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Leistung allein genügt nicht

Gibt es Sporthelden?

Leistung allein genügt nicht
Alljährlich finden zahlreiche sportliche Meisterschaften statt. Doch längst nicht alle Weltmeister oder Gewinner von olympischen Goldmedaillen genießen Heldenstatus. Was ist es darüber hinaus, was einen Sportler zum über Generationen hinweg verehrten Helden macht?

Nachdem sich die deutsche Nationalmannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 bis ins Halbfinale vorgekämpft hatte, titelte die „Bild“-Zeitung trotz der anschließenden 0 : 2-Niederlage gegen Italien: „Unsere Helden“. Diese Überschrift zeigt, dass der Begriff des Helden – positiv besetzt – zum aktuellen (Sport-)Sprachgebrauch gehört. Gesellschaftlich wird es in Deutschland wieder geschätzt, sich durch Leistung aus der Masse herauszuheben, so wie es „WM-Held Jens Lehmann“ (dpa 30. Juni 2006) im Elfmeterschießen des Viertelfinales gegen Argentinien getan hat: durch die (einmalige) Leistung eines Einzelnen, die mit ihrem Effekt der Gesellschaft zugute kommt bzw. diese verändert. Der „Zettel der Nation“, auf dem Lehmann die Ecken-Vorlieben der gegnerischen Spieler notiert hatte, lag in Berlin bei der Spendengala „Ein Herz für Kinder“ 2007 auf einem Samtkissen; er wurde zugunsten der Hilfsaktion versteigert und befindet sich jetzt im Haus der Geschichte in Bonn.

Welche Person oder welche Personengruppe als Held wahrgenommen wird, hängt von der Konjunktur des Heldenbegriffs ab und ist somit soziokulturellen Schwankungen unterworfen. Bleibende Aktionen, die in das kulturelle Gedächtnis einer Nation eingegangen sind, und vergängliche Vorfälle werden durch die Altersgruppenfilter im Sinn einer speziellen Erinnerungskultur gesiebt. Dennoch existieren übergreifende Kriterien, die einen Helden ausmachen.

Ausgangspunkt für den Sporthelden ist eine außergewöhnliche körperliche Leistung, die möglichst in der Öffentlichkeit erbracht wurde, etwa in einem Wettkampf. Der überprüfbare Vergleich bietet quasi als Kontrollmedium den Standard, der die aufsehenerregende Tat hervorstechen lässt. Die beispiellose Leistung allein reicht jedoch nicht aus, um ein Held zu werden – sonst wären alle Weltrekordler Helden. Erst die außersportliche Wirkung der Tat auf die Gesellschaft, die soziale Spiegelung des individuellen Verhaltens des Athleten, ergibt die charismatische Vorbildfunktion, die eng verbunden ist mit Nähe, mit der Möglichkeit, sich mit der Person zu identifizieren, mit der Bewunderung des Helden, dem – einmal als Held identifiziert – selbst Unbeherrschtheit nichts anhaben kann.

Auch dazu eignet sich Jens Lehmann als Beispiel. Der 40-Jährige leistete sich kurz vor dem Ende der Partie seines aktuellen Vereins, des VfB Stuttgart, beim FSV Mainz im Dezember 2009 eine Tätlichkeit im Strafraum und sah dafür die Rote Karte. Nach der Partie wurde Lehmann von dem Mainzer Präsidenten Harald Strutz heftig kritisiert: „Das zeigt seinen Charakter und hat mit Sport nichts mehr zu tun. Er ist ein Mensch, der sich in Emotionen und Aggressivität aalt. Es geht ihm immer nur um sich selbst“.

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Der Begriff des „Sporthelden“ ist im Grunde ein Widerspruch in sich. Es werden zwar mitunter außergewöhnliche physische (und psychische) Leistungen im Sport erbracht, doch ist der Lebenswandel – zumindest während der sportlichen Karriere – sehr stark durch die Trainingspläne geregelt und somit nicht sozial übertragbar. Außerdem sind es überwiegend Jugendliche, die im Sport siegreich sind. Bei einem 40-jährigen Sportler wie Jens Lehmann sollte Charakterstärke vorhanden sein, doch kann von 15-jährigen oder wenig älteren Ausnahmeathleten ein stets wohlüberlegtes Handeln erwartet werden? Zu überlegen ist deshalb, ob nicht besser von Sportgrößen gesprochen werden sollte als von Sporthelden, da meines Erachtens Helden aus dem Sport erwachsen, es jedoch keine Sporthelden gibt. Zu den Werten, die damit verbunden werden, gehören geordneter Lebenswandel, Verlässlichkeit und Fair Play; sie bilden gleichsam die Identifizierungsgrundlage für aus dem Sport erwachsendes Heldentum.

Dass es in der öffentlichen Wahrnehmung Helden gibt, die aus dem Sport hervorgehen, ist ein Indikator für die Akzeptanz der Leibesübungskultur in der jeweiligen Epoche. So wurde beispielsweise jeder einzelne Sieg eines Athleten in der Antike durch einen Strich auf seinem Grabstein markiert, um über deren Anzahl die Bedeutung des Menschen, des Helden, sichtbar zu machen. Heute ist die Öffentlichkeit durch andere Medien als Grabsteine geprägt. Journalisten in Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk und Internet berichten über ausgewählte sportliche Ereignisse und lassen uns dadurch nur eine Auswahl des Geschehens wahrnehmen. Mit Eingang des Sports in die Medien wurden und werden aktuelle Themen diskutiert, Meinungen gemacht, Helden kreiert oder Legenden geboren.

Erstmals wurden 1927 drei Sportler mit dem „Goldenen Band“ des Vereins Deutsche Sportpresse e. V. Berlin ausgezeichnet: Ernst Vierkötter durchschwamm 1926 den Ärmelkanal in neuer Rekordzeit, Otto Peltzer stellte über 800 Meter, 1000 Meter, 1500 Meter und 800 Yards neue Weltrekorde auf, und Otto Schmidt gewann mehrfach das Championat der Flachrennjockeys. Diese Verleihung kann als Beginn der heute institutionalisierten jährlichen Sportlerehrung gewertet werden.

In der Rückschau wird deutlich, dass Otto Peltzer als aus dem Sport erwachsener Held zu sehen ist. Der sehr eigenwillig und selbstbestimmt agierende Peltzer, der sich nach ersten läuferischen Erfolgen durch sporttheoretische Vorträge weitere Starts erst ermöglichte und sich immer wieder zu Fragen von Sportkultur und Erziehung äußerte, war in den 20er Jahren einer der weltbesten Läufer auf den Strecken zwischen 500 und 1500 Meter. Als er 1926 bei den Internationalen Wettkämpfen im Rahmen der Funkausstellung in Berlin den Prestigelauf über 1500 Meter gewann und dabei im direkten Vergleich den Finnen Paavo Nurmi schlug und dessen Weltrekord über 1500 Meter deutlich unterbot, war die Sensation perfekt, und die Zuschauer stimmten spontan das Deutschlandlied an. Es war, wie das „Berliner Tageblatt“ es schon am Morgen des Rennens formuliert hatte, „ein klei-nes Häuflein erlesenstes Menschenmaterial“ an den Start gegangen.

1935 wurde Peltzer durch die nationalsozialistischen Justizbehörden der Homosexualität beschuldigt, verurteilt und in die Emigration getrieben. 1941 nach Deutschland zurückgekehrt, musste er, gedemütigt auch durch die Sportfunktionäre, die den Wunderläufer einst unterstützt hatten, mehr als vier Jahre Sklavenarbeit im Konzentrationslager Mauthausen verrichten. Als Trainer in Indien (1956–1967) wurde Peltzer geschätzt und durch die Erfolge seiner Athleten bei internationalen Wettkämpfen auch von deutschen Sportfunktionären wahrgenommen. Aber erst der Rhetoriker Walter Jens, der früher selbst aktiver Sportler war, würdigte in seiner Festrede zum 100. Jubiläum des Deutschen Leichtathletikverbands 1998 Otto Peltzer als „Inbegriff einer unverwechselbaren Persönlichkeit unter den Leichtathleten – Weltbürger und Patriot“. Auf seine Anregung hin beschloss der Verbandsrat des Deutschen Leichtathletik-Verbands am 4. Dezember 1999, dass „der DLV … in Anerkennung besonderer Verdienste um die Leichtathletik die Otto-Peltzer-Medaille [verleiht]. Die Medaille wird an Persönlichkeiten der Leichtathletik vergeben, die sich durch hervorragende Leistungen, mündiges Handeln und kritische Solidarität zur deutschen Leichtathletik ausgezeichnet haben.“ …

PD Dr. Swantje Scharenberg

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