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Französische Kinder deutscher Väter

"Enfant de boche": Erben der Besatzungszeit

Französische Kinder deutscher Väter
Obwohl offiziell nicht gern gesehen, unterhielten Soldaten der Wehrmacht im besetzten Frankreich häufig Beziehungen zu französischen Frauen. Rund 200 000 Kinder gingen daraus hervor. Eines dieser Kinder, deren Existenz man nach 1945 am liebsten ignoriert hätte, war Jean-Jacques Delorme-Hoffmann.

Die Bilder öffentlich geschorener Französinnen gingen nach der Befreiung Frankreichs durch die Alliierten im Sommer 1944 um die Welt: Die Frauen wurden der Kollaboration bezichtigt. Ihre Kinder galten als enfants de boches (boche war seit dem Ersten Weltkrieg als Schimpfwort für „den Deutschen“ gebräuchlich), die meisten von ihnen verlebten eine schwierige Kindheit und Jugend. Erst seit einigen Jahren dringt dieses heikle Kapitel der deutsch-französischen Beziehungen stärker an die Öffentlichkeit.

Die 19-jährige Französin Simone Delorme und der Deutsche Hans Hoffmann lernten sich 1941 in Paris kennen. „Meine Mutter arbeitete dort bei einer bürgerlichen Familie als Köchin. Mein Vater war Musiker im Großen Sinfonieorchester der Standortkommandantur von Groß-Paris. Sie begegneten sich auf der Straße, und es funkte.“ Obwohl Hans kein Französisch und Simone kein Deutsch sprach, entwickelte sich aus dem Flirt eine Beziehung, die drei Jahre währte. Glücklicherweise sprach Simones Freundin Christiane, eine Elsässerin, die selbst mit einem Deutschen zusammen war, Deutsch und konnte für das Paar dolmetschen. Bei ihr konnten sich die beiden auch treffen, denn Hans wohnte mit dem Orchester in einem Hotel, in das keine Französinnen mitgebracht werden durften.

Beziehungen zwischen deutschen Soldaten und französischen Frauen waren im besetzten Frankreich offiziell nicht erwünscht. So heißt es in einer „Zusammenstellung der wichtigsten Verfügungen der Mil.Verw. Frankreich“ der Kreiskommandantur Lisieux (Normandie) vom Februar 1941: „Der Verkehr mit der Zivilbevölkerung, insbesondere mit Französinnen, das Übernachten bei solchen, das Mitnehmen in Kinos, Unterkunft, Gastlokalitäten oder auf Autofahrten ist strengstens verboten.“ Die Praxis wurde allerdings sehr unterschiedlich gehandhabt.

Simone und Hans war es vergönnt, bis 1944 öffentlich als Paar zu leben. Zwar wurde das Orchester im Januar 1944 aufgelöst und seine Musiker in die Wehrmacht eingegliedert – Hans kam in ein Trainingslager in Fontainebleau, knapp 70 Kilometer südöstlich von Paris –, doch gelangen ihnen noch gelegentliche Treffen. Schwerer wurde es für sie nach der Landung der Alliierten am 6. Juni in der Normandie; am 13. Juli sahen sie sich zum letzten Mal. Hans wurde nach Chalon-sur-Saône versetzt.

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Einen Monat später zogen sich die deutschen Truppen aus der Normandie und der Bretagne zurück, der Vormarsch der Alliierten war nicht mehr aufzuhalten. Am 25. August kapitulierte der deutsche Oberbefehlshaber von Groß-Paris, Dietrich von Choltitz. Anfang September schickte Hans der hochschwangeren Simone aus Chalon-sur-Saône ein Telegramm und übermittelte Geld. Es war die letzte Nachricht, die Simone erreichte. Sie selbst hatte sich nach seinem Weggang aus Paris zu ihrer Mutter in das Departement Calvados in der Normandie geflüchtet.

Mit dem Vorrücken der Alliierten brach in den befreiten Gebieten Jubel über den Rückzug der Deutschen aus – und es kam zu Exzessen gegen die Mächtigen von gestern: Milizionäre, Denunzianten, Kollaborateure. Bei diesen „wilden Säuberungen“ stellte die Bestrafung der Frauen, denen man ein Verhältnis mit einem deutschen Soldaten unterstellte, ein besonderes Schauspiel dar: Sie wurden öffentlich gedemütigt, indem man ihnen den Kopf schor und sie, teils nackt, durch die Straßen trieb. Man beschuldigte sie, die Ehre der Nation verraten zu haben, indem sie sich einem Deutschen hingaben, im Jargon der Zeit: der „horizontalen Kollaboration“. Mitte September war die Phase der „wilden“ Aktionen beendet. Es wurden Sondergerichte eingesetzt, und man schuf eigens den Straftatbestand der „nationalen Unwürdigkeit“ (indignité nationale), der bei „direkter oder indirekter Hilfe für Deutschland oder seine Verbündeten“ gegeben sei. Darunter fielen Arbeit oder Handel mit Deutschen, Mitgliedschaft in einer Kollaborationsorganisation und Denunziation. Obwohl die Verordnungen sexuelle Beziehungen zu einem Mitglied der deutschen Armee nicht als Straftatbestand anführten, wurden in mehreren Departements die Frauen, denen man „horizontale Kollaboration“ vorwarf, systematisch vor Gericht gestellt – auch im Calvados.

Simone, die am 15. Oktober im Entbindungsheim von Lisieux Jean-Jacques zur Welt gebracht hatte, wurde bei ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus bereits erwartet. Ein Sondergericht verurteilte sie aufgrund von collaboration horizontale zu einem Jahr Gefängnis und zu einer fünfjährigen Strafe wegen indignité nationale. Letzteres bedeutete den Verlust der bürgerlichen Rechte: den Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts, den Ausschluss von öffentlichen Ämtern und das Verbot der Ausübung bestimmter Berufe. Erst im April 1945 schränkte das Justizministerium die Praxis ein: „Kein Gesetzestext erlaubt die strafrechtliche Verfolgung allein aufgrund der Tatsache, sexuelle Beziehungen zu einem Angehörigen der deutschen Armee [gehabt zu haben]“….

Natalie Reinsch

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