Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Glaubenseifer und Staatsräson

300 Jahre Universität Breslau

Glaubenseifer und Staatsräson
Politische Auseinandersetzungen, religiöse Konflikte, hartnäckige Ablehnung – als die Jesuiten vor 300 Jahren in Breslau eine Universität gründen wollten, sahen sie sich vielfältigen Schwierigkeiten gegenüber. Ein Kapitel Bildungsgeschichte im Zwiespalt von Scholastik und Aufklärung.

Die Idee werde „bey hiesiger gantzen Stadt eine unbeschreibliche Furcht, Perplexität und Kleinmüthigkeit“ auslösen – wer sich da im Jahr 1695 in einem langen Schreiben an den Kaiser grellster Farben und geradezu apokalyptischer Schilderungen bediente, war niemand geringeres als der Magistrat von Breslau, sonst eher einer bedächtigen Sprache verpflichtet. Die „Idee“ aber war die Gründung einer Jesuitenuniversität in der protestantischen Stadt.

Schon während des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) hatte in dem von den Habsburgern regierten Schlesien eine rigorose Gegenreformation eingesetzt. Nach und nach waren die schlesischen Einzelherrschaften und Städte rekatholisiert worden, nur wenige konnten protestantisch bleiben – darunter Breslau. Die Stadt duldete aber seit jeher eine katholische Minderheit samt Bischof in ihren Mauern, und auch die Verwaltung war mit katholischen Beamten und konvertierten Karrieristen besetzt.

Zwar blieben den Bürgern Zwangseinquartierungen kaiserlicher Truppen – die in aller Regel zu Massenbekehrungen führten – erspart, doch sah sich Breslau bald einem kaum weniger bedrohlichen Instrument der Gegenreformation ausgesetzt: der Gesellschaft Jesu. Der Jesuitenorden hatte seit seiner Gründung 1540 eine enorme personelle und räumliche Ausweitung erfahren und den katholisch beherrschten Teil Deutschlands mit einem Netzwerk von Niederlassungen überzogen. Nicht zuletzt wegen seiner strengen Disziplin und des hohen Bildungsstands seiner Mitglieder war der offensiv auftretende Orden sehr erfolgreich. Die allerorten eingerichteten Jesuitengymnasien dienten zur Ausbildung des Nachwuchses und zur Stärkung der katholischen Jugend. Zudem übernahmen Jesuiten Lehrstühle an deutschen Hochschulen, und nach und nach gelangten auf diese Weise die theologischen und philosophischen Fakultäten katholischer Universitäten weitgehend in jesuitische Hand. Über 100 Jahre sollte der Orden die katholische Bildungsgeschichte entscheidend bestimmen.

Auch in Breslau konnten die Jesuiten Fuß fassen: An einem Februarmorgen des Jahres 1638 ließ die Stadtwache die Kutsche eines hohen kaiserlichen Beamten ohne Inspizierung passieren. Darin schmuggelten die Katholiken zwei Mitglieder des Ordens in die Stadt, die zunächst in einer katholischen Kirche Asyl fanden und sofort mit einer offensiven Predigttätigkeit begannen. Der Magistrat wagte nicht, sie mit Gewalt zu vertreiben. Aus katholischer Sicht war damit in Breslau der Anfang gemacht.

Anzeige

Wenig später richteten die Jesuiten in der Stadt ein provisorisches Kolleg samt Schule ein. Regelmäßige Predigten blieben nicht ohne Wirkung, die Konversionen zum Katholizismus nahmen stetig zu, auf den Kanzeln bekämpften sich die Prediger beider Religionen, in den Straßen die Schulkinder der Jesuiten und der protestantischen Gymnasien. Wenn sich schon die Patres nicht aus der Stadt entfernen ließen , so wollte der Magistrat wenigstens ihre weitere Ausbreitung verhindern. Mit Gutachten und Gesandtschaften stritt er jahrzehntelang gegen Jesuiten und kaiserliche Verwaltungsbehörden um einen Standort für Kolleg und Schule. Dabei verliefen die Fronten nicht immer entlang des konfessionellen Grabens: Einmal sah es so aus, als würden die Jesuiten ein Franziskanerkloster in der Stadt übernehmen können. Die verbliebenen Franziskaner jedoch verbündeten sich mit den Protestanten, eine wütende Volksmenge verhinderte die Räumung und belagerte die Jesuiten in ihrem provisorischen Kolleg. Der Breslauer Magistrat mußte Stadtsoldaten zum Schutz der Jesuiten abstellen.

Ein Ende machten dem Streit schließlich 1659 die Teilübergabe und 1671 die Schenkung der kaiserlichen Burg in Breslau an die Jesuiten. Der Orden erhielt damit ein großes, repräsentatives Gebäude mitten in der Stadt, der Magistrat hatte verloren, die kaiserliche Kammer, die die Jesuiten jahrzehntelang unterstützt hatte, allerdings auch. Sie mußte die Burg verlassen.

Die mittlerweile rund 30 Jesuiten konnten an den nächsten Schritt denken: die Gründung einer Universität. Sie sollte die naturgemäße Fortsetzung des Gymnasiums sein. Hatte man im Februar 1638, gleich nach der Ankunft, zwölf Schüler unterrichtet, so waren es im Dezember 1638 schon 100, drei Jahre später 200. Ende des Jahrhunderts sollten es an die 900 sein.

Das 1695 nicht zum ersten Mal aufgekommene Gerücht, die Jesuiten könnten die Gründung einer Universität beabsichtigen, ließ erneut erbitterten Widerstand aufkommen. Eine katholische Hochschule mitten in einer überwiegend protestantischen Stadt, in einem zumindest dem Geiste nach protestantischen Land – das durfte nicht sein. Eine Gesandtschaft wurde nach Wien geschickt, Kaiser und Behörden schriftlich dringend gebeten, von der Gründung einer solchen Einrichtung abzusehen. Dabei mußten die Breslauer das nahezu Unmögliche versuchen, den eigentlichen Grund – die konfessionelle Abneigung – zu verschweigen und dafür anderes in den Vordergrund zu spielen. Schon damals waren Arbeitsplätze und Steuereinnahmen ein wesentliches Argument. So wies der Magistrat der Stadt darauf hin, daß Breslau eine Handelsstadt sei und Studenten und Kaufleute sich schwerlich vertrügen. Studentische Rauflust würde den Handel schmälern, Kaufleute würden in Scharen abwandern. Ganz untertänig versuchten die Stadtväter den Kaiser vor die Wahl zu stellen: „Ob nun Euer Kayl. und Königl. Maytt. an der conservation dieser treugehorsamsten Stadt, auß welcher Euer Maytt. jährlich pro Camerali, auß der Handlung allein, so ein solches Emolumentum ziehen, mehr gelegen, als an etlichen hundert Polnischen und Schlesischen Studenten, welche Eur. Maytt. nicht einen Thaler eintragen, ja deren Wirthe sich der Studiosorum Privilegien bedienen, und alle Victualien frey einführen, … stellen Euer Maytt. allergnädigsten Resolution wir in tieffster Submission anheim“.

Die Jesuiten wiederum konnten beim Kaiser gewichtige Argumente für eine Universität vorbringen: Ein solches Symbol des Katholizismus – für das man geschickt den Namen Leopoldina zur Ehre Leopolds I. vorschlug – habe nicht nur einen gegenreformatorischen Effekt, es würde auch das bisherige Abwandern von Jugendlichen zum Studium etwa in den protestantischen Niederlanden verhindern und das Geld im Land halten. Dazu müßten allerdings – entgegen jesuitischer Praxis – als zusätzliche attraktive Studienfächer auch Rechtswissenschaften und Medizin eingerichtet werden. Breslauer Bestechungsgelder bei Hofe sowie das Einschalten von Verbündeten verhinderten die Gründung der Universität für einige Jahre. Zudem war der Vater der Idee, Pater Wolff, in diplomatischer Mission unterwegs: er trug mit dazu bei, dem protestantischen Herrscher von Preußen 1701 die Königskrone zu verschaffen. Der Kaiser hatte sich jedoch längst entschieden, und 1702 genehmigte er schließlich die Gründung der Universität – wenn auch zur Beruhigung der Breslauer vorerst nur in zwei Fakultäten, ohne Rechtswissenschaften und Medizin. Die Bürger verlangten eine Verlegung in eine andere Stadt, kämpften gegen weitere universitäre Einrichtungen wie Apotheke und Druckerei, und als es um den fälligen Ausbau der Burg ging und dafür städtische Grundstücke benötigt wurden, rang man förmlich um jeden Quadratmeter. Alle derartigen Versuche scheiterten, doch brachten sie stets neue Verzögerungen mit sich, und so konnten die Jesuiten erst 1728 mit einem groß angelegten Neubau für Universität, Kolleg und Schule beginnen…

Literatur: Carsten Rabe, Alma Mater Leopoldina. Kolleg und Universität der Jesuiten in Breslau, Köln/Weimar/Wien, 1999.

Die Leopoldina heute

Seit 1945 gehört Breslau (Wroclaw) zu Polen. Die ehemalige Leopoldina ist die zweitälteste Universität des Landes. Heute studieren hier etwa 45.000 Studenten, 1650 Dozenten lehren in acht Fakultäten: Sprachen, Geschichts- und Erziehungswissenschaften, Verwaltung und Recht, Naturwissenschaften, Physik und Astronomie, Sozialwissenschaften, Chemie sowie Mathematik und Informationstechnologie. Zur Universität gehören außerdem ein botanischer Garten und ein naturwissenschaftliches Museum. Ihr 300jähriges Bestehen in diesem Jahr hat die Breslauer Universität mit zahlreichen Veranstaltungen gefeiert. So informierte eine Ausstellung über die Entwicklung der Hochschule. Es fand eine internationale Konferenz zur Geschichte der Universität, der Stadt Breslau und der Region Niederschlesien statt. Eine wissenschaftliche Tagung befaßte sich mit Zukunft und Osterweiterung der Europäischen Union. Im November erreichten die Feierlichkeiten ihren Höhepunkt in einer Zeremonie, an der auch die Präsidenten von Polen, Österreich, Deutschland und Tschechien sowie der polnische Premierminister, der Bildungsminister und andere staatliche Vertreter teilnahmen.

Dr. Carsten Rabe

Anzeige
DAMALS | Aktuelles Heft
Bildband DAMALS Galerie
Der Podcast zur Geschichte

Geschichten von Alexander dem Großen bis ins 21. Jahrhundert. 2x im Monat reden zwei Historiker über ein Thema aus der Geschichte. In Kooperation mit DAMALS - Das Magazin für Geschichte.
Hören Sie hier die aktuelle Episode:
 
Anzeige
Wissenschaftslexikon

Schwell|kör|per  〈m. 3; Anat.〉 schwammartiges Gewebe innerhalb einer festen Kapsel, das durch Blutstauung anschwellen, groß u. hart werden kann, bes. am Penis u. an der Klitoris: Corpus cavernosum

Rie|sen|schild|krö|te  〈f. 19; Zool.〉 größte Landschildkröte, bis 1,5 m lang u. 215 kg schwer: Testudo gigantea

Oto|skop  auch:  Otos|kop  〈n. 11; Med.〉 = Ohrenspiegel … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige