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Monument romanischer Buchkunst

Das Speyerer Evangelistar

Monument romanischer Buchkunst
Nicht zuletzt durch seinen noch in Teilen original erhaltenen Prunkeinband aus dem 13. Jahrhundert strahlt das Speyerer Evangelistar eine besondere Würde aus. Der Einband besteht aus getriebenem vergoldetem Silber und ist besetzt mit Halbedelsteinen und spätantiken Gemmen. Der Quaternio Verlag Luzern hat dieses hochmittelalterliche Meisterwerk jetzt faksimiliert.

Der thronende Christus hebt segnend seine rechte Hand, in seiner linken hält er das Buch des Lebens, in dem die Namen aller Auserwählten verzeichnet sind, gemäß der Offenbarung des Johannes: „Wer siegt, wird … mit weißen Gewändern bekleidet werden. Nie werde ich seinen Namen aus dem Buch des Lebens streichen, sondern ich werde mich vor meinem Vater und vor seinen Engeln zu ihm bekennen“. „Maiestas Domini“ wird diese Darstellungsform in der Kunstgeschichte genannt. Auf dem Einband des Speyerer Evangelistars ist die Christusfigur aus getriebenem, vergoldetem Silber gefertigt.

Das prachtvoll ausgestattete Festtagsevangelistar, das in der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe aufbewahrt wird, ist um 1220 vermutlich im Auftrag des späteren Speyerer Bischofs Konrad von Tann (Dahn in der südlichen Pfalz) entstanden. 17 prachtvolle ganzseitige Miniaturen auf glänzendem Goldgrund und 70 große Initialen gehören zum reichen Buchschmuck der Handschrift. Dem entspricht der Buchdeckel: Zwar stammt die Christusfigur erst aus dem 15. Jahrhundert, doch die Schmuckelemente der Randleiste sind noch original. Dazu gehören gefasste Halbedelsteine, spätantike Gemmen und Glasflüsse; darunter versteht man Glas, das durch den Zusatz von Metalloxyden gefärbt wurde. Kupfer- und Chromoxyd sorgen beispielsweise dafür, dass einfaches Glas einem Smaragd täuschend ähnlich sieht, Zinn- und Kupferoxyd machen aus einer Glasperle einen funkelnden Türkis … Die Ränder des Einbanddeckels sind mit vergoldeten Kupferleisten überzogen. Dazu kommen zehn sogenannte Niellen. Das sind Edelmetallteile mit schwarzen Aufschmelzungen in Goldschmiedetechnik.

Das mittlere Niello unten enthält möglicherweise einen Hinweis auf den Auftraggeber des Evangelistars. Darin ist ein Mönch abgebildet, der in anbetender Haltung Christus zu Füßen liegt. In der Umschrift wird sein Name genannt: CONRAD'[US] C'[US]TOS. Die Forschung identifiziert diesen „Conradus Custos“ mit dem Speyerer Bischof Konrad IV. von Tann (Dahn). Den Bischofsthron besetzte dieser „Mann von großen Kenntnissen und hohem Ansehen“ nur für drei Jahre, von 1233 bis 1236. Doch hatte er zuvor als Dompropst ebenfalls in Speyer bereits ein einflussreiches Amt innegehabt.

Dass man eine Handschrift faksimilieren kann, erschließt sich auch dem Laien. Doch wie „faksimiliert“ man einen solchen Einband bzw. Einbanddeckel wie jenen des Speyerer Evangelistars? Acht Jahre lang verfolgte der Schweizer Restaurator André Glauser die technische Entwicklung bei der Digitalisierung dreidimensionaler Objekte. Das Verfahren, das ursprünglich für die Industrie entwickelt wurde, ist mittlerweile so weit ausgereift, dass auch fragile mittelalterliche Kunstwerke wie das Speyerer Evangelistar berührungsfrei abgenommen werden können. Und genau daran arbeitet André Glauser derzeit zusammen mit zwei Ingenieuren der Fachhochschule Nordwestschweiz in Brugg.

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Doch wie funktioniert dieses Verfahren? Vor dem eigentlichen Scanning werden mehrere kleine Papierscheibchen mit einem Durchmesser von drei Millimetern auf den Einband gelegt. Diese dienen der Kamera als Fixpunkte, damit die Teilaufnahmen in das Gesamtbild eingerechnet werden können. Die Spezialkamera arbeitet mit zwei Linsen und macht nicht nur eine Gesamtaufnahme, sondern Dutzende von Detailaufnahmen. Problematisch können die Lichtreflexionen auf der Edelmetalloberfläche sein, die am Rechner korrigiert werden müssen. In Sekundenbruchteilen setzt die Spezialsoftware am Computer die Detailaufnahmen zum Gesamtbild zusammen. Ein spezieller 3-D-Drucker verwandelt die digitalen Daten in ein reales Objekt. Dabei wird wie bei einem Tintenstrahldrucker statt mit Tinte ein spezielles Kunstharz in mehreren Schichten übereinandergedruckt. Jede Schicht wird mit UV-Licht ausgehärtet und ist nur 16 Tausendstelmillimeter dick. Trotz der hohen Originaltreue muss der Deckel aber von einem Graveur nachgestochen und überarbeitet werden.

Für die Wiedergabe der Nielloplättchen des Speyerer Evangelistars werden Silberplättchen hergestellt und vom Graveur mit dem entsprechenden Motiv nachgestochen. Von diesen Mutterstücken werden dann galvanisch weitere Plättchen hergestellt, und die Gravur wird mit Niello ausgeschmolzen. Die Wiedergabe der Schmucksteine (Kristall, Achat, Glas, Glasfluss, Amethyst, Chalzedon, Karneol, Chrysopras) erfolgt durch synthetische Steine. Ob darüber hinaus auch echte Steine verwendet werden, ist noch offen. Die Fassungen der Steine werden schließlich von einem Silberschmied in Silber nachgeschmiedet, die Produktionsformen dann in Bronze gegossen. Die originalgetreue Wiedergabe des Einbands besteht aus über 150 Einzelstücken, die von André Glauser nachbearbeitet, patiniert und von Hand auf dem Einband angebracht werden. Der Buchrücken muss besonders verstärkt werden, damit er nicht, wie dies mittlerweile beim Original der Fall ist, beim Öffnen des Buchs bricht. Der Brokatstoff für den Buchrücken und den Rückdeckel wird in einer Weberei nachgewebt.

Noch bis zum 31. Juli ist in der großen Salier-Ausstellung in Speyer das (geschlossene) Original der Handschrift zu sehen. Aus konservatorischen Gründen ist eine längere Ausstellung der fragilen Kostbarkeit nicht möglich. Einblicke in die kostbaren Buchmalereien ermöglicht eine ausgestellte Doppelseite aus dem Faksimile des Quaternio Verlags. Vom 1. August an wird dann auch das Ergebnis der Mühen André Glausers und seiner Mitarbeiter in der Ausstellung zu sehen sein. Ob man das Faksimile dann wird vom Original unterscheiden können?

Die Faksimile-Edition Der Quaternio Verlag Luzern hat das Speyerer Evangelistar aufwendig faksimiliert. Anlass hierfür sind das Salierjahr 2011 und die damit verbundene große Ausstellung in Speyer.

Informationen zu der in 280 handnumerierten Exemplaren erscheinenden Faksimile-Edition sind erhältlich beim: Quaternio Verlag Luzern Obergrundstrasse 98 6005 Luzern (CH)

http://www.quaternio.ch

Das Original des Speyerer Evangelistars gehört zum großen Handschriftenbestand der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe.

http://www.blb-karlsruhe.de

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