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Kleine und große Wunderwerke

Museum für Musikatuomaten Seewen (CH)

Kleine und große Wunderwerke
Das Museum für Musikautomaten in Seewen (Kanton Solothurn) verfügt über eine der größten Sammlungen mechanischer Musikinstrumente weltweit. Dazu gehört auch die lange für verloren gehaltene Orgel des „Titanic“-Schwesterschiffs „Britannic“.

Nachdem die „Titanic“ am 15. April 1912 auf ihrer Jungfernfahrt mit einem Eisberg kollidiert war, wurden die Arbeiten an ihrem Schwesterschiff „Britannic“ vorerst eingestellt. Erst im Februar 1914 konnte der Luxusdampfer vom Stapel gelassen und mit dem Einbau der Innenausstattung begonnen werden. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Juli desselben Jahres beendete das Vorhaben neuerlich abrupt. 1915 schließlich beschlagnahmte die britische Admiralität den Ozeandampfer und funktionierte ihn zum Lazarettschiff um. Nur ein Jahr später fuhr das letzte Schiff aus der „White Star Line“ auf eine deutsche Mine und sank vor der griechischen Insel Kea.

Für die Hauptattraktion der Dauerausstellung im Museum für Musikautomaten in Seewen stellen ausgerechnet diese großen Katastrophen des frühen 20. Jahrhunderts einen Glücksfall dar. Lange Zeit war man davon ausgegangen, dass die mechanische Orgel, die für den Einbau auf dem Luxusdampfer vorgesehen gewesen war, nicht mehr existierte. Bei der Restaurierung der Welte-Philharmonie-Orgel des Museums für Musikautomaten in Seewen entdeckten die Orgelbauer dann jedoch unterhalb der Windlade dreimal das Wort „Britanik“ eingestanzt. Weltweit gibt es von dieser Orgel nur noch fünf funktionstüchtige Exemplare.

Zwischen 1770 und 1920 waren Schweizer Firmen auf dem Gebiet der Herstellung von mechanischen Musikautomaten führend. So erstaunt es nicht, dass das Museum im solothurnischen Wander- und Ausflugsgebiet Schwarzbubenland eine der weltweit größten Sammlungen von mechanischen Musikinstrumenten, Schweizer Musik- und Plattenspieldosen sowie von Uhren und Schmuck mit Musikwerk besitzt. Im Foyer sowie in drei Themensälen – dem Tanzsaal, dem Werkstattsaal und dem Salon Bleu – werden die unterschiedlichen Apparate in Aktion gezeigt, und es wird ihre Herstellung erläutert.

Mechanische Musikinstrumente, Orchestrien und Orgeln gehörten bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf amerikanischen Flussschiffen zur Ausstattung. In Schlössern, Kaufhäusern, Gaststätten und Schulen, auf Jahrmärkten, Rummelplätzen oder Kirchweihen sorgten Apparate wie die im Foyer ausgestellte Mortier-Tanzorgel (1915) für die musikalische Unterhaltung. Solche Orchestrien verfügen für gewöhnlich über rund 260 Pfeifen. Eine Welte-Philharmonie-Orgel, wie sie auf der „Britannic“ hätte eingebaut werden sollen, hat dagegen rund 2000 Pfeifen. Das Musikprogramm wurde auf speziellen Trägern gespeichert. Dazu gehörten neben Zylindern mit Stiften oder mit Häkchen bestückten Blechplatten insbesondere gelochte Papier- und Kartonbänder, bei denen das Ablesen des Programms zumeist pneumatisch (mit Druck- oder Saugluft) erfolgte.

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Klangen die verschiedenen Musikinstrumente anfänglich noch monoton, änderte sich dies mit der Entwicklung neuartiger Trägerquellen. Die Speicherung auf Papierrollen ließ erstmals die individuelle Inter‧pretation eines Musikstücks zu. Das Musikautomatenmuseum in Seewen verfügt über rund 1500 dieser Musikrollen.

Die populärsten europäischen und amerikanischen Komponisten jener Zeit haben eigens Stücke für die Musikautomaten eingespielt. Organisten wie Harry Goss-Custard, Edwin Lemare, J.  J. Nater, Paul Mania, Alfred Hollins oder Joseph Bonnet standen auf der Hitliste der „Britannic“. Da fast keine anderen Originalaufnahmen aus jener Zeit mehr existieren, ist die Museumssammlung somit auch von größter musikgeschichtlicher Bedeutung.

Das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert war nicht nur eine Zeit der Unterhaltungs- und Vergnügungssuche, sondern auch des aufkommenden Tourismus. Mit ihrer Naturlandschaft, ihren Seen, Flüssen und Kurbädern gehörte die Schweiz zu den beliebtesten Reisezielen weltweit. Doch auch Musikautomaten gehörten zu den Schweizer Attraktionen. Die Weber-UNIKA (1917) in Möhlin beispielsweise, einem Nachbarort des bekannten Kurbads Rheinfelden, war ein berühmter Anziehungspunkt für Touristen. Denn der neuartige Spielautomat war mit einer Art Bildschirm ausgestattet, auf dem neben verschiedenen Melodien auch bewegte Bilder vorgeführt wurden. Kleinere Modelle wiederum fanden durch Wander- und Straßenmusikanten ihren Weg in viele Dörfer und Städte.

Für die Oberschicht stellten die Musikapparate vor allem ein Statussymbol dar, wie man im authentisch gestalteten Salon Bleu optisch und akustisch vorgeführt bekommt. Aus den anfänglich manuell oder mit einem Uhrwerk versehenen kleinen Glockenspielen und Vogelautomaten entwickelten sich bald mit Dampf oder Elektrizität betriebene Verkaufsschlager. In Gestalt der Musikdosen sowie der Phonographen und Grammophone, die erstmals Aufnahmen von Stimmen ermöglichten, aber vor allem in Form des mechanischen Klaviers fand die klangvolle Zerstreuung auch in groß- und kleinbürgerlichen Heimen Eingang.

Das Repertoire an Artikeln mit zugehörigem Orgelwerk war unerschöpflich und nicht selten skurriler Art. So finden sich unter den Exponaten Schmuckstücke, Zigarren- oder Schnupftabaksdosen, Vogelkäfige, Bücher, Weinkaraffen, Bierkrüge und Kinderspielzeuge ebenso wie Heiligen- oder Papstfiguren mit Musikwerk. Selbst auf dem stillen Örtchen wollte man sich musikalisch verwöhnen lassen. Für Erwachsene gab es den walzerspielenden Papierhalter im Angebot, für Kinder Nachttöpfe mit speziell nach Geschlecht abgestimmten Melodien. Ein weiteres Glanzstück stellen die Figurenautomaten dar. Bei diesen stand jedoch weniger die Musik im Vordergrund als vielmehr die ästhetisch perfektionierten Bewegungen der Figuren.

http://www.bundesmuseen.ch/musikautomaten/

Nicole Janine Bettlé

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