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Europäisches Massensterben

Der Schwarze Tod im 14. und 15. Jahrhundert

Europäisches Massensterben
Der Schwarze Tod kam mit unvergleichlicher Wucht, und er traf auf eine Bevölkerung, die dem Sterben nahezu schutzlos ausgeliefert war. Quarantäne und Absonderung der Erkrankten gehörten zu den wenigen Gegenmaßnahmen. Vom Massensterben war es kein weiter Weg zum ersten Massenmord an den europäischen Juden, die als Sündenböcke für die unerklärliche Katastrophe herhalten mussten.

Die Pest hat wie keine andere Krankheit die Geschichte des Abendlands geprägt und eine bis in die Gegenwart reichende Erinnerung hinterlassen. Die in den letzten Jahrzehnten geführte Debatte über die Identität des Schwarzen Todes – seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts ist diese Bezeichnung für die Pestpandemie von 1347 bis 1353 üblich geworden – und der folgenden mittelalterlichen Pestepidemien ist durch neueste naturwissenschaftliche Forschungen gegenstandslos geworden. An verschiedenen Orten in England, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden und Italien konnte von verschiedenen Forschungsteams genetisches Material aus Zähnen und Knochen von Pesttoten des 14. Jahrhunderts extrahiert und auf den Erreger der Krankheit hin untersucht werden. Das Ergebnis ist eindeutig, selbst wenn sich hartnäckig anderslautende Theorien von viralen Infektionskrankheiten und Zuschreibungen zu anderen Krankheiten halten: Der heutige Erreger der Pest, das von Alexandre Yersin 1894 entdeckte und nach ihm benannte Bakterium Yersinia pestis, hat auch den Schwarzen Tod und die Pestepidemien seither ausgelöst.

Als Europa 1347 mit der Pest konfrontiert wurde, war es das zweite Mal, dass diese sich epidemisch ausbreitende Krankheit Europa überzog. Das erste Mal war es die sogenannte Justinianische Pest, die mehr als zwei Jahrhunderte, in den Jahren 540/41 von Ägypten aus bis in die Mitte des 8. Jahrhunderts, den Mittelmeerraum, die damals am dichtesten bevölkerte Region, heimgesucht hatte. Diese Pest war im 14. Jahrhundert weitgehend in Vergessenheit geraten. Die Pestpandemie dieses Jahrhunderts hatte ihren Ausgangspunkt in Asien, wohl im Gebiet der heutigen Mongolei. Dass sie sich im Abendland ausbreitete, war die Folge des Aneinanderrückens von Ost und West durch die Ausdehnung des mongolischen Herrschaftsbereichs, in gewisser Weise also das Ergebnis einer frühen Globalisierung. Der französische Historiker Le Roy Ladurie hat dafür die einprägsame Formel der „Vereinigung der Welt durch Mikroben“ gefunden.

1346 hatte die Pest das Kaspische Meer erreicht. Während 1347 die Mongolen bzw. Tartaren die genuesische Handelsniederlassung Kaffa auf der Krim, das heutige Feodosia, belagerten, breitete sich in ihrem Heer die mitgebrachte Pest aus. Unter diesen Umständen war ein erfolgreicher Abschluss ihres Kriegszuges unmöglich geworden. Doch sollte wenigstens ihr Gegner mit ihnen untergehen. So entschlossen sie sich in einem letzten verzweifelten Versuch, den Gegner zu bezwingen, zu einem Akt biologischer Kriegführung, wie man heute sagen würde: Sie ließen mit Katapulten Pestleichen in die Stadt schleudern. Ob dies nun ursächlich für den Pestausbruch dort war oder eher die Ratten die Pest verbreiteten, lässt sich nicht entscheiden. Jedenfalls trugen die Genuesen, die fluchtartig die Stadt verließen, die Pest auf ihren Schiffen mit sich und brachten sie überall dahin, wo sie auf dem Weg in ihre Heimatstadt Station machten. Der erste Ort war naturgemäß auf der Fahrt durch die Dardanellen Konstantinopel, wo die Pest wohl Anfang Juli ausbrach. Von hier aus breitete sie sich entweder über Personen, die sich vor der Krankheit in Sicherheit zu bringen versuchten, oder über anlandende Schiffe an der kleinasiatischen Küste aus und erreichte die arabische Halbinsel. Ein arabischer Chronist erzählt von einem Sklavenschiff aus dem Schwarzen Meer, das auf seinem Weg nach Alexandria einen Großteil seiner Besatzung und fast alle der 300 Sklaven an Bord durch die Pest verloren hatte, bevor auch die zunächst Überlebenden im Hafen der Stadt starben. Westwärts waren Griechenland und Mazedonien die ersten betroffenen Gebiete, bevor von Messina aus, dem nächsten Hafen der Genuesen, die Pest sich im Oktober in Sizilien auszubreiten begann.

Die wichtigsten Verkehrsrouten waren damals die Schifffahrtswege. Nur auf Schiffen ließen sich große Warenmengen transportieren. So ist es nicht verwunderlich, dass die Pest sich entlang den Küsten, von einem Hafen zum anderen, sehr viel schneller verbreitete als über die Verkehrswege im Binnenland. Die ersten Städte, die noch bis Dezember 1347 über pestversuchte Schiffsbesatzungen und die Ratten an Bord bald selbst die Pest in ihren Mauern hatten, waren Venedig, Pisa, Genua und schließlich Marseille, wo offensichtlich ein Schiff, das in Genua abgewiesen worden war, da man sich allmählich der tödlichen Schiffsfracht bewusst zu werden begann, gelandet war.

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Im folgenden Jahr 1348 wütete die Pest auf der ganzen italienischen Halbinsel. Neben Giovanni Boccaccios weltberühmter Schilderung der Pest in Florenz, die er selbst erlebte und überlebte und in der Einleitung zu seinem „Decamerone“ beschrieb, gibt es aus vielen italienischen Städten erschütternde Berichte, die den kaum vorstellbaren Schrecken, den diese tödliche Krankheit hervorrief, in ergreifenden Worten schildern. Die Provence mit Avignon lag ebenso auf dem Weg, den die Pest noch im selben Jahr über die Iberische Halbinsel und einen großen Teil der Städte in Frankreich nahm, wie England, wo ebenfalls, wohl über ein Schiff mit einer Weinladung aus der Gascogne, um die Jahresmitte 1348 die Pest ausbrach. Ende 1349 erreichte die Krankheit die deutsche Nordseeküste. Ostfriesland und Hamburg scheinen zu den ersten betroffenen Gebieten gezählt zu haben. Im Süden Deutschlands war die von Oberitalien sich ausbreitende Pest schon zu Beginn des Jahres neben vielen anderen Städten in München und Konstanz ausge-brochen. Über die Ostsee mit ihren Anrainerstaaten erreichte die Pest Nowgorod und Moskau, wo die Pandemie 1353 ihr Ende fand. Nur wenige weniger dicht besiedelte und von der Kommunikation eher abgeschnittene Gebiete waren verschont ge-blieben. Dies galt für Gegenden im Zentrum Frankreichs ebenso wie für Gebiete im südlichen Polen, in Schottland oder in Böhmen sowie für Island. Aber in der Regel war dies nur ein Aufschub, denn häufig waren die späteren Pestausbrüche, die dann auch diese Gebiete trafen, umso verheerender. Selbst seinerzeit bedeutende städtische Zentren in Deutschland wie Würzburg oder Nürnberg blieben von der ersten Pest verschont, Würzburg jedoch nur bis 1356, in Nürnberg forderte die Pest 1359 insgesamt 18 Wochen lang ihre Opfer. Die Zeitgenossen mussten bald feststellen, dass dieses Massensterben kein einmaliges Ereignis war, sondern es in Westeuropa noch 400 Jahre dauern sollte, ehe dieser Schrecken endlich sein Ende fand. Doch kam es nie wieder zu einer dem Schwarzen Tod vergleichbaren ganz Europa überziehenden Pandemie.

Was unternahmen die Verantwortlichen, um diesem fürchterlichen Sterben Einhalt zu gebieten? Der französische König Johann der Gute suchte Rat bei der Wissenschaft und beauftragte, noch bevor die Pest Paris erreicht hatte, im Oktober 1348 die medizinische Fakultät der Universität mit einem Gutachten. Die gelehrte Medizin zu dieser Zeit war jedoch keine empirische Wissenschaft, sondern stand bei der Erklärung neuer Krankheiten und den Vorgehens‧weisen bei ihrer Bekämpfung in der Tradition der Lehrmeinungen der berühmten Ärzte der Antike, Hippokrates, Galen und Ptolemäus, sowie ihrer mittelalterlichen Nachfolger, Avicenna, Averroes oder Albertus Magnus. Ursache der Pest, so lautete die Expertise, war die vergiftete Luft, das Miasma, das unter anderem durch eine ungünstige Planetenkonstellation entstanden sei.

Wenn es in der Folgezeit eine Vielzahl von Pesttraktaten, -schriften, -ordnungen und -rezepten gab, so blieben sie doch bei vielen Unterschieden im Detail bis ins 16. Jahrhundert in der Regel bei ihren Erklärungen und Ratschlägen denselben Erkenntnissen verpflichtet. Gegen das Miasma wurden offene Feuer, das Ausräuchern von Räumen, Duftstoffe und Ähnliches empfohlen, während ein weites Spektrum von Ernährungs- und Verhaltensvorschriften in Verbindung mit uns heute bisweilen sehr seltsam anmutenden Arzneimixturen vor der Erkrankung schützen sollte.

Der wirksamste Rat allerdings, den die Ärzte zu geben hatten, fand sich ebenfalls schon in den Schriften Galens: ,,Fliehe schnell weit weg und kehre erst spät wieder zurück.“ Doch selbst wenn man – anders als die aus Kaffa flüchtenden Genuesen – nicht den richtigen Zeitpunkt verpasste, stand dieser Ausweg doch nur einer kleinen wohlhabenderen Bevölkerungsschicht zur Verfügung. Darüber hinaus lag in ihren Händen als Mitglieder von Ratsgremien, Zunftvorständen, als Meister usw. zumeist auch die Verantwortung für andere, so dass durch eine Flucht möglicherweise das eigene und das Leben der Angehörigen gerettet werden konnte, sie gleichzeitig aber eine schwere Pflichtverletzung bedeutete. Ein Ausweg aus diesem Dilemma stellte zum Beispiel eine reduzierte turnusmäßig wechselnde Anwesenheitspflicht in Gremien dar, wodurch das Risiko zu erkranken etwas gemindert wurde.

Die Absonderung der Kranken von den Gesunden sowie Versuche, das Eindringen der Krankheit von außen zu verhindern, gehörten zu den ersten administrativen Maßnahmen der Obrigkeiten, um ihre Bevölkerung zu schützen. Zwar dürfte das in Mailand behördlich verordnete Einmauern der ersten Pestkranken in ihren Häusern ein Einzelfall gewesen sein, doch ob eingemauert oder nicht, die Kennzeichnungspflicht, die in vielen Städten für Häuser, in denen eine Pesterkrankung aufgetreten war, in Verbindung mit einem strikten Ausgehverbot für alle Hausbewohner verordnet wurde, war für die Betroffenen kaum weniger dramatisch.

Wie gezeigt, ging die erste Gefahr von den Häfen aus. So hatte Genua schon 1347 seinen Hafen vor den aus Kaffa zurückgekommenen eigenen Schiffen gesperrt und Landemanöver gewaltsam unterbunden. Mit Hafensperren versuchte sich auch Venedig vor der Pest zu schützen. Zu den frühen durch die Pest angestoßenen Innovationen für das Gesundheitswesen gehört die Einführung der Quarantäne. Der Rat der an der Adria ge‧legenen Hafenstadt Ragusa, dem heutigen Dubrovnik, das bis 1358 unter venezianischer Herrschaft gestanden hatte, verordnete 1377 allen anlandenden Schiffen und ihren Waren eine Quarantäne von 30 Tagen auf einer der Stadt vorgelagerten Insel, bevor sie in den Hafen gelassen wurden. Als erste systematische Schutzmaßnahme wurde diese Vorschrift bald auch auf den Waren- und Reiseverkehr auf dem Landweg ausgeweitet. 1383 folgte Marseille diesem Vorbild mit einer Quarantänedauer von 40 Tagen, wobei die Anzahl der Tage, die als ausreichender Schutz angenommen wurden, weniger durch konkrete medizinische Erkenntnisse abgesichert war, als vielmehr in Analogie zu in der Bibel überlieferten Begebenheiten gewählt wurde, so etwa dem 40-tägigen Regen der Sintflut oder dem Aufenthalt Christi in der Wüste vor der Versuchung durch den Teufel.

Prof. Dr. Neithard Bulst

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