Projektthema lautete, Einzelteile von Bildwerken des Palasteingangs zu restaurieren – und jetzt sind im Vergleich zum Vorkriegsstand von allen Basaltobjekten mehr als 95 Prozent rekonstruiert. Manche Objekte hat es ein bisschen schlechter erwischt, aber alle sind heute wieder in einer Vollständigkeit vorhanden, die uns wirklich überrascht hat. Und vor allem: In ihren Kernen sind die Bildwerke fast so vollständig wiederhergestellt wie von außen!

Gab es wichtige Regeln für die Arbeitsorganisation?

Um zu erkennen, wo ein Stein hingehört, muss man in dem Einzelprojekt, an dem man gerade arbeitet, richtig zuhause sein. Und es hat sich gezeigt, dass man eine ganz piefige Ordnung halten muss. Die große Sitzende etwa – das waren zunächst um die 40 Teile, und das war nur der erste Schritt! Insgesamt war die Figur in 1200 Einzelteile zersprungen. Die Fragmente musste die Praktikantin in der richtigen Reihenfolge nebeneinander legen, wie beim Operateur; denn manchmal mussten wir an anderer Stelle weiterarbeiten, und wenn wir dann zu der großen Sitzenden zurückkamen, war wenigstens eine Grundordnung vorhanden. Ging es dann an die Klebung, haben wir das Zusammensetzen in der Regel ein-, zweimal trocken probiert, auch, um die Reihenfolge festzulegen. Wenn Sie aus diesem Prozess herausgerissen werden, ist Ihnen die notwendige Abfolge, in der die Fragmente aneinandergefügt werden müssen, nicht mehr präsent; haben Sie es dagegen ein-, zweimal gemacht haben, wissen Sie intuitiv: Da fehlt etwas oder dort sperrt etwas. Dann wissen Sie genau, was zu tun ist.

Wie lange haben Sie an dem Projekt mitgearbeitet?

Die volle Projektzeit, neun Jahre lang. Die Restauratoren waren in der Vorlaufphase dabei: bei der Bergung aus dem Museumskeller und dem Transport ins Außenlager nach Hohenschönhausen. Dann hat man sich erst einmal einen gewissen Überblick verschafft. Wir [das waren zunächst der Archäologe Lutz Martin und der Restaurator Stefan Geismeier] haben Zusammenhänge gesehen und gedacht: Wenn man noch ein, zwei weitere Fragmente fände, ließen sich wenigstens Teile einer einzelnen Skulptur zusammenfügen – es wäre doch schade, wenn man es nicht versuchte. Dass sich das Projekt so auswachsen würde, hätten wir nie gedacht. Es ist schon ein Glücksfall, dass man körperlich und von der Ausbildung her in der Lage war, an so etwas zu mitzuarbeiten.

Was für Probleme gab es?

Ich will erläutern, wie wir technisch vorgegangen sind. Als es immer mehr Stücke gab und die Restauratoren immer mehr wurden, haben wir irgendwann beschlossen: Die jeweils aktuelle Aufgabe – das Zusammensetzen und Kleben – wird fortlaufend gemacht, die Probleme, die weitere Forschung oder tieferes Eindringen erfordern, klammern wir dagegen aus und betreuen sie in Phasen, in denen es ein bisschen ruhiger ist. In dem sehr dynamischen Prozess des Zusammensetzens der Figuren – es geschah ja immer im Wechselspiel mit den Wissenschaftlern der Sortiermannschaft, da gab es ständig Austausch – war das kaum möglich. Die großen Probleme entstanden, weil sich Oberflächen verändert hatten, etwa durch die Bodenlagerung. Wir mussten herausarbeiten, was von dem, was wir vor uns hatten, archäologischer Bestand war und was vielleicht durch eine frühere Reinigung oder durch den Brand im Zweiten Weltkrieg verändert worden ist. Diese Frage haben wir als komplett getrenntes Thema behandelt und zusammen mit der Technischen Universität aufzudröseln versucht. Ein weiteres großes Problem: die plastischen Ergänzungen. Denn wir standen vor einem großen Dilemma: Archäologen fotografieren Exponate meist nur in der Frontalen und nicht von hinten. Gerade bei den fehlenden Löwenhinterteilen konnten wir auf gar nichts zurückgreifen, es gab weder Referenzfotos noch Beschreibungen. Ein Foto von hinten gab es nicht.

Was für Probleme brachte das Zusammenkleben so vieler Fragmente?

Es gab oft statische Probleme, weil wir ja nicht einfach Monolithen wieder zusammengefügten. Materialien dehnen sich durch Wärme oder Luftfeuchtigkeit aus. Bei einem Monolithen geschieht das einheitlich; sobald das Objekt aber durch viele Klebungen und Brüche unterbrochen ist, werden die Spannungen unterschiedlich abgebaut. Bei den Löwenfiguren, die an die drei Meter lang sind, wirkt sich das sehr aus. Ergänzungen und Klebematerialien müssen daher so austariert werden, dass sich die Spannungen, die sich ja immer übertragen, nicht schädigend auswirken. Die Frage der Klebetechnik musste relativ schnell geklärt werden, ebenso die Frage, wie man die Fragmente miteinander verbindet. Die Figuren hatten sich ja alle in Fragmente zerlegt, entweder durch alte Bruchkanten oder durch Brüche, die im Krieg entstanden sind.

Wie haben Sie das Problem, die großen Figuren zu stabilisieren, gelöst? Wir sind ja schrittweise vorgegangen und haben die Fragmente einzeln behandelt. Das war einerseits segensreich, andererseits bestand die Gefahr, dass dadurch Abweichungen entstehen. Sie müssen sich das so vorstellen: Ein Segment – zum Beispiel die rechte Leibseite des Löwen – wird durch zehn Bruchfugen verklebt; jede Fuge bringt dann einen gewissen Zuwachs, selbst wenn es jeweils nur ein Zehntel Millimeter ist. Hat das Stück auf der Gegenseite aber 20 Bruchfugen, wird es dort automatisch länger… Das muss man wissen und berücksichtigen, und man darf es nicht schönreden. Kontrollieren, ob Abweichungen entstanden sind, kann man, wenn man die gegenüberliegenden Teile schon trocken zusammengesetzt; dann sieht man, was sich verändert hat. Und dann muss die Frage beantwortet werden: Lassen sich die beiden Segment überhaupt noch fest verbinden oder ist es nicht sinnvoller, sie etwas voneinander gelöst zu lassen, um den Spannungsabbau zu ermöglichen?

Hatten Sie Hilfe bei der Lösung dieser Fragen?

Je länger die Figuren sind, desto größer ist das Problem, ähnlich wie bei Ziegelmauern, bei denen Sie ja auch Dehnfugen lassen. Teile müssen sich bewegen können, ohne sich zu beschädigen. Wir haben versucht, das Problem mit Hilfe eines Statikbüros zu lösen. Das ging aber nicht, denn um zu rechnen, brauchten die Statiker technische Parameter, und die hatten wir nicht. Sie haben uns sehr geholfen, und unser Verständnis für das Problem stammt größtenteils von ihnen, aber letztlich musste man viel aus dem Gefühl heraus machen. Die Verantwortung konnten sie uns abnehmen.

Mit was für Klebern haben Sie die Stücke verklebt?

Die statisch belasteten Teilen werden mit Epoxidharz geklebt, und zwar unter Druck: Während der Kleber frisch ist, werden die ganzen Teile mit Zurrgurten zusammengebunden. Sie werden so stark zusammengepresst, dass schon durch die Materialreibung eine Verzahnung entsteht. Der Kleber muss richtig in die Poren gepresst werden, damit eine innige Verbindung hergestellt wird. Allerdings müssen die Stücke exakt übereinander gepresst werden, sonst haben Sie das, was an Material noch da war, auch noch unterbunden. Die unbelasteten und die kleinen Teile werden mit Acrylkleber geklebt.

In welchem Stadium erfolgt das Kleben?

Wir haben es zeitlich versetzt gemacht. Die ersten Figuren wurden schon im ersten Jahr geklebt. Wenn die Zuordnung erfolgt ist, entsteht ein gewisser Fertigungsdruck. Das ist anders als während der Restaurierungsphase; in der wird ein Bildwerk auseinander genommen, die Bruchflächen werden gesäubert. Dann blicken der Restaurator und der zuordnende Archäologe darauf, und das natürlich aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln. Es wurden immer wieder neue Fragen gestellt, uns das führte dazu, dass immer nochmals neue Stücke gefunden wurden und zugeordnet werden konnten. Dazu hat die Dynamik, die durch den Fertigungsdruck entstand, sicherlich beigetragen.

An welchem Stück haben Sie besonders lang gearbeitet?

Mein männlicher Löwe war neun Jahre lang in Behandlung, der ist erst im Frühjahr 2010 fertig geworden. Zum Teil lag das daran, dass wir während der Arbeit bemerkt haben, dass die Restaurierung in den 30er Jahren nicht immer passte und Veränderungen notwendig waren. Zum einen waren die Klebefugen ziemlich dick – sie hatten ja damals ganz andere Kleber –, darum waren die Figuren statisch ganz anders aufgebaut. Zum anderen haben wir in seinem Inneren antike Steine gefunden, die als Füllschutt verbaut waren. Und dann stellte sich noch heraus, dass Teile, die im Löwen verbaut waren, zur Löwin gehörten, die sind dann zu ihr gewandert. Der Löwe muss nun mit weniger Originalelementen auskommen, ihn mussten wir am stärksten plastisch ergänzen.

Was ist Ihr Fazit des ungeheuren Aufwands, den Sie und Ihre Kollegen jhrelang getrieben haben?

Wir wussten, dass wir etwas sehr Besonderes machen. Im Lauf der Zeit hat dann aber alles so zu unserem Alltag gehört, dass es seine Besonderheit verlor. Große Momente waren, wenn etwas fertig wurde, das dann auf einmal dastand. Dass man fast erschauderte. Erst hatte man eine Figur nur als Abbildung, dann zwei Jahre lang als Problem, weil irgendetwas nicht geklappt hat, und dann steht sie da: Es gibt wieder etwas, das zuvor weg war. Erst mit etwas Abstand hat man gemerkt, warum man sich so angestrengt hat. Ich würde gern mit der Erfahrung von heute noch einmal so etwas machen. Weil es so besonders war, hat man sehr viel gelernt. Wäre man mit dem heutigen Kenntnisstand gestartet, hätte man sicher einiges anders gemacht, wäre manches viel zielgerichteter angegangen. Aber das liegt vielleicht im Wesen aller einzigartigen Aufgaben.

Ich kann Ihnen und Ihren Kollegen nur zu dem umwerfenden Erfolg gratulieren, zu dem Ihrer aller Bemühungen geführt haben!

Dr. Marlene P. Hiller

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