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Mit allem hat sie mich berauscht…

Dichtkunst im maurischen Spanien

Mit allem hat sie mich berauscht…
Unter allen Künsten genoss bei den Arabern die Dichtkunst die höchste Verehrung. Im Córdoba der spanischen Kalifen hat diese Sprachkultur schon früh Wurzeln geschlagen.

In ihrer kargen Umwelt haben die Wüstenbeduinen ihre Sprache mit höchstem Raffinement und Enthusiasmus kultiviert, in einem Ausmaß, das wir uns heute kaum mehr vorstellen können. Der Klang und die Magie der Sprache zogen die Hörer bis zur völligen Verzückung in Bann. Der erste Emir von Córdoba, Abd al-Rahman I. aus dem Geschlecht der Omaijaden (731–788), war selbst ein begabter Poet. Das Arabische war die Sprache prunk- und kunstvoller Dichtung, nicht nur für die Muslime, sondern auch für die Christen, die Teile der Bibel aus dem Lateinischen in arabische Verse übersetzten. Dar- über hinaus war es die Sprache der philosophischen und theologischen Prosa auch für die Juden in al-Andalus. Die Juden erweckten andererseits ihr altehrwürdiges Hebräisch unter arabischem Einfluss zu neuem Leben. Arabische Versmaße, arabische Metaphern, arabische Themen wurden auf Hebräisch nachgeahmt, wodurch sich der Sprache der Bibel ganz neue Welten eröffneten; von nun an war es möglich, auf Hebräisch nicht nur den Gottesdienst zu feiern, sondern auch die Liebe, die Schönheit der Natur, die Freundschaft und den Weingenuss zu besingen. Im maurischen Spanien hat sich die Dichtkunst als arabisch-hebräische Doppelblüte entfaltet. Außerdem stand im islamischen al-Andalus auch die Wiege der spanischen Dichtung: Die ältesten Gedichte in einem ganz frühen, archaischen Altspanisch sind als Schlussverse in arabischen und hebräischen Strophengedichten überliefert.

Die größte Blütezeit der andalusischen Dichtkunst fiel in das 11. und das frühe 12. Jahrhundert, also eine Zeit des politischen Niedergangs. Das Kalifat war zerbrochen, zahlreiche kleine Königreiche wetteiferten miteinander um die besten Künstler, die raffiniertesten Dichter. In dieser Zeit lebten der einsame Gottsucher Ibn Gabirol aus Málaga (1020–1056), der seine philosophische Prosa auf Arabisch, seine glühenden Dichtungen auf Hebräisch schrieb; der arabische Aristokrat Ibn Saidun (1003–1070), der mit der omaijadischen Prinzessin Wallâda, selbst eine bedeutende Dichterin (um 1000-1091), eine kurze, intensive und tragische Romanze gelebt und in Versen besungen hat, die in der arabischen Welt bis heute unsterblich sind; der Cordobese Ibn Kusman (nach 1086–1160), der im Vulgärdialekt seiner Stadt das alltägliche Leben in seiner ganzen bunten Fülle eingefangen hat; der jüdische Fürst Samuel ha-Nagid (993–1056), der den König von Granada auf dessen alljährlichen Feldzügen als Heerführer begleitet und darüber auf Hebräisch ein einzigartiges Tagebuch geführt hat. Zu Samuels Gefolge gehörte ein gewisser Josef ibn Caprel (um 1000–1060), in dessen hebräischer Strophenkomposition das älteste Gedicht in spanischer Sprache erhalten ist, entstanden um 1040, lange bevor die Lyrik anderer romanischer Völker auf der Bühne erschien; es lautet: Tanto amare, tanto amare, habibi, tanto amare! Enfermeron olyos nidios, ya duolen tan male!

So viel lieben, so viel lieben, mein Liebster, so viel lieben! Krank wurden meine blanken Augen, sie schmerzen schon so sehr!

In jener Epoche blühte die jüdische Dichterschule von Granada, mit Moshe ibn Esra (1055–1135), der eine Anleitung zum Dichten in hebräischer Sprache auf Arabisch verfasst hat, und mit Jehuda ha-Levi (um 1075–um 1140), dem größten Dichter hebräischer Zunge nach dem biblischen König David; und die arabische Dichterschule von Valencia, mit Ibn Khafadja (1058–1139), genannt „der Gärtner“ wegen seiner fast schon romantischen Naturlyrik, und mit dessen Neffen Ibn al-Sakkak (1096–1134), der der Vergänglichkeit des Daseins ergreifenden Ausdruck gegeben hat. Als Beispiele seien zwei erotische Nachtgedichte angeführt, ein arabisches von Ibn al-Zaqqaq:

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Dreifacher Rausch Sie kam um Mitternacht, die Dunkelheit, die uns umfing, war schwarz wie ihre Locken. Sie reichte mir den Kelch mit frischem Wein, der uns mit seinem Duft die Nacht erhellte. Dazwischen goss sie alten Nektar ein mit ihrem Blick, mit ihrer Lippen Spalt. Mit allem hat sie mich berauscht: mit Wein, mit ihrem Mund, mit süßer Tändelei.

und ein hebräisches von Jehuda ha-Levi: Morgensonne Der Wangen Glut, die Pracht der vollen Locken enthüllte die Gazelle mir des Nachts: der zarten Schläfe lauteren Kristall deckt strahlend ein Rubin; ihr Antlitz gleicht der Sonne, wie sie morgendunkle Wolken mit ihres Aufgangs Lohe rot erleuchtet.

Auch die späteren Jahrhunderte haben noch bedeutende Dichter hervorgebracht. Der große Mystiker und Sufi-Meister Ibn al-Arabi aus Murcia (1165–1240) war nicht nur ein religiöser Denker ersten Ranges, sondern auch ein begnadeter Dichter, in dessen Werk die Sprache der weltlichen Liebe zur Chiffre für die Liebesvereinigung der Seele mit Gott wird. Von dem Granadiner Ibn Samrak (1333 –1393), Hofdichter der nasridischen Dynastie, stammen die meisten der Gedichte, welche die Wände und Brunnen der Alhambra schmücken. Die Alhambra, dieses fragile und dennoch unvergängliche Monument, wurde durch seine Verse zu einem späten Gesamtkunstwerk der andalusischen Kultur, in dem Architektur, Gartenkunst, Poesie und Kalligraphie in einer einzigartigen Synthese verschmelzen.

Literatur: Georg Bossong, Das Wunder von al-Andalus. Die schönsten Gedichte aus dem maurischen Spanien, München 2005.

Prof. Dr. Georg Bossong

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