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Kraft aus eigenem Stoff

Alternative Treibstoffe in der Zwischenkriegszeit

Kraft aus eigenem Stoff
Das Thema alternative Treibstoffe ist hochaktuell. Doch schon zwischen den Weltkriegen suchte man im Zeichen von nationaler Selbstversorgung nach Alternativen zum Benzin. Auch über mögliche Schäden für den Motor und eine mit dem Biosprit verbundene Nahrungsmittelknappheit wurde damals heftig gestritten.

In den 1920er Jahren wurden Befürchtungen laut, die Erdölvorräte des Planeten könnten nur noch für wenige Jahrzehnte ausreichen. Damals steckte die Exploration der vorhandenen Reserven erst in ihren Anfängen. Gelegentlich wurden derartige Gerüchte auch gezielt gestreut, um den Benzinpreis hoch zu halten. Automobile und sogar Motorräder fuhren nur wenige, doch je mehr es wurden, desto wichtiger wurde die Verfügbarkeit von Treibstoffen. Auf dem ersten Welt-Erdöl-Kongress in London 1933 befürwortete man daher, die unterirdischen Rohölvorräte zu schonen, indem man auf alternative Treibstoffe auswich. Gleichzeitig wurde man sich der militärischen Dimension der Treibstoff-Frage bewusst. Schon der französische Marschall Ferdinand Foch hatte während des Ersten Weltkriegs gemeint: „Ein Tropfen Öl ist ebenso viel wert wie ein Tropfen Menschenblut!“ Kriegsminister Georges Clemenceau bat zur gleichen Zeit die Alliierten um Öllieferungen, da der Stoff „in den kommenden Schlachten so notwendig ist wie Blut“.

Aus zivilen wie aus militärischen Gründen thematisierte man die Abhängigkeit europäischer Länder von ausländischen Lieferungen sowie die Nutzung von Ersatztreibstoffen. So wurden in Deutschland Verfahren zur Verflüssigung von Braunkohle („I. G.-Hydrierbenzin“) und zur Herstellung von Synthesebenzin aus Steinkohlenkoks (Fischer-Tropsch-Synthese) entwickelt. Großtechnisch realisiert wurde dieses Verfahren aber erst, als die NS-Regierung mit Subventionen eingriff. Immer wieder wurde auch über Diesel und Benzol aus den Kokereien, über die Energieträger Ammoniak, Flüssiggas, Stadtgas, Elektrizität, über Holzgas-Antriebe sowie über einen Alkohol-Beimischungszwang zu Benzin diskutiert. Dabei waren die Erdöl‧vorräte keineswegs knapp, und alle Alterna-tiven waren deutlich teurer. Aber das spielte angesichts des politischen Ziels größtmöglicher nationaler Selbstversorgung in der Zeit der Weltwirtschaftskrise und des aufkommenden wirtschaftlichen Nationalismus kaum eine Rolle. Halb Europa und teilweise auch die USA waren auf dem Autarkie-Trip. Die exportorientierte Weimarer Republik agierte bis zum Beginn der 30er Jahre vergleichsweise offen.

Von der einsetzenden Wende zum ökonomischen Nationalismus und den damit verbundenen Subventionen profitierte vor allem die Land- und Forstwirtschaft. Als die Nationalsozialisten die Regierung übernahmen, wurde die nationale Autarkie sogar zum Kern der Wirtschaftspolitik: Das kriegswirtschaftliche Förderprogramm sollte Arbeitsplätze schaffen. Unter dem „Waldforstmeister und Treibstoffkommissar“ Hermann Göring wurde etwa der Bau des Imbert-Holzgas-Generators weiterentwickelt. Dieser war nach Plänen des aus Lothringen stammenden „Holzgas-Papstes“ Georges Imbert gebaut worden. Staatliche Stellen streckten die nationale Benzinreserve außerdem, indem sie den Verschnitt von Importbenzin mit im Inland produzierten Alkoholen anordneten. Adolf Hitler jubelte auf der Internationalen Automobilausstellung 1936 in Berlin: „Die Not der deutschen Brennstoffversorgung … kann als überwunden angesehen werden. Der Weg zum deutschen Brennstoff ist frei. Gerade auf diesem Gesamtgebiet haben unsere Chemiker und Erfinder wahrhaft Be‧wunde‧rungswürdiges geschaffen. Nun vertrauen sie auf unsere Entschlusskraft, dieses theoretisch Geschaffene praktisch zu verwirklichen!“

Doch nicht nur Deutschland setzte angesichts der Weltwirtschaftskrise auf Selbstversorgung. In Österreich befasste sich das staatliche Österreichische Kuratorium für Wirtschaftlichkeit (ÖKW) seit 1931 mit Fragen der Treibstoffabhängigkeit. Dessen Geschäftsführer, der Maschinenbauer, Offizier und konservative Politiker Ernst Streeruwitz, ließ Versuche mit Holzgasgeneratoren auf einem „Gräf & Stift“-Lkw durchführen. Mittels trockener Destillation (Verbrennung unter Luftabschluss) sollten die dabei freiwerdenden Gase zum Betrieb von Verbrennungsmotoren genutzt werden. Die Versuche wurden seit 1931 in Kooperation mit dem österreichi‧schen Bundesheer und der größten österreichischen Waldbesitzerfamilie Thun-Valsassina vorangetrieben. Streeruwitz argumentierte, dass „… die bisherigen Energiequellen der Welt ihre Kraftstoffe nicht mehr in unbegrenztem Ausmaß oder zeitweise, zum Beispiel bei Kriegsgefahr, gar nicht zur Verfügung stellen werden“.

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1934 veranstaltete das ÖKW mit Unterstützung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft und der Arbeiterkammer sowie mit schweizerischen und italienischen Partnern die „Erste Internationale Alpenwertungsfahrt für Kraftfahrzeuge mit Ersatzbrennstoffen“. Von Innsbruck ging es nach Zürich, dann über Andermatt nach Mailand, weiter nach Bozen und Lienz, über die neue Großglockner-Hochalpenstraße und Salzburg zurück nach Innsbruck. Die Wertungsfahrt in der Kategorie für feste Ersatzbrennstoffe gewann ein Fünf-Tonnen-Lastwagen mit Imbert-Holzgasgenerator aus der Schweiz, der zwischen 17 und 30 Kilometer pro Stunde gefahren war. Binnen fünf Stunden hatte er 100 Kilogramm Holz verbraucht. Auch in der Kate‧gorie der flüssigen Ersatzbrennstoffe gewannen die Schweizer auf einem Oldsmobile mit Braunkohlenteer-Destillaten, während die Italiener bei Methyl‧alkoholmischungen und die Österreicher bei den Rohspiritusmischungen punkteten.

1936 war es die Schweizerische Gesellschaft für das Studium der Motorbrennstoffe in Bern, die mit einer zweiten Alpenwertungsfahrt weitermachte. Sie führte mehr als 2000 Kilometer über die „schwierigsten schweizerischen Alpenpässe“. Die Fahrzeuge wurden von Treibstoffen auf der Rohstoffbasis Holz, Alkoholgemisch und Diesel angetrieben. Mit eigenen Lastwagen dabei waren die österreichische Post und das öster‧reichische Heer. Im Ergebnis lagen alle Fahrzeuge sehr eng beieinander. Der beste Holzgaswagen erhielt fast ebenso viele Punkte wie der beste Dieselwagen. Diesmal gewann in der Kategorie feste Brennstoffe ein österreichischer Saurer-Lastwagen mit einem Imbert-Vergaser. In der Kategorie Diesel gewann ein Saurer-Wagen des österreichischen Bundesheeres. Das Ergebnis wurde als Beleg dafür gewertet, „daß ein Wettbewerb zwischen Fahrzeugen mit festen und flüssigen Brennstoffen sehr wohl möglich ist“. Dies galt jedoch nur unter der Prämisse, dass wirtschaftliche Gesichtspunkte gering gewichtet wurden. Ebenfalls 1936 organisierte der Verein Deutscher Ingenieure eine eigene Ersatztreibstoff-Wettfahrt. Auch hier wurden Benzin und Wirtschaftlichkeitsfragen weitgehend ausgeklammert.

Insgesamt kristallisierte sich her-aus, dass der Holzgasgenerator Imbert’scher Bauart das vielversprechendste Ersatzbrennstoff-Aggregat darstellte. Aus ökonomischer Sicht war das Verfahren aber unbrauchbar. Ein Aggregat kostete über 20000 Schilling (rund 15000 Reichsmark) und wog 400 Kilogramm. Ein Paar Schuhe kostete damals etwa 30 Schilling; hinzu kamen das Brennstoffgewicht, der Raumbedarf sowie die aufwendigen Montage- und Motorumbauten. Für die gleiche Fahrleistung wie ein Benziner musste das Zehnfache an Raum für Holz und das Vierfache an Gewicht für den Brennstoffvorrat berechnet werden. Im Normalbetrieb blieb die Leistung durchschnittlich 20 Prozent unter der eines Benzinwagens. Das Deutschland der Vierjahrespläne kümmerte das wenig. Bereits 1936 fuhren dort 200000 Lkws mit Holzgasbetrieb, die von rund 700 staatlich subventionierten Holztankstellen versorgt wurden. Aus ökonomischer Sicht war auch der Elektrobetrieb mit seinen leistungsschwachen, kurzlebigen und schweren Batterien nachteilig. Dennoch lieferten etwa während des Zweiten Weltkriegs an die 1000 Elektrofahrzeuge der Brotfabrik Wittler in Berlin Backwaren aus – denn Benzin gab es nur gegen Bezugsschein.

Noch schlechter fiel die Bilanz für die zweitwichtigste Variante der Ersatztreibstoffe aus: die Alkoholtreibstoffe Ethanol und Methanol (Sprit) bzw. deren Benzinmischungen. Ließ sich mit dem Holzgasbetrieb die Forstwirtschaft subventionieren, profitierte durch den Alkoholbeimischungszwang die Landwirtschaft. Technisch war der Einsatz problematisch, weil die Motoren, vor allem beim Einsatz von Holzalkohol, rascher korrodierten und die Kilometerleistung sank. Alkohole aus Getreide, Kartoffeln oder Zuckerrüben konkurrierten jedoch mit der Nahrungsmittelversorgung. So bemerkte der Schweizer Chemiker Paul Schläpfer 1936: „Solange das natürliche Benzin zu einem so billigen Preise geliefert werden kann, wie das heute der Fall ist, wird der Alkohol nur dann als Motortreibstoff in Frage kommen, wenn gewisse Zweige der Wirtschaft unbedingt gestützt werden müssen … Durch diese hohe fiskalische Belastung des Benzins wird der relativ hohe Einkaufspreis für den Alkohol tragbar.“ Obwohl ökonomisch und technisch unsinnig, setzte sich der „Biosprit“ damals aus militärischen Gründen in vielen europäischen Staaten durch…

Dr. Günther Luxbacher

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