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Fremde Kinderwelten

Kinderporträts

Fremde Kinderwelten
Mit ernster Miene und strenger Kleidung, so begegnen uns Kinder auf Bildnissen des 16. bis 18. Jahrhunderts. Verglichen mit dem Aussehen heutiger Kinder wirken sie eher wie kleine Erwachsene. Was erzählen diese Bilder über die Kindheit, was über das Verhältnis von Eltern und Kindern zu dieser Zeit?

Betrachtet man bei einem Museums- oder Schloßbesuch Porträts von Kindern aus früherer Zeit, ist man oft irritiert. Zu wenig entsprechen die Darstellungen unserem heutigen Bild von Kindheit, in dem die eigenständige Persönlichkeit von Kindern und die Besonderheiten des kindlichen Verhaltens einen wichtigen Platz einnehmen. Sehen wir uns etwa das Bild des spanischen Hofmalers Andrés López Polanco an (links). Es entstand 1610 und zeigt die beiden spanischen Infanten Karl und Ferdinand, das fünfte und sechste der acht Kinder von Philipp III. von Spanien und seiner Gemahlin Margarethe von Österreich. Was erzählt uns dieses Bild über die Kinder, was über das Verhältnis ihrer Eltern zu ihnen?

Links ist der ältere Bruder Karl im Alter von zweieinhalb Jahren zu sehen. Er trägt das Ordenskleid der Dominikaner, um die Taille das Kreuz der Inquisition, in der rechten Hand einen Rosenkranz. Seine linke Hand reicht er seinem zehn Monate alten Brüderchen Ferdinand. Das Kind sitzt in einem kunstvoll gearbeiteten Kinderstuhl, das Kreuz der Inquisition hängt um seinen Hals. Seinem Alter entsprechend trägt Ferdinand ein prächtiges Kleid mit Spitzenkragen und Schürze – die gängige Kleidung für Jungen und Mädchen im Kleinkindalter. Erst mit etwa sechs Jahren bekamen die Jungen kurze Beinkleider, ein Wams und einen Rock. Um die Taille wurde dem Kind ein sogenannter Säuglingsgürtel gebunden. An ihm hängen ein Medaillon, Spielzeuge und ein Amulett. Auf dem Brett des Kinderstuhls liegen Stein-kugeln, seine linke Hand umfaßt ein Zwergäffchen. Am Stuhl springt ein Hund empor.

Das Bild verrät uns, daß die königlichen Eltern für ihre beiden Kinder eine Karriere als Kleriker vorgesehen hatten. Bei Karl wird dies durch die Kleidung angezeigt, er erscheint schon beinahe als kleiner Mönch; der ernste Gesichtsausdruck und die angedeutete Tonsur verweisen auf die spätere Würde. Kindlicher wirkt Ferdinand, vor allem durch die Spielzeuge und die Tiere, doch sind das prächtige Kleid, der kunstvolle Stuhl und das Kreuz um seinen Hals ein deutlicher Hinweis auf seine gesellschaftliche Position und seine zukünftige Rolle. Die Geste des Handhaltens gibt der Hoffnung auf geschwisterliche Eintracht Ausdruck.

Dieses Standesporträt entspricht zuallererst dem Repräsentationsbedürfnis der königlichen Familie. Die Kleidung hat dabei gesellschaftlich abgrenzende Funktion, wie dies auch bei Bildern von adligen Erwachsenen in dieser Zeit der Fall ist. Dar-über hinaus gibt das Bild Aufschluß über die Familienpolitik des spanischen Königshauses. Beide Kinder waren, da sie aufgrund ihrer Position in der Geschwisterfolge nicht als Thronfolger in Frage kamen, für die geistliche Laufbahn vorgesehen, um in dieser Funktion den familiären Einfluß zu mehren.

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Und doch gilt das 17. Jahrhundert als eine Zeit, in der sich die Einstellung zu Kindern veränderte – so jedenfalls sieht es der französische Sozialhistoriker Philippe Ariès. Bis auf wenige Ausnahmen habe das Mittelalter und auch das 16. Jahrhundert noch keinen Begriff von Kindheit im heutigen Sinn gehabt. „Kind“ war man, solange man unmittelbar abhängig von den Versorgern war. Danach wurde das Kind selbstverständlich Teil der Erwachsenenwelt. Wegen der hohen Sterblichkeit im Kleinkindalter sei auch das emotionale Engagement der Eltern begrenzt gewesen; man bekam möglichst viele Kinder, um die Verstorbenen zu ersetzen. Erst im 17. Jahrhundert, in dem sich nun auch die Kinderbildnisse häufen, sei die Kindheit überhaupt „entdeckt“ worden, habe man das Kind als eigenständiges Wesen wahrzunehmen begonnen. Dies spiegelt sich auch in unserem Bild: In den großen Augen, den kleinen geschürzten Mündern und der zarten Haut der Infanten wird eine idealisierte Kindlichkeit gestaltet.

Arbeits- und Lebensverhältnisse führten in der Tat dazu, daß „Kindheit“ in früheren Zeiten ein deutlich weniger klar definierter und von der Erwachsenenwelt abgegrenzter Bereich war, doch schriftliche Quellen des Mittelalters, vor allem aber des 16. Jahrhunderts, zeigen, daß Mütter und Väter auch dieser Zeiten ihre Kinder liebten und litten, wenn sie erkrankten oder gar starben. Auch in Polancos Porträt findet sich ein Hinweis auf die Angst der Eltern vor einem frühen Tod ihrer Sprößlinge: Das Amulett am Säuglingsgürtel Ferdinands ist als Schutz vor Krankheit und Unfällen zu verstehen, die Kreuze können ebenfalls diese Funktion erfüllen…

Dr. Heike Talkenberger

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