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„Hochkultur fängt erst an, wenn der Alltag geregelt ist“

Interview

„Hochkultur fängt erst an, wenn der Alltag geregelt ist“

Das Badische Landesmuseum stellt in seiner Ausstellung „Imperium der Götter“ eine Reihe von Kulten vor, die im Römischen Reich eine beachtliche Anhängerschaft hatten. Was verbindet diese Kulte miteinander – und warum konnten sie neben der Verehrung der römischen Staatsgötter solchen Einfluss entwickeln? Mit Susanne Erbelding, Kuratorin der Ausstellung, sprach DAMALS-Chefredakteur Stefan Bergmann.

DAMALS: Frau Erbelding, was können antike Kulte den Menschen heute noch sagen?

Susanne Erbelding: Sie sind in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Zum einen ist die römische Kultur, die Kultur des Imperium Romanum, ohne die Religion, die Verehrung der Götter und die innere Einstellung, die die Römer dazu hatten, überhaupt nicht verständlich. Religion durchdringt im Römischen Reich alle Bereiche: den Staat, das öffentliche Leben, aber auch das private Umfeld. Zum anderen ist das Bedürfnis nach Spiritualität, nach Transzendenz, nach Hinwendung zu einer geistigen Autorität, die das Schicksal beeinflusst, ungebrochen – es war damals groß und ist es auch heute noch. Die Römer haben im Leben keine Entscheidung getroffen, ohne vorher die Götter zu befragen, haben also Lebenshilfe und Beistand bei den Unsterblichen gesucht. Die Beschäftigung mit dieser Welt gibt uns Aufschluss darüber, wie sie Daseinsprobleme lösten, die heute noch identisch sind.

DAMALS: Ist das tatsächlich vergleichbar?

Erbelding: Daseinsprobleme sind eine universelle menschliche Konstante. Allerdings war die Lage in der Antike eine besondere: Die Menschen fühlten sich den Göttern schon ausgeliefert. Diese entschieden für sie. Oder die Götter ignorierten einfach, was auf Erden geschah, schauten weg. Wenn man sie aber vernachlässigte, konnte es sein, dass sie Rache übten. Man musste daher darauf achten, den Göttern immer das zukommen zu lassen, was ihnen zustand. Dann hatte man eine gute Chance, ein gesichertes Leben zu führen. Im Gegensatz dazu vertreten wir heute ein aufgeklärtes, naturwissenschaftlich geprägtes Weltbild. Technische Errungenschaften oder Gesetze geben bei uns oft den Ausschlag für Entscheidungen. Das war in der Antike anders.

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DAMALS: Was fasziniert Sie persönlich an antiken Kulten?

Erbelding: Mich fesselt die damalige, bestimmte Art und Weise, Mensch zu sein. Zum Teil stellt man fest: Die Menschen waren uns in vielen Punkten ganz ähnlich, haben ganz ähnlich gefühlt. Und zum Teil erfährt man: Sie waren ganz anders. Von dieser Andersartigkeit kann man sich natürlich nicht nur befremden, sondern auch befruchten lassen und sich fragen: Ist das vielleicht eine Perspektive für mein Leben?

DAMALS: Welchen Ansatz verfolgt die Ausstellung „Imperium der Götter“?

Erbelding: Es ist längst selbstverständlich geworden, Ausstellungen über den römischen Alltag zu machen. Was haben die Römer gegessen? Welche Kleidung haben sie getragen? Das ist berechtigt. Aber wir gehen weiter und fragen: Was haben die Römer gedacht? Was hat sie angetrieben? Was sind die Beweggründe ihres Handelns? Und warum ist es ihnen gelungen, ein Weltreich zu errichten? Wer das verstehen will, muss sich mit dem geistigen Leben der Römer auseinandersetzen, muss ihre Kultur erfassen. Religion ist ein zentraler Teil dieser Kultur, sie ist immer präsent. Vor einer Schlacht war es zum Beispiel für den Feldherrn selbstverständlich, den Willen der Götter zu erkunden. Dafür brauchte er eine Prognose von den Heiligen Hühnern. Hatten die Heiligen Hühner gefressen oder nicht? Wenn sie ihre Körner nicht aufpicken wollten, schien die Schlacht schon fast verloren, selbst wenn strategisch und militärisch eigentlich alle Voraussetzungen günstig waren.

DAMALS: Die Ausstellung des Badischen Landesmuseums präsentiert die Kulte verschiedenster Götter, die sich vom 2. Jahrhundert v. Chr. an allmählich im Römischen Reich ausgebreitet haben und seit der frühen Kaiserzeit über eine zunehmend große Anhängerschaft verfügten. Es geht dabei um die Verehrung von Gottheiten wie Isis, Mithras, Mater Magna oder Jupiter Dolichenus. Was verbindet diese Kulte miteinander?

Erbelding: Man muss vorweg sagen – Anfang des 20. Jahrhunderts ist die Wissenschaft der Faszination erlegen, diese Kulte zu einer Gruppe zusammenzufügen, den sogenannten orientalischen Kulten. Dahinter steckte unter anderem die Annahme, es gebe bei Religionen einen Prozess der Evolution mit immer höheren Entwicklungsstufen. Diese Kulte gehörten danach in ein Entwicklungsstadium der Göttervielfalt, das später vom Monotheismus, das heißt vom Christentum, abgelöst wurde. Das ist aus Sicht der heutigen Forschung nicht mehr haltbar, man betrachtet die einzelnen Kulte viel differenzierter, einzeln und in ihrem konkreten Umfeld. Aber dennoch haben sie Gemeinsamkeiten, an die wir mit der Ausstellung anknüpfen. Zunächst handelt es sich dabei um die Verehrung von Göttergestalten aus dem Osten und Südosten des Römischen Reichs. Außerdem enthalten viele von ihnen Elemente der sogenannten Mysterienkulte. Das bedeutet: Die Anhänger durchlaufen eine Phase der Einweihung, in der sie sich als würdig erweisen müssen, und es gibt Bereiche der Geheimhaltung über das Erleben der Gottheit.

DAMALS: Was war der Grund für den Erfolg der genannten Kulte – kann man annehmen, das sich darin politische und gesellschaftliche Entwicklungen abbildeten?

Erbelding: Lange ist die Theorie vertreten worden, mit dem allmählichen Niedergang des römischen Imperiums und dem Erlebnis des Verfalls der Institutionen hätten die Menschen sich stärker transzendenten Inhalten zugewandt, hätten Trost und Orientierung in der Religion gesucht. Das wird heute so nicht mehr vertreten, wir wissen einfach zu wenig dar-über. Vielleicht waren diese Kulte ja gar nicht erfolgreicher als andere. Und vielleicht hatten die alten Gottheiten einfach einen Teil ihres Reizes verloren. Man kann aber schon sagen, was diese Kulte vermutlich interessant machte: Sie sind bilderreich – sie setzen ihre Gottheiten ins Bild, was sie für viele Menschen offenbar attraktiv machte. Und sie waren allein äußerlich exotisch, weil die Gottheiten als Fremde gezeigt wurden. So trägt beispielsweise der Gott Mithras eine phrygische Mütze, was auf seine Herkunft aus dem Orient verweist. Der Orient und besonders Persien wirkten auf die Römer weise, traditionell sowie kulturell überlegen und standen für altehrwürdige Autorität, was wiederum diesen Göttern besondere Wirkmächtigkeit verlieh. Außerdem wurden die Kulte in kleinen Gruppen von 25 bis 30 Menschen praktiziert. Das erzeugte wahrscheinlich ein Erlebnis von Nähe und Solidarität. Und man kann annehmen, dass die Römer ein großes Interesse für das Fremde hatten, das sie aus Überzeugung in ihre Kultur integrierten.

DAMALS: Ist dieses Interesse für das Fremde ein Grund dafür, dass die neuen Kulte sich problemlos neben den anderen Gottheiten einreihten?

Erbelding: Die Römer nahmen das Fremde in der Regel nicht als Bedrohung wahr. Die Kultur war für sie ein offenes System und die Religion eben auch. Daher treten diese Kulte neben die bestehenden römischen Gottheiten. Sie nehmen diesen nichts weg, sondern sie werden als andere Erscheinungsformen göttlicher Wirkmächte angenommen. Die neuen Gottheiten erfahren ebenfalls Verehrung – eher durch Individuen oder durch kleine Gruppen, aber sie finden auch Aufnahme in den staatlichen Kalender, indem es darin bestimmte Feste für sie gibt, auch wenn man sie nicht zu den Staatsgöttern zählt. Wichtig für Rom ist allerdings immer: Die traditionellen Götter wie Jupiter, Juno und Minerva, die das Wohlergehen und die Existenz des Staates sichern, werden immer vom Kollektiv beachtet, während die neuen Kulte eher Sache des Einzelnen sind.

DAMALS: Die Religion prägte die römische Gesellschaft. Bestimmte sie auch die Politik?

Erbelding: Das Imperium Romanum fühlte sich zwar anderen Reichen überlegen. Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass die Römer glaubten, eine besondere Nähe zu den Göttern zu haben. Aber das Römische Reich war keine Theokratie, in der es zum Beispiel eine Priesterschaft gibt, die man nicht übergehen kann. Die Römer waren religiös und pragmatisch: Sie bezogen die Götter in ihre Entscheidungen mit ein. Darüber hinaus pflegten sie ihr Recht und ihre Philosophie und hatten eine Aristokratie mit klaren Ämteraufteilungen.

DAMALS: Was können die Besucher der Ausstellung mitnehmen?

Erbelding: Die Römer haben so viel Schöpferisches und Wichtiges hervorgebracht. Und was weiß man von ihnen? Das Erste, was immer stark hervorgehoben wird, ist, dass sie die antike militärische Macht waren, in der das Soldatische und die Fähigkeit zu erobern im Vordergrund standen. Dazu kommt ihr besonderes Organisationstalent, das dazugehörte, um das Reich zu sichern und zu erhalten, sowie ihre Verwaltung und das römische Recht. Wir kennen die Römer auch noch als Kulturbringer – sie haben uns den Wein gebracht, die Fußbodenheizung, die Straßen, das Geld und die Wasserleitung. Aber das macht doch nicht das ganze Rom aus, schon gar nicht die mentale und psychische Stärke dieses Volkes. Die Hochkultur fängt doch erst an, wenn die Dinge des Alltags geregelt sind und man sich den wichtigen Fragen zuwenden kann: der Kunst, der Philosophie, der Literatur oder eben der Religion.

Susanne Erbelding M. A. ist Archäologin, Ausstellungskuratorin und Konservatorin für Römische Archäologie im Referat Antike des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe. Sie absolvierte ein Studium der Klassischen und der Vorderasiatischen Archäologie sowie der Alten Geschichte an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken und an der Universität Rethymno auf Kreta. Darüber hinaus studierte sie Allgemeine Pädagogik sowie Literatur- und Geschichtswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Erbelding arbeitet seit 1999 beim Badischen Landesmuseum. Sie kuratierte unter anderem die Große Landesausstellung 2009/10 „Erben des Imperiums – Königreich der Vandalen“.

Stefan Bergmann

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