Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wissenschaft sprechen über historische Gestalten, die sie beeindruckt haben. In dieser Ausgabe: der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Roland Jahn über die Widerstandskämpferin Sophie Scholl.
DAMALS: Wie sind Sie auf Sophie Scholl gekommen?
Roland Jahn: Ich habe sie schon seit meiner Schulzeit bewundert. Sophie Scholl ist ja auch in der DDR als Antifaschistin verehrt worden. Ich habe zudem in der Geschwister-Scholl-Straße in Jena gewohnt. Gerade auf junge Menschen wie meine Freunde und mich machte sie besonderen Eindruck, weil sie selber in sehr jungen Jahren Widerstand geleistet hat. Ich spürte bei ihr ein Lebensgefühl, das auch unseres war – das Leben genießen und ausschöpfen, aber zugleich Haltung zeigen.
DAMALS: Konnten Dissidenten in der DDR Parallelen zwischen Scholl und ihrer eigenen Situation sehen?
Jahn: Das drängte sich automatisch auf. Sophie Scholl lehnte den Totalitarismus insgesamt ab. Sie forderte die Würde des Menschen ein, die Menschenrechte, und sie formulierte das so, dass man damit auch die Widersprüche in der DDR beleuchten konnte: Redefreiheit, Glaubensfreiheit, Schutz des Individuums vor der Gewalt des Staates – das waren alles Fragen, die uns beschäftigten. Dass wir uns dabei auf Sophie Scholl, aber auch auf andere in der offiziellen DDR-Propaganda verehrte und gepriesene Persönlichkeiten berufen konnten, gab uns zusätzlich Kraft und Motivation.
DAMALS: Gibt es auch Unterschiede?
Jahn: Es war immer klar, dass die Systeme – der SED-Staat und das NS-Regime – nicht gleichzusetzen waren. Dennoch, bei allen Unterschieden: Wo eine Herrscherclique das Sagen hat und Menschenrechte unterdrückt, gibt es Mechanismen, die ähnlich sind. Gerade der Versuch Sophie Scholls und ihrer Freunde, die schweigende Mehrheit aufzurütteln, kam unseren Vorstellungen sehr nahe. Nicht warten, bis andere aktiv werden, sondern selber handeln, das hat Sophie Scholl vorgelebt: Warte nicht auf bessere Zeiten! Nimm dir die Freiheit, sonst kommt sie nie!
DAMALS: Hat sie in ihrer Zeit etwas bewirkt?
Jahn: Sie hat sicher Menschen wachgerüttelt. Nicht ohne Grund haben die Alliierten ihre Flugblätter nachgedruckt und über Deutschland abgeworfen.
DAMALS: Sie war ja anfangs begeistert beim BDM …
Jahn: Das ist ein wichtiger Punkt: Wie schaffte sie es, dann diesen Weg zu gehen? Von Sophie und ihrem Bruder Hans Scholl können wir lernen, dass man sich mit einem System einlassen und doch einen Punkt erreichen kann, an dem man erkennt, wie menschenverachtend es ist.
DAMALS: Sophie Scholls Persönlichkeit in ein paar Stichworten?
Jahn: Herz, Hirn, Haltung, Hingabe, Hoffnung. Dazu eine Jugenderinnerung: Wir haben nachts in Jena Todesanzeigen eines in Stasi-Haft umgekommenen Freundes an die Wände geklebt. Ich lief aus der Geschwister-Scholl-Straße los, im Hinterkopf als Vorbild eine Person, die für ihre Überzeugung Risiken eingegangen ist.
Sophie Scholl (1921–1943), deutsche Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus. Beteiligte sich als Studentin in München an Herstellung und Verbreitung von Flugblättern der „Weißen Rose“. Im Februar 1943 festgenommen und hingerichtet. Das Foto zeigt (von links): Hubert Furtwängler, Hans Scholl, Raymund Samiller, Sophie Scholl und Alexander Schmorell.
Roland Jahn, geb. 1953, Journalist. Seit 2011 Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde (BStU). 1983 Mitbegründer der oppositionellen „Friedensgemeinschaft Jena“. Im selben Jahr aus der DDR zwangsausgebürgert.
Interview: Dr. Winfried Dolderer