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Modernität in Wien

Zur kulturellen Situation der jungen Republik

Modernität in Wien
Zwar zog es viele österreichische Kulturschaffende in den 1920er Jahren nach Berlin, doch etablierte sich vor allem im „roten Wien“ eine eigenständige kulturelle Landschaft, die zum Symbol für die sozial??demokratische Modernität in Westeuropa wurde. Und in Salzburg bildeten die Festspiele einen Gegenpol zum benachbarten Bayreuth.

Unternimmt man den Versuch, das kulturelle Leben Österreichs im Umfeld der Gründung der Republik im Jahr 1918 zu beschreiben, begegnet man den Ausläufern der Wiener Moderne, die durchaus auch in der Provinz ihre Zeichen hinterlassen hatte, dort aber in steter Konkurrenz mit der Antimoderne stand, die sich auf eine breite und stärker werdende Rezeption stützen konnte. Neben dieser Ambivalenz führten in zunehmender Weise der ökonomische Druck und die intellektuelle Strahlkraft des „modernen Berlin“ zu einer Abwanderung vor allem der jungen Repräsentanten der österreichischen Moderne nach Deutschland.

Daneben etablierte sich, eingebettet in den kommunalen Großversuch des Austromarxismus, der verbale Radikalität mit Kompromißbereitschaft im politischen Alltag verknüpfte, eine spezifische Form der Modernität im „roten Wien“. Diese wurde zwar international rezipiert, erlangte jedoch wegen ihrer klassenspezifischen Ausrichtung nicht jene Attraktivität, die die Basis für einen neuen, breitgestreuten Zuzug hätte werden können. Dieser war 1918/19 im Auseinanderbrechen der Monarchie endgültig ins Stocken geraten, wenngleich Wien weiterhin für junge Intellektuelle des ostmitteleuropäischen Raumes eine gewisse Anziehungskraft besaß.

Fokussiert man diesen knappen Befund auszugsweise an der österreichischen Kunst, so wird dies dramatisch deutlich: Gustav Klimt und Egon Schiele waren noch vor dem Ende der Monarchie 1918 gestorben, Oskar Kokoschka, der bereits seit 1910 an der Zeitschrift „Sturm“ in Berlin mitwirkte, wurde 1919 Professor an der Dresdner Akademie. Während die „großen Alten“ der literarischen Szene, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal oder Karl Kraus, weiterhin in ihrem bisherigen Milieu lebten, erlagen Joseph Roth und Robert Musil zumindest eine Zeitlang der Berliner Attraktivität. Andererseits zeigt das Beispiel Elias Canettis die noch intakte Anziehungskraft Wiens für einen jungen Intellektuellen, den allerdings eher familiäre Verbindungen aus dem heimatlichen bulgarischen Rustschuk nach Österreich geführt hatten.

Ökonomische Vorteile und kreatives Milieu, die die Stadt früher so anziehend gemacht hatten, ließen sich nun nicht mehr unbedingt mit Wien verknüpfen. Allerdings gab es auch Ausnahmen von der dadurch bedingten Abwanderung. So nahm zwar Arnold Schönberg 1925 die Leitung der Meisterklasse für Komposition an der Preußischen Akademie der Künste in Berlin an, während Anton von Webern, der 1922 mit der Leitung der „Arbeiter-Sinfoniekonzerte“ und des Wiener Arbeiter-Singvereins betraut wurde, in Wien seinen „Sitz im Leben“ fand. Alban Berg wiederum, Schüler Schönbergs und Freund Weberns, blieb ebenfalls Wien verhaftet, doch fand die Uraufführung seiner Oper „Wozzeck“ 1925 in Berlin statt. Ernst Kreneks Kompositionen wurden in Berlin, Kassel und Leipzig uraufgeführt, während Egon Wellesz, ein weit weniger radikaler Erneuerer als sein Lehrer Schönberg, in Wien eine Professur und die Staatsoper für seine Uraufführungen fand. Derartige Befunde lassen sich auf vielen Ebenen künstlerischer Kreativität machen, ob im Film, hier sei auf Fritz Lang verwiesen, oder im Theater, hier sei Max Reinhardts gedacht, der bald nach der Jahrhundertwende nach Berlin ging und in Wien und Salzburg nur ein zweites Standbein behielt.

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Im Bereich der Wissenschaften fällt die Diagnose nicht so dramatisch aus, da die Einbettung in den institutionalisierten Wissenschaftsbetrieb vorerst einer massiven Abwanderung entgegenstand, wenngleich auch hier diese Tendenz verdeutlicht werden kann: Die Physikerin Lise Meitner verließ Wien schon 1907, ihr Kollege Wolfgang Pauli folgte 1923. Erwin Schrödinger, der die Nachfolge Max Plancks in Berlin antrat, folgte 1927. Hans Kelsen, der „Vater“ der öster-reichischen Bundesverfassung von 1920, ging 1930 nach Köln, der Nationalökonom Josef Alois Schumpeter 1925 nach Bonn.

Derartige Auflistungen ließen sich fortsetzen, wenn man noch andere Zielländer heranziehen würde. Damit soll aber vorerst nur skizziert werden, daß das große kreative Milieu Wiens nach 1918 erhebliche Verluste hinnehmen mußte, während es gleichzeitig den Zustrom aus dem ost- und südosteuropäischen Raum, der charakteristisch für die Gründerzeit gewesen war, verlor. An die Stelle des von pluralen Strömungen geformten „Schmelztiegels“ Wien trat ein zunehmend „verknapptes“ Land, dessen Reaktion auf die Reduktion zu einem Kleinstaat die Flucht in unterschiedliche ideologische Beschränktheiten war.

So läßt Joseph Roth eine seiner Romanfiguren, einen polnischen Aristokraten, in der „Kapuzinergruft“ (der habsburgischen Grablege in Wien) über dieses seit 1918/19 spürbar werdende Klima in der Zeit des „Ständestaats“ räsonieren: „Österreich ist kein Staat, keine Heimat, keine Nation. Es ist eine Religion. Die Klerikalen und die klerikalen Trottel, die jetzt regieren, machen eine sogenannte Nation aus uns; aus uns, die wir eine Übernation sind, die einzige Übernation, die in der Welt existiert hat … Aber es gibt eine spezielle Trottelei der Ideologen. Die Sozialdemokraten haben verkündet, daß Österreich ein Bestandteil der deutschen Republik sei; wie sie überhaupt die widerwärtigen Entdecker der sogenannten Nationalitäten sind. Die christlichsozialen Alpentrottel folgen den Sozialdemokraten.“

Univ.-Prof. Dieter A. Binder

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bak|te|ri|ell  〈Adj.〉 die Bakterien betreffend, durch Bakterien hervorgerufen

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