Der Berliner Historiker Arnulf Baring hat vor vier Jahrzehnten seine Studie über die Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie für die Jahre nach 1949 mit dem Satz eingeleitet: „Im Anfang war Adenauer.“ Bezogen auf die Vorgeschichte der Bundesrepublik, lässt sich mit ebenso großer Berechtigung sagen: Ganz im Anfang war Kurt Schumacher. Bis weit in das Jahr 1948 hinein war er der bekannteste deutsche Politiker, vor allem in den Westzonen, wahrscheinlich auch in der Sowjetisch Besetzten Zone.
Soweit sein Wirken in historischen Darstellungen der ersten Nachkriegszeit berücksichtigt wird, wird er zumeist mit dem Etikett des „Nationalisten“ und „Antikommunisten“ versehen und damit zu einem Mann gemacht, der „West und Ost im Wege stand“. Dabei war er wie kein anderer deutscher Politiker in jenen Jahren zum Stifter der demokratischen, das heißt auf Selbstbesinnung und Selbstbestimmung ausgehenden Identität der Deutschen schlechthin geworden.
Kurt Schumacher wurde am 13. Oktober 1895 in Culm an der Weichsel im überwiegend polnisch sprechenden Westpreußen als jüngstes Kind des Kaufmanns Carl Schumacher und seiner Ehefrau Gertrud geboren. Die Familie war wohlhabend. Der Vater war mehrere Jahre Stadtverordnetenvorsteher und stand der Freisinnigen Partei nahe. Da diese Partei am wenigsten der Germanisierungspolitik verdächtig war, wurde der Vater auch von polnischen Stadtverordneten in sein Amt gewählt. Für die geistig-politische Prägung des jungen Kurt Schumacher war neben dem politischen Engagement des Vaters und der frühen Lektüre linksliberaler und sozialdemokratischer Zeitschriften auch die Schule maßgebend…
Prof. Dr. Hartmut Soell