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Erste europäische Hochkultur?

Die Kykladen vor 5000 Jahren

Erste europäische Hochkultur?
Die bronzezeitlichen Kykladen-Idole faszinieren Betrachter bis heute, scheinen sie doch fast moderne Kunst vorwegzunehmen. Doch bei aller ästhetischen Faszination bleibt die Frage: Welchem Zweck dienten die Idole einst? Und warum wurden sie mit Punkten und Strichen farbig bemalt?

Menschenfiguren aus Marmor, ästhetisch ansprechend, wohlproportioniert, in der Form reduziert, uralt und doch zeitlos – sie haben die Kykladen-Kultur des 3. Jahrtausends v. Chr. berühmt gemacht. Wenn wir ehrlich sind, fasziniert uns nach wie vor zunächst die Schönheit der Figuren. Doch hat die Wissenschaft in den letzten Jahren so viele neue Aspekte dieser Kultur entdeckt, dass man sie schon fast als die erste europäische Hochkultur bezeichnen kann. Der Kultursprung geschah ausgerechnet auf den Kykladen, einer Gruppe kleiner Inseln in der Ägäis, windgebeutelt, sonnenverbrannt und scheinbar abgeschnitten von den Zentren der Weltgeschichte im Orient und im Okzident. Was hatte Menschen dazu gebracht, diese Eilande aufzusuchen und schließlich dort zu bleiben?

Die Kykladen boten schon in der Steinzeit einiges, was die Menschen gut gebrauchen konnten, an erster Stelle Obsidian. Das vulkanische Glas bildet sehr scharfe Kanten aus und eignete sich daher hervorragend für die Herstellung von Steingeräten aller Art wie Messer, Speer- und Pfeilspitzen. In einer Zeit, in der es noch keine Metallverarbeitung gab, war Obsidian sehr wertvoll und begehrt. Seit dem Spätpaläolithikum war es ein Exportschlager der Kykladen-Insel Melos, so dass man heute Obsidianklingen in den steinzeitlichen Schichten von Anatolien bis nach Nordgriechenland findet. Auch die anderen Kykladen-Inseln besaßen wichtige Bodenschätze, so etwa feinsten Marmor (Naxos, Paros, Keros), Schmirgel (Naxos), Blei und Silber (Siphnos), Kupfer (Kythnos). Überhaupt Kupfer: Im 3. Jahrtausend erlangte man aus Anatolien die Kenntnis, wie sich aus Kupfer und Zinn ein neues, viel härteres Metall herstellen ließ: Bronze. So entstanden auf den Kykladen um 2700 v. Chr. die ersten Waffen und Werkzeuge aus Bronze – eine Revolution in der Kulturentwicklung: Die Bronzezeit Europas begann auf den Kykladen.

Den Bewohnern der Inseln gelang es, die einfachen Einbäume weiterzuentwickeln und Boote zu bauen, mit denen man schnell von Insel zu Insel sowie zu den Küsten Griechenlands und Kleinasiens fahren konnte. Das Holz für die bis zu 23 Meter langen Boote wurde auf Euböa geschlagen, denn so große Bäume wuchsen auch damals nicht auf den Kykladen. Bis zu 40 Mann benötigte man, um ein Boot schnell zu bewegen. Das bedeutet auch: Die Inselgemeinschaft konnte es sich leisten, zeitweise auf 40 leistungsstarke Männer zu verzichten, ohne dass die Landwirtschaft zusammenbrach oder die Siedlungen gefährdet waren.

Schon die Organisation des Schiffsverkehrs erforderte eine Auffächerung der Gesellschaft in Berufszweige. Notwendig waren etwa Zimmerleute oder Seefahrer mit Navigationskenntnissen. Die frühbronzezeitlichen Kulturgruppen der Ägäis standen jedenfalls in regem Kontakt untereinander und mit der Außenwelt. Die vielen Schiffsdarstellungen auf den sogenannten Kykladenpfannen (Griffschalen) sowie Schiffsmodelle aus Blei belegen die Bedeutung von Schifffahrt und Handel. Handel mit Kleinasien, dem griechischen Festland und Kreta lässt sich seit dem Neolithikum (5500 – 2300 v. Chr.) nachweisen, ein großes, überregionales Beziehungsnetzwerk entstand aber erst in der Bronzezeit. Ihre zentrale Lage und das Know-how ihrer Bewohner im Schiffsverkehr machten die Kykladen zu eine Drehscheibe im östlichen Mittelmeer, über die nicht nur Waren, sondern auch neue Ideen ausgetauscht wurden.

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Vor allem für den Warenhandel mit den östlichen Nachbarn benutzten die Kykladen-Bewohner das dortige Maß-system: zylindrische Marmorobjekte in unterschiedlichen Größen und Gewichten, die einem gemeinsamen System zugeordnet waren. Interessant ist zudem, dass man auf Gefäßen Stempelabdrücke fand, die Inhalt, Güte und Menge der in den Gefäßen befindlichen Ware angaben. Zwar kann man ein entwickeltes Schriftsystem (Linear A) erst im minoischen Kreta nachweisen, doch lassen sich die einige hundert Jahre älteren Stempelabdrücke auf den Kykladen-Gefäßen durchaus als eine Vorstufe von Schrift bezeichnen.

Die Auffächerung der Gesellschaft lässt sich auch an rund 1600 erhaltenen Marmoridolen und unzähligen Marmorgefäßen festmachen. Sie zeigen: Hier waren Menschen am Werk, die sich auf die Bearbeitung von Marmor spezialisiert hatten. Gebrochen wurde er auf Naxos und Paros. Seit dem Neolithikum fertigte man auf den Inseln Idole aus Marmor, teils füllige weib‧liche Figuren, deren Vorbilder im Orient zu finden sind, teils auf ein Minimum von Merkmalen reduzierte weibliche Figuren.

In der frühen Bronzezeit (seit etwa 2500 v. Chr.) geschah dann Erstaunliches: Damals wurden auf den Kykladen in großer Zahl zwar ebenfalls weibliche, aber in ihrer Form neuartige Idole hergestellt. Dabei handelt es sich um stehende nackte Figuren mit untergeschlagenen Armen (für sie hat der große Kykladen-Forscher Colin Renfrew den Begriff „Folded Arm Figures“, Figuren mit verschränkten Armen, geprägt). Gefunden wurden sie meist in Gräbern, nur einige wenige in Siedlungen. Obwohl es leichte Abweichungen in der Gestaltung gibt, folgen alle Figuren diesem Darstellungskanon.

Schon bald nach ihrer Entdeckung im 19. Jahrhundert drängte sich die Frage auf, welchem Zweck die Figuren dienten. Eine Beobachtung könnte uns der Lösung näher bringen: Auf einigen Marmorfiguren fanden sich Farbreste. Das erstaunt so manchen Betrachter, ist ihm doch lange eingeprägt worden, die schlichte Reinheit und Klarheit der Kykladen-Idole zu bewundern. Die Fachwelt verwundert es dagegen nicht, haben doch schon die ersten Entdecker der Figuren die Farben beobachtet und beschrieben. Doch noch immer ist das Rätsel, was es mit der Bemalung auf sich hat, ungelöst. Was bedeutete sie? Was machte sie aus der Figur? Eine Gottheit? Die Wiedergabe eines Menschen? Eine Dienerin für das Jenseits, ähnlich den ägyptischen Uschebtis? Oder – wegen ihres erotischen Aspekts – eine Konkubine? Eine Mittlerin zwischen Mensch und Gott oder ein Medium, wie sie Voodoo-Figuren darstellen? …

Kykladen – Lebenswelten einer frühgriechischen Kultur Badisches Landesmuseum Karlsruhe 17. Dezember 2011 – 22. April 2012

Zahlreiche Originale und Modelle veranschaulichen die Lebenswelt der frühbronzezeitlichen Kykladen-Kultur. Eindrucksvolle Grabbeigaben erzählen vom Umgang mit den Verstorbenen und geben Einblick in die damalige gesellschaftliche Ordnung. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Glaubenswelt. Kultplätze, Opfergefäße, vor allem aber die kykladischen Idole werden umfangreich präsentiert und ihre Bedeutungen sowohl im religiösen Leben als auch im Alltag dargestellt. Farbrekonstruktionen zeigen, wie die Idole ursprünglich ausgesehen haben könnten. Der Rezeption der Kykladen-Idole in der modernen Kunst ist ebenfalls ein großer Bereich gewidmet: Originalwerke berühmter moderner Künstler ermöglichen den direkten Vergleich mit ihren kykladischen Vorbildern.

Eine Ausstellung in Kooperation mit dem Zentrum für Altertumswissenschaften der Universität Heidelberg.

Zur Ausstellung erscheint im Primus Verlag (Darmstadt) ein reichbebilderter Katalog.

http://www.landesmuseum.de

Dr. Katarina Horst

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