Die Vergabe der Mark war nötig geworden, weil Markgraf Ekkehard von Meißen drei Monate zuvor ermordet worden war – eine Tat, die Heinrich den Weg zur Königsherrschaft geebnet hatte, denn Ekkehard war sein mächtigster Konkurrent um den Thron gewesen. Heinrich teilte die Mark Meißen, mußte sie aber auf Druck des sächsischen Herzogs Bernhard und des Markgrafen Gero II. an Ekkehards Verwandte ausgeben. Meißen erhielt Ekkehards Bruder Gunzelin, die Lausitz und das Milsener Land Ekkehards Schwager, Boleslaw Chrobry. Um ein Haar wäre es in Merseburg zu einer Bluttat gekommen: Als Boleslaw die Pfalz verlassen wollte, wurden er und sein Gefolge überfallen. Aber mit Hilfe Herzog Bernhards gelang die Flucht. Der König hätte den größten Vorteil vom Gelingen des Überfalls gehabt, denn Boleslaw und Gunzelin waren nicht seine Wunschkandidaten gewesen. Und wirklich zeigte sich Heinrich, durch den Merseburger Akt Lehnsherr des Polen, weder als Beschützer noch als Verteidiger seines polnischen Lehnsmannes. Was konnte das anderes bedeuten als offene Feindschaft?
Der Merseburger Überfall stand am Anfang einer langen Konfrontation zwischen beiden Herrschern, unterbrochen durch die Friedensschlüsse von Posen 1005, Merseburg 1013 und Bautzen 1018. Man spricht gern von den „Polenkriegen“ Heinrichs II. – und das ist in zweifacher Hinsicht mißverständlich: erstens ist der Begriff Fehde angemessener, denn die „Kriege“ waren wesentlich Verwüstungszüge in das Land des jeweils anderen. Zweitens atmet das Wort „Polenkriege“ den Eiseshauch nationaler Interessenpolitik, der Konflikt war aber alles andere als ein national begründeter Gegensatz zwischen Deutschen und Polen.
Aber nochmals zurück nach Merseburg. Daß 1002 ein Pole belehnt wurde, lag in der Konsequenz der engen verwandtschaftlichen, freundschaftlichen und herrschaftlichen Bindungen, die am Ende des 10. Jahrhunderts zwischen der polnischen Herrscherfamilie der Piasten, Teilen des sächsischen Adels und dem deutschen König entstanden waren. Ursächlich dafür war ein gemeinsamer Gegner unter den slawischen Stämmen, die zwischen Elbe/Saale und Oder siedelten. Die beiderseits der Peene im heutigen Mecklenburg-Vorpommern lebenden Elbslawen hatten sich als „Liutizen“ (wohl von slawisch ljut/wild) 983 zu einer Konföderation zusammengeschlossen und das unter Kaiser Otto I. geknüpfte Netz aus Grenzmarken und Missionsbistümern im elbslawischen Raum (Brandenburg, Havelberg und Oldenburg/Holstein) zerstört. Auch der Liutizenaufstand war kein ethnisch bedingter Konflikt zwischen Slawen und Deutschen, sondern richtete sich gegen die Bedrohung, die von einem christlich geprägten und hierarchisch organisierten Herrschaftsverband für die traditionelle Lebensweise und Religion der elbslawischen Stämme ausging. Seit der Taufe des polnischen Fürsten Mieszko I. 963/64 drohte diese Gefahr nicht nur aus dem sächsischen Westen, sondern auch aus dem polnischen Osten. Die Interessen Mieszkos und des ottonischen Reichs deckten sich so weitgehend, daß während der Regentschaft der Kaiserin Theophanu für ihren minderjährigen Sohn, den späteren Kaiser Otto III., mehrfach gemeinsame Heereszüge unternommen wurden…
Prof. Dr. Knut Görich