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Kabale und Liebe

Maria Fjodorowna – eine Zarin und ihr Traum vom Glück

Kabale und Liebe
Auf ihrem Schloß Pawlowsk vor den Toren St. Petersburgs versuchte die aus Württemberg stammende Zarin Maria Fjodorowna, geborene Sophie Dorothée, häusliches und familiäres Glück zu verwirklichen. Für höfische Intrigen sollte hier kein Platz sein

Als der deutsche, längere Zeit in russischen Diensten stehende Literat Johann Gottfried Seume im Sommer 1805 eine Fahrt nach Sankt Petersburg unternahm, war Schiller gerade gestorben. Die Zarin lud Seume nach Pawlowsk ein, um sich mit ihm über den Verstorbenen zu unterhalten. Sie „fragte mich viel über Schiller, dessen Tod noch das Gespräch der Stadt war, und sprach von seinen Schriften mit hoher Achtung… Da ich mit Schiller immer in freundschaftlichen Verhältnissen gewesen war, konnte ich mit wahrer Wärme von seinem Charakter sprechen.“

Seume erzählte, wie Schiller einmal vorzeitig den Zirkel seiner Freunde verlassen habe und nach Weimar zurückgekehrt sei, da ihn das Wohl seiner kleinen Tochter beunruhigt habe. Maria Fjodorowna, selbst Mutter von zehn Kindern und schon zu ihren Lebzeiten als Inbild einer treu sorgenden Familienmutter gerühmt, schien die Schilderung der Vaterseite des großen Schriftstellers „nicht unangenehm zu seyn. Sie sprach noch manches über unsere Literatur, und mit vieler Bestimmtheit und Klarheit und einer Kenntnis, die mich vielleicht bald in Verlegenheit gebracht haben würde: denn es ist natürlich, daß die Kaiserin mehr Zeit und Mittel hat viel und gut zu lesen und sich zu unterrichten, als ich.“

Ob Maria Fjodorowna auch Schillers „Kabale und Liebe“ gelesen hat, ist nicht überliefert. Der Titel dieses Trauerspiels bringt jedenfalls den sich im 18. Jahrhundert herausbildenden Gegensatz zwischen der höfisch-absolutistischen Sphäre und der entstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit, die sich in der häuslich-familiären Privatsphäre vorbereitete, auf eine prägnante Formel: Kabale, das ist die höfische Welt der Intrigen mit ihren Mechanismen der Machterhaltung und des hedonistischen Lebensstils. Die Liebe hingegen geht vom Glücks- und Freiheitsverlangen aller Menschen aus, beruft sich auf die innerlichen Werte und klagt als Gefühlsinstanz gegen die Ansprüche der Machthaber das Recht der Untertanen auf physische und seelische Integrität ein. Pawlowsk sollte nach dem Willen seiner Schöpferin zum Lebensraum einer so verstandenen Liebe werden, vor der die Kabalen schweigen und weichen.

In der Kunst wie im Leben suchte die Zarin die „Gemeinschaft der schönen Seelen. Sie entsteht, wenn sich die Sprache des Herzens mit natürlicher Schönheit paart, mit jener Anmut und Grazie, die unwillkürlich ist, von Herzen kommt und dergestalt alle künstliche und gestellte Schönheit, alle höfischen Gespreiztheiten und Verstellungen zum Feind hat.“ Beispielhaft stellt dies das einzige Gesamtporträt von Maria Fjodorownas Familie dar, das Gerhard von Kügelgen im Jahr 1800 gemalt hat: das Zarenpaar vor der Kulisse von Schloß Pawlowsk mit allen zehn Kindern, auch der bereits verstorbenen Olga Pawlowna, die in Gestalt einer Büste präsent ist. Die intime Selbstdarstellung der kaiserlichen Familie inmitten einer Naturidylle, die Männer in Uniformen, die Frauen in den luftigen, körperbetonten Gewändern im antikisierenden Stil der zeitgenössischen Mode, vermittelt das Bild einer Gemeinschaft empfindsamer Menschen, die gegenseitige Zuneigung, Natürlichkeit und musische Bildung mehr schätzen als die Demonstration von Macht, Reichtum und Überlegenheit.

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Diese Selbstinszenierung verfehlte ihre Wirkung nicht. Seume notierte dazu in seinem Reisebericht: „Pauls Familie von Kügelgen … verdient schon jetzt großen Beifall“. Die Präsentation der Zarenfamilie entsprach so ganz Seumes harmonistischem Gesellschaftsmodell , das von dem aufgeklärten Monarchen die Reform der gesellschaftlichen Mißstände erwartete. Paul I. und seine Familie schienen ihm für diese Hoffnung der rechte Garant zu sein, und Kügelgens Bild schien dies zu belegen: Es entwirft die Vision einer Humanisierung der menschlichen Beziehungen in der Familie, die im Denken der Spätaufklärer zur Keimzelle eines menschenfreundlichen Staatswesens avanciert, in dem jedem Individuum seine freie Entfaltung gemäß seiner eigenen Natur belassen wird.

Wie überall in Europa, so wird auch in Rußland der Teil des Adels, der sich von der höfischen Sphäre und ihren Kabalen absetzt, zu einem Träger der Emanzipationsbewegung, in der das Recht auf die Innerlichkeit der Gefühle, auf eine individuelle Moral und die Liebesharmonie in der Schutzzone der Familie erfochten wird. Im russischen Adel konnte sich eine solche Privatsphäre herausbilden, nachdem Peter III. den Adel von seinen Pflichten im Staatsdienst befreit hatte. Der Adel nutzte die neue Freiheit, um sich auf seine Landgüter zurückzuziehen (siehe dazu DAMALS 2/97). Unter den Landsitzen und Schlössern, die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts nach der neuesten englischen Mode entstanden, ist Pawlowsk nur eines von vielen. Wenn auch vielleicht das vollkommenste und schönste.

Auf diesen Landsitzen vor St. Petersburg und Moskau entfaltete sich eine Adelskultur, welche die positiven Aspekte der städtischen Kultur mit der Natürlichkeit und Annehmlichkeit des Landlebens zu verknüpfen suchte und mit der höfisch geprägten Kultur und dem Lebensstil unter Katharina II. zu konkurrieren begann. Wie Paul und Maria Fjodorowna gehörten die Erbauer dieser Landsitze einer neuen Generation an, die „auf die Stimme der Gefühlskultur und der Empfindsamkeit“ (Gennadij Wdowin) achtete. Empfindsamkeit und Aufklärung gehören zusammen wie die zwei Seiten einer Medaille. Tiefe Empfindung, echtes Gefühl, ungekünstelte Natürlichkeit im Verhalten, Freundschaftskult und Naturliebe bestimmen die Kultur der Empfindsamkeit, die am Ende des 18. Jahrhunderts vor allem an den kleineren Höfen Europas, aber auch im Bürgertum tonangebend wurde. Sie grenzte sich nach zwei Seiten ab: gegen die steife Etikette des höfischen Zeremoniells der Barockzeit und deren Verflüssigung in den arabeskenhaften Galanterien des Rokoko, aber auch gegen die Leistungsethik des aufstrebenden Bürgertums.

In seinem Bestsellerroman „La Nouvelle Héloïse“ gestaltete Jean Jacques Rousseau erstmals in der Literatur die Liebe des modernen, empfindsamen Menschen als wirkliche Leidenschaft, die er in elementare Naturerlebnisse einbettete, um ihre Natürlichkeit und Reinheit hervorzuheben. Rousseau war am Hof von Sophie Dorothées Eltern in Mömpelgard (Montbéliard) hoch geschätzt; ihr Onkel Ludwig-Eugen bezeichnete sich als Schüler des Philosophen. Die Begeisterung des Vaters, Friedrich Eugen von Württemberg, für Natur und Landschaftsgestaltung prägten die Jugend Sophie Dorothées ebenso wie die von der Mutter vermittelten Ideale eines einfachen und natürlichen Lebens, in dem das häusliche Familienglück an oberster Stelle stand. Denn im Unterschied zu den erotischen Eskapaden der Rokokozeit mündet das Liebesleid oder -glück bei Rousseau letztlich ins Familienglück. Die einander in inniger Liebe Zugetanen verwandeln sich fast immer in brave und tüchtige Eltern, umgeben von einer fröhlichen Kinderschar…

Die Zarin Maria Fjodorowna Aufgewachsen in Pommern, wo ihr Vater als preußischer General diente, und in der württembergischen Herrschaft Mömpelgard, erhielt Sophie Dorothée (geb. 1759) eine sorgfältige Erziehung. 1776 heiratete sie den russischen Thronfolger Paul und nahm den Namen Maria Fjodorowna an. Nach dem Tod Katharinas der Großen bestieg Paul 1796 den Thron, machte sich aber durch sein despotisches Auftreten und seine planlose Außenpolitik viele Feinde. Im März 1801 wurde er ermordet. Nachfolger wurde der älteste Sohn Marias, Alexander. Die Zarinmutter widmete sich fortan vor allem sozialen und kulturellen Aufgaben. 1828 starb Maria Fjodorowna auf Schloß Pawlowsk.

Krieg und Frieden – Ausstellung in München Ein „lebhaftes Bild von den in Schloß und Park Pawlowsk verwirklichten Ideen und Lebensidealen entwerfen“ – das ist das Ziel der Ausstellung „Krieg und Frieden. Eine deutsche Zarin in Schloß Pawlowsk“, die noch bis zum 10. Februar 2002 im Haus der Kunst in München zu sehen ist. Über 500 Exponate erzählen von der Geschichte des Schlosses und seiner Bewohner. Zu den Ausstellungsstücken gehören Gemälde und Kunsthandwerk, aber auch ganze Möbelensembles und dekorative Arrangements aus Uhren, Vasen, Leuchtern, Tafelgeschirr…

Prof. Dr. Hubertus Gaßner

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