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Ein Land mit alten Freiheiten

Die bayerische Herrschaft in Tirol

Ein Land mit alten Freiheiten
Eine durchgreifende Reformpolitik funktioniert nur dann, wenn die Bevölkerung bereit ist, diese anzunehmen. Diese bittere Erfahrung machte der leitende bayerische Minister Maximilian von Montgelas, als er Tirol eine aufgeklärte Verfassung überstülpte, ohne auf die Eigenheiten und Traditionen des Landes Rücksicht zu nehmen.

Napoleon hatte in den spektakulären Blitzfeldzügen von 1805 gegen Österreich und Russland sowie von 1806 gegen Preußen diese drei Großmächte besiegt. Bayern war seit 1805 mit Frankreich verbündet, um seine Annexion durch Österreich zu verhindern. Durch den bayerisch-französischen Vertrag von Brünn und den Frieden von Pressburg 1805 erhielt Bayern, das seit 1806 Königreich war, die staatliche Souveränität gegenüber dem Reich zugesprochen. Es trat das Herzogtum Berg mit seiner Hauptstadt Düsseldorf an Frankreich und das ehemalige Fürstbistum Würzburg an den bisherigen Großherzog von Toscana, einen Bruder des österreichischen Kaisers, ab. Zum Ausgleich bekam Bayern wertvolle Besitzungen in Schwaben (darunter Augsburg und Lindau), Franken (Ansbach, etwas später 1806 auch Nürnberg) sowie weitere süddeutsche Gebiete. Vor allem sprach ihm Napoleon Tirol, Vorarlberg und die bisherigen Fürstbistümer Brixen und Trient zu. Für Bayern, das nunmehr von Bamberg im Norden bis an den Gardasee und nach Rovereto im Süden reichte, war dies eine erhebliche Machterweiterung, und wenigstens Südtirol und das Trentino waren auch wirtschaftlich bedeutend.

Napoleon zog es vor, die wichtigen Alpenpässe zwischen Deutschland und seinem Königreich Italien nicht in der Hand der Habsburger zu lassen. Auch dachten er und sein Außenminister Talleyrand wahrscheinlich daran, Bayern und Österreich dadurch für immer zu entzweien und Bayern auf Dauer vom französischen Schutz abhängig zu machen. Der leitende bayerische Staatsmann Maximilian von Montgelas war – im Gegensatz zu seinem Kurfürsten bzw. König Max (I.) Joseph – der Meinung, Tirol sei dem würzburgischen Gebiet vorzuziehen. Die tirolische Bevölkerung stehe der bayerischen „durch Naturanlagen und Sitten“ näher als die fränkische, die damals keine sonderlichen Sympathien für Bayern erkennen ließ. Montgelas, der in Bayern grundlegende Reformen auf allen Gebieten durchführte, die Staat, Gesellschaft und Recht modernisierten, hielt es für selbstverständlich, diese auch in Tirol einzuführen.

Es ist kaum daran zu zweifeln, dass die alten Freiheiten und Sonderrechte der Tiroler zu Konflikten mit jedem modernen Staat hätten führen müssen. Auch mit der habsburgischen Regierung, die die weitgehende Befreiung der Tiroler von Steuern und Abgaben sowie vom Militärdienst außerhalb der eigenen Grenzen meistens respektierte, stießen die Tiroler bereits unter Maria Theresia und Joseph II. zusammen, weil diese Herrscher durch ihre Verwaltungs- und Justiz-reformen den Einfluss der Wiener Zentralregierung verstärkten. Auch wegen der Religionspolitik Josephs II. kam es lokal schon damals zu blutigen Unruhen. 1789 drohte in Tirol sogar ein allgemeiner Aufstand loszubrechen, so dass sich Joseph II. veranlasst sah, die für die Tiroler provozierendsten seiner Reformen zurückzu-nehmen. Leopold I. und Franz II. kamen den Tirolern noch weiter entgegen, aber auch sie ließen die entscheidenden Maßnahmen in Kraft, die bewirkten, dass es keine echte Wiederherstellung der alten Landesfreiheiten gab und der Zentralstaat alle Tiroler Verfassungsorgane kontrollierte bzw. selbst leitete.

Insofern setzten die Bayern die Reformen Maria Theresias und Josephs II. fort, und doch gab es, besonders in psychologischer Hinsicht, grundlegende Unterschiede: Die Habsburger ließen die alten ständischen und lokalen Einrichtungen pro forma bestehen, entmachteten sie aber tatsächlich, indem sie an deren Spitze staatliche Beamte stellten, während die Bayern seit 1808 Tabula rasa machten. Sie versuchten sogar, die Erinnerung an das alte Tirol auszulöschen, indem sie dieses Gebiet als „Südbayern“ bezeichneten und in drei voneinander unabhängige Kreise aufteilten. Ferner provozierten sie die Tiroler durch eine noch radikalere Kirchenpolitik, als es Joseph II. mit der Aufhebung zahlreicher Klöster je getan hatte. Im Zeichen der Gleichbehandlung aller Provinzen versuchten die Bayern, die jungen Tiroler zum Militärdienst einzuziehen, und wunderten sich, wenn diese dann in den Bergen verschwanden, anstatt sich zu stellen. Nicht zu‧letzt war es ein gewaltiger Unterschied, ob die althergebrachte Regierung oder eine aufgezwungene Fremdherrschaft den Tirolern un‧populäre Maßnahmen und auch wirtschaftliche und persönliche Opfer aufzwingen wollte. Die Münchner Re‧gierung schickte zwar neben schlechten und fanatischen auch fähige und verständnisvolle Beamte nach Tirol, aber insgesamt hatten die Bayern im Gegensatz zu den Habsburgern keine Erfahrung in der Behandlung fremder Völker. Kaiser Franz konnte die Tiroler 1809 auch noch so enttäuschend im Stich lassen, nachdem seine Agen‧ten diese aufgewiegelt und vielfach falsch informiert hatten, er war doch der angestammte Herrscher, der es verstand, sich die Sympathien der Tiroler zu erhalten.

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Mit Resignation nahmen die kriegsmüden Tiroler nach der Wiederangliederung an das Habsburgerreich 1814 nach und nach zur Kenntnis, dass viele der durch Bayern eingeführten Reformen in Kraft blieben und die alte Landesverfassung nur scheinbar wiederhergestellt wurde. So gab es trotz aller Kriege und Umbrüche eine gewisse Kontinuität, mindestens auf dem Gebiet der Verwaltung, von Maria Theresia und Joseph II. über die bayerische Herrschaft bis zur Habsburgermonarchie des Vormärz…

Literatur: Helmut Reinalter, Aufklärung – Absolutismus – Reaktion. Die Geschichte Tirols in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Wien 1974.

Josef Riedmann, Geschichte Tirols. München 1988.

Margot Hamm, Die bayerische Integrationspolitik in Tirol 1806 –1814. München 1996.

Eberhard Weis, Montgelas. Der Architekt des modernen bayerischen Staates. Zwei Bände in einem. München 2008.

Reinhard Heydenreuter, Tirol unter dem bayerischen Löwen. Geschichte einer wechselhaften Beziehung. Regensburg 2008.

Heinz Gollwitzer, Ludwig I. von Bayern. München 1986.

Reinhard Stauber, Der Zentralstaat an seinen Grenzen. Administrative Integration, Herrschaftswechsel und politische Kultur im südlichen Alpenraum 1750 –1820. Göttingen 2001.

Prof. Dr. Eberhard Weis

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