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Hitlers entscheidende Niederlage

Der Beginn des Ostfeldzugs

Hitlers entscheidende Niederlage
Mit dem Überfall auf die Sowjetunion wurden die hochgespannten Erwartungen von Politik und Militär im „Dritten Reich“ dem Test der Realität ausgesetzt. Wie viel Widerstand würde der Gegner mobilisieren können? Und welches Potential gab es auf deutscher Seite?

Ein „Sandkastenspiel“ würde der Krieg gegen die UdSSR sein, wie ein „Kartenhaus“ werde Stalins Regime zusammenbrechen. So soll Hitler nach dem Sieg gegen Frankreich den nächsten Schritt auf dem Weg zur Weltherrschaft angekündigt haben. Sichere Überlieferungen gibt es dafür nicht, und neue Forschungen zeigen, dass Hitlers Rolle wohl überschätzt wird. Tatsächlich ging die Initiative zu ersten militärischen Planungen von Generalstabschef Franz Halder aus. Er stützte sich dabei auf ältere Vorstellungen eines begrenzten Krieges mit einer Zangenbewegung über das Baltikum Richtung Leningrad sowie einem Stoß in die Ukraine. Nach einem kurzen Schlagabtausch mit der RotenArmee würde man – wie 1918 – Moskau den Frieden diktieren können, um sich danach mit aller Kraft nach Westen zu wenden.

Halders Plan, aus dem Stand heraus der Roten Armee einen vernichtenden Schlag zu versetzen, lehnte Hitler am 31. Juli 1940 ab. In der Annahme, dass England bald aufgeben würde, fasste der Diktator den „bestimmten Entschluss“ zu einem Überfall auf die UdSSR im nächsten Frühjahr. Konkrete Vorstellungen äußerte er vorerst nicht und skizzierte nur, dass der europäische Teil der Sowjetunion vollständig besetzt werden sollte. Das übertraf die bisherigen Kriegsplanungen Halders bei weitem. Doch dieser nahm Hitlers Entschluss nicht sonderlich ernst. Die militärischen Vorbereitungen liefen nur allmählich und gleichsam auf Sparflamme an. Andere Unternehmungen wie die mögliche Eroberung Gibraltars oder ein Einsatz in Nordafrika hatten Vorrang. Halder änderte seinen Operationsplan lediglich dahingehend, dass er jetzt mit aller Kraft auf die Einnahme der Hauptstadt Moskau setzte, um den Feldzug rasch beenden zu können. Dass Napoleon 129 Jahre zuvor mit einer solchen Strategie gescheitert war, dar-über sprach man im kleinen Kreis der Eingeweihten lieber nicht.

Hitler, der sich erst im Dezember 1940 einschaltete, interessierte sich nicht für Moskau. Er blickte auf die wirtschaftlich wichtigen Regionen, das Baltikum und die Ukraine. Widersprüche und Probleme in Halders Planungen blieben verdeckt oder wurden durch optimistische Annahmen ausgeblendet. Die ausgedehnten Pripjet-Sümpfe im Mittelabschnitt etwa spalteten den deutschen Angriff auf und sollten umgangen werden. Würde sich jedoch herausstellen, was Experten befürchteten, dass größere feindliche Verbände das Gebiet nutzten, um den Vorstoß deutscher Panzergruppen durch Flankenangriffe zu gefährden und damit den Vormarsch zu verlangsamen, konnte der Plan „Barbarossa“ frühzeitig scheitern.

Halder rechnete fest damit, dass es möglich sein würde, der Roten Armee bereits in der ersten Phase des Feldzugs vernichtende Schläge zu versetzen. Der Generalstab nahm an, dass an der Westgrenze der UdSSR etwa 100 „gute“ Divisionen stationiert waren. Dagegen würde die Wehrmacht nicht nur mit zahlenmäßiger Überlegenheit antreten, sondern dank ihrer überlegenen Führungskunst die Masse des Feindes einkesseln und vernichten. Nach den ersten 300 Kilometern würde man dann die Bildung einer neuen zusammenhängenden Front verhindern, in dem allgemeinen Chaos Moskau einnehmen und schließlich das Land bis zu einer Linie Astrachan–Archangelsk besetzen. Aus dieser Position würde eine kleine Besatzungsarmee die Abschirmung gegen feindliche Restteile im Ural und in Sibirien gewährleisten. Die Masse des Ostheeres könnte nach der Rückkehr in die Heimat in die Fabriken entlassen werden, um Flugzeuge und Schlachtschiffe für den möglichen Kampf gegen die angelsächsischen Mächte zu produzieren.

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Schon jetzt lag der Schwerpunkt der deutschen Rüstung bei der Kriegsmarine und der Luftwaffe, die im Einsatz gegen die Briten erhebliche Verluste hinnehmen mussten. Die Annahme der Heeresführung, mit den vorhandenen Kräften die Rote Armee innerhalb von sechs Wochen niederwerfen zu können, verhinderte, dass vor Beginn des Ostfeldzugs größere Anstrengungen für die Ausrüstung des Heeres unternommen wurden. Hitler hatte zwar befohlen, die Zahl der Panzerdivisionen zu verdoppeln. Dieses Ziel wurde aber nur durch eine Behelfslösung erreicht: Man nahm den vorhandenen Divisionen jeweils ein Panzerregiment weg, dessen erfahrene Kräfte dann den Kern der neuaufgestellten Divisionen bildeten, die man mit Rekruten auffüllte. Die für den Erfolg des Feldzugs entscheidenden Formationen marschierten gegen Russland folglich nur mit je zwei statt drei Regimentern auf. Im Vergleich zum Frankreichfeldzug hatten die Verbände damit eine wesentlich verringerte Angriffskraft und ein geringeres Durchhaltevermögen – und das bei einem riesigen Raum, der sich nach Osten trichterförmig vergrößerte. Schon im Frühjahr 1941 reichten zudem die Treibstoffvorräte nicht aus, um die Kraftfahrer ordentlich auszubilden und die neuen Formationen in größeren Zusammenhängen zu schulen. In zahlreichen Fällen mussten erbeutete französische Fahrzeuge genutzt werden, um die Divisionen mobil zu machen; Ersatzteile gab es für diese Fahrzeuge kaum.

So stand am 22. Juni 1941 eine Armee bereit, die nicht größer war als diejenige, die man im Jahr zuvor gegen Frankreich eingesetzt hatte. Rund 150 Divisionen, die meisten mit marschierender Infanterie und Pferdegespannen, nicht schneller als Napoleons Grande Armée, mit der Masse im Zentrum, um möglichst in sechs Wochen Moskau zu erreichen. Die langen Flanken im Norden und Süden deckten vor allem die verbündeten Finnen, Ungarn, Rumänen, Slowaken und Italiener ab. Auf ein Zusammenwirken mit dem verbündeten Japan, um Stalin in die Zange zu nehmen, verzichtete Hitler – ein Fehler, den er schnell bereute.

Tatsächlich überrumpelte der deutsche Überraschungsangriff die sowjetischen Grenztruppen, der schnell formierte Widerstand wurde überrannt. In der ersten Phase des Feldzugs schienen sich Halders Erwartungen zu erfüllen. Allein in der großen Kesselschlacht von Bialystok-Minsk (22. Juni  –  9. Juli 1941) wurden mehr als 300000 Gefangene gemacht. Freilich zeigte sich, dass die „Ausräumung“ der Kessel durch die schwerfälligen Infanteriedivisionen viel Zeit und Kraft erforderte, weil die Rotarmisten den Kampf oft auch in aussichtsloser Lage fortsetzten und der Wehrmacht erhebliche Verluste zufügten. Die schnellen Panzerverbände hatten derweil heftige Gegenangriffe zur Öffnung der Kessel bzw. Ausbruchsversuche abzuwehren…

Literatur: Rolf-Dieter Müller, Der Feind steht im Osten. Hitlers geheime Pläne für einen Krieg gegen die Sowjetunion im Jahr 1939. Berlin 2011. Michael Brettin/Peter Kroh/Frank Schumann (Hrsg.), Der Fall Barbarossa. Der Krieg gegen die Sowjetunion in unbekannten Bildern. Berlin 2011.

Prof. Dr. Rolf-Dieter Müller

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