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Islam und Staatsgewalt

Islamisches Rechts- und Staatsverständnis

Islam und Staatsgewalt
„Der Islam ist Religion und Staat“ (al-Islâm dîn wa-daula) lautet ein oft zitierter Grundsatz. Angeblich macht er es Muslimen grundsätzlich unmöglich, zwischen beiden Sphären zu trennen.

Sollte dies tatsächlich so sein, dann wären Muslime nicht in der Lage, eine der Grundlagen der modernen Demokratie zu anzuerkennen: die Trennung zwischen Religion und Staat, den säkularen Staat als neutralen Vermittler zwischen unterschiedlichen religiösen Glaubensrichtungen und Weltanschauungen. Der Slogan wird denn auch mit Vorliebe von Vertretern jener politischen Strömungen im modernen Islam im Munde geführt, die wir „islamistisch“ nennen, also jener Richtungen des politischen Islam, die der Demokratie westlichen Zuschnitts ablehnend oder gar feindlich gegenüberstehen und einen „islamischen“ Staat fordern, der nicht demokratische, sondern theokratische Züge tragen und die in der prophetischen Sendung Mohammeds geoffenbarte gottgewollte Ordnung auf Erden realisieren soll. Nun ist aber der eingangs zitierte Slogan vor dem 19. Jahrhundert gar nicht zu belegen. Er ist selber ein Produkt der Moderne, und es ist zu fragen, ob er tatsächlich historisch begründet ist und nicht bloß ein Idealbild oder das Postulat einer bestimmten modernen Ideologie darstellt.

Unbestreitbar ist, daß die Verbindung zwischen Religion und politischer Macht im Islam älter und enger gewesen ist als im Christentum. Während das Christentum sich drei Jahrhunderte lang gegen die Staatmacht des Römischen Reiches behaupten mußte, ehe es sie dann selbst übernehmen und durchdringen konnte, ist der Islam schon von seinem Stifter, dem Propheten Mohammed, in Formen gegossen worden, die Züge eines politischen Gemeinwesens aufwiesen. Die von Mohammed bis zu seinem Tode geleitete Urgemeinde (umma) von Medina (622–632) war auf der Arabischen Halbinsel etwas Neues: erstmals wurden die in tribaler Zersplitterung lebenden, in endlose Fehden und Blutrachen verstrickten arabischen Stämme – seßhafte wie nomadisierende – einer übergeordneten, auf Gesetz, Recht und Moral gegründeten Zentralgewalt unterworfen, einer politischen Ordnung, zu der auch die Einforderung von Abgaben und eine von der Zentrale betriebene „Außenpolitik“ gehörten; all dies zumindest Ansätze staatsähnlicher Strukturen, wie es sie bis dahin auf der Arabischen Halbinsel nicht gegeben hatte. Und nach dem Tod Mohammeds begann dieses Gemeinwesen kriegerisch zu expandieren und – nach dem Modell seiner Nachbarn Byzanz und Persien – imperiale Züge zu entwickeln.

Aufgrund dieser Entwicklung, die sich von der Frühgeschichte des Christentums deutlich unterscheidet, war der Islam nicht genötigt, kirchenähnliche Organisationsstrukturen zu entwickeln: Das Gemeinwesen selber war die äußere Form, in der die neue Religion sich manifestierte.

Die Frage ist nun, ob diese enge historische Verbindung tatsächlich unauflöslich ist; ob der Islam wirklich, wie manche seiner Anhänger behaupten, ohne die enge Verflechtung mit der Staatsgewalt nicht existieren könne. An dieser These sind Zweifel angebracht. Zunächst einmal enthält der Koran selber keinerlei Vorschrift über eine gottgewollte Staatsform. Auch Mohammed hat keine solche vorgeschrieben; er hat nicht einmal einen Nachfolger benannt (jedenfalls nicht nach der sunnitischen Mehrheitsmeinung), so daß nach seinem Tod seine Gemeinde eine Reihe bürgerkriegsähnlicher Krisen erlebte, innere Zwistigkeiten der umma, welche die Frommen als gottgewollte „Prüfungen“ verstanden. Zudem endet nach allgemein islamischer Auffassung mit dem Tode des Propheten die Prophetie überhaupt und damit die Theokratie: Mohammed gilt als das „Siegel der Propheten“, die durch ihn gebrachte koranische Offenbarung als endgültige Beglaubigung und Schlußstrich unter alle bisher den Menschen zuteil gewordenen göttlichen Willensbekundungen; nach Mohammed kann es daher nach islamischer Auffassung keinen von Gott direkt inspirierten Propheten mehr geben.

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Wie aber sollte das von Mohammed geschaffene Gemeinwesen gelenkt werden, wenn seine „Nachfolger“ – das bedeutet das arabische Wort Kalif (khalîfa) – nicht direkt von Gott inspiriert waren? Die vier ersten Kalifen waren aus seinem engsten Anhängerkreis durch Konsens bestimmte frühe Weggefährten, doch schon 661 kam mit dem Statthalter von Syrien, Muawija, die Familie der Omaijaden an die Macht, die sich als Dynastie etablieren konnte und bis 750 von ihrer Hauptstadt Damaskus aus das neue arabische Imperium regierte…

Prof. Dr. Heinz Halm

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