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Römisch – heilig – deutsch

Die Reichsidee im Mittelalter

Römisch – heilig – deutsch
Das Alte Reich war ein einzigartiges Gemeinwesen, das die Geschichte Europas über viele Jahrhunderte prägte. Am Ende wurde es zum Gespött der Zeitgenossen – ein unverdientes Urteil.

Immer wieder versuchte man, die Besonderheiten dieses eigentümlichen Gebildes zu erklären. Es war anders als seine Nachbarn und kein Staat im modernen Sinn. Vielmehr kam es mit erstaunlich wenigen Regeln durch die Zeiten und bot seinen Gliedern weite Entfaltungsspielräume. „Teutsche Libertät“ wurde zum Schlagwort für Vielfalt und Aushandlung. In den letzten Jahrhunderten seiner Existenz gingen keine Angriffskriege von ihm mehr aus. Dagegen wurde es zum Schauplatz großer Kriege, die andere Mächte auf seinem Boden ausfochten.

Wegen seiner übernationalen Offenheit wollen manche heutzutage das Heilige Römische Reich sogar als Konzept für die europäische Zukunft empfehlen. Das ist ein untauglicher Vorschlag. Geschichte bietet keine Kopiervorlagen. Sie weckt allenfalls Sensibilität für Gegenwart und Zukunft. Die Deutschen machten ihren Nachbarn im 20. Jahrhundert das Reich so unerträglich, daß schon das bloße Wort provoziert. Das wilhelminische Kaiserreich und der Nationalsozialismus bemächtigten sich als zweites und drittes Reich der tausendjährigen Vergangenheit, und dieser Mißbrauch überschattet immer noch das historische Urteil. Gegen jedes mittelalterliche Selbstverständnis ließ man Karl den Großen oder Otto den Großen zu deutschen Kaisern werden. Schonungslos stellten die Nationalsozialisten deutsches Mittelalter in Dienst, benannten SS-Divisionen als „Hohenstaufen“ oder „Charlemagne“ (für französische Freiwillige der Waffen-SS), bezeichneten den Überfall auf die Sowjetunion als „Unternehmen Barbarossa“ und stilisierten das Reich zur immerwährenden europäischen Ordnungsmacht. Aus dieser Benutzung läßt sich die ältere Geschichte so schwer herausschälen wie aus den Negativurteilen jener Historiker, die das spätmittelalterliche oder frühneuzeitliche Reich wegen seiner Ineffektivität schalten oder es als Monstrum bezeichneten.

Am 6. August 1806 endete das Alte Reich . Seinen Anfang zu ermitteln gestaltet sich weitaus schwieriger. Am Weihnachtstag des Jahres 800 hatte der Frankenherrscher Karl der Große im römischen Petersdom die Kaiserkro-ne empfangen. Fortan gab es in der Christenheit zwei Kaiser, die ihre Legitimation aus der römischen Geschichte ableiteten. Neben die ost-römischen Kaiser in Byzanz trat ein neues Kaisertum des lateinischen Westens, das sich mit der eigenen Bezeichnung schwertat. Die karolingische Kanzlei griff 801 den Namen des „Römischen Reichs“ auf (Romanum imperium). Als 812 ein Ausgleich mit Byzanz gefunden wurde, vermieden die fränkischen Kaiser aber den römischen Titel. 962, nach den Teilungen des Frankenreichs, erneuerte Otto der Große das Kaisertum und empfing wie sein Vorbild Karl der Große im römischen Petersdom die päpstliche Krönung. Doch erst Otto II. (973 – 983) und Otto III. (983 –1002) griffen – wiederum in Konkurrenz zu Byzanz – programmatisch den Römernamen auf und nannten sich „Kaiser der Römer“ (imperator Romanorum). Gerbert von Aurillac, Berater der ottonischen Kaiser und später Papst (Silvester II.), jubelte: „Unser, unser ist das römische Reich.“ Römische Verlockungen

Seit 800 und endgültig seit dem Ende des 1. Jahrtausends griffen die Könige aus dem Land nördlich der Alpen also beherzt nach der römischen Geschichte. Auf seinem goldenen Metallsiegel bildete erstmals Konrad II. (1024 –1039) das „goldene Rom“ mit der Umschrift ab: „Rom, das Haupt der Welt, hält die Zügel des Erdkreises“. Mit der Zeit nann-ten sich die Könige des ostfränkisch-deutschen Reichs auch schon vor ihrer Kaiserkrönung „König der Römer“ – ohne in Rom gewesen zu sein. Der Glanz des antiken Weltreichs lockte und machte die Kaiserkrönung in Rom zum Gipfelpunkt irdischer Herrschaft. Wegen dieser imperialen Möglichkeiten durchlief das Reich vom 10. bis zum 13. Jahrhundert den Prozeß der europäischen Nationsbildung anders als seine Nachbarn. Ein „Königtum der Deutschen“ hätte diese höheren politischen Möglichkeiten dagegen beschnitten. Diesen Umstand nutzte Gregor VII. im Investiturstreit mit Heinrich IV. (1056 –1106), als er seinen Gegner als „König der Deutschen“ und dessen Reich als „deutsches Reich“ diffamierte. Schlimmer hätte man den König oder Kaiser der Römer nicht treffen können. Gleichwohl griffen die Menschen im hochmittelalterlichen Deutschland diese ursprünglich italienische Fremdbezeichnung für sich auf.

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Das Mit- und Gegeneinander politischer Benennungen prägte fortan die deutsche Geschichte, die nach innen wie von außen über Jahrhunderte keinen einheitlichen Namen fand. Heutige Historiker bedienen sich umständlicher Bindestrichbezeichnungen (ostfränkisch-deutsch), sprechen im Sinne eines Verabredungsbegriffs von deutschen Königen des Hochmittelalters, unterscheiden davon aber konsequent das römische Kaisertum. Ausländer lächeln manchmal über die begrifflichen Korrektheiten. Die Verwirrung will aber ausgehalten sein, weil das römische Kaisertum und das römische Reich die deutsche Geschichte in besondere Bahnen lenkten.

Heilig wurde dieses Reich erst im 12. Jahrhundert. In heftigen Ausein?andersetzungen mit den Päpsten um den Vorrang oder die Unabhängigkeit des Kaisertums seit 1076 büßten die Kaiser ihre beherrschende Autorität im Abendland ein. Dagegen setzten die Staufer eine Herrschaft mit den Heiligen. 1146 und 1165 wurden die Kaiser Heinrich II. und Karl der Große heiliggesprochen. 1200 folgte Kaiserin Kunigunde, die Gemahlin Heinrichs II. Bei der Erhebung der Gebeine Karls des Großen zur Ehre der Altäre legte Friedrich I. Barbarossa in Aachen selbst Hand an. 1164 sorgte er für die Überführung der Reliquien der Heiligen Drei Könige von Mailand nach Köln. Damit erlangte die Monarchie mächtige Patrone. 1157 tauchte in einer Kaiserurkunde erstmals der Begriff „Heiliges Reich“ (sacrum imperium) auf. Seit 1180 machten kaiserliche Notare in Rom dieses Heilige Reich zum Heiligen Römischen Reich (sacrum Romanum imperium). Der Titel fand in der Mitte des 13. Jahrhunderts Eingang in die Herrscherurkunden.

Geschichtsschreiber gaben diesem Reich im 12. Jahrhundert eine immer längere Dauer. Jeder neue Herrscher wurde in die Reihe der römischen Kaiser seit Augustus gestellt. Und Gottfried von Viterbo bejubelte ein einziges Kaisergeschlecht, von den trojanischen Vorfahren der Römer bis in seine staufische Gegenwart. Gleichzeitig entwickelten Theologen die heilsgeschichtliche Bedeutung des Reichs. Nach alttestamentlichen und spätantiken Vorbildern beschrieb Bischof Otto von Freising die Geschichte als Abfolge von vier großen Weltreichen: denen der Babylonier, der Meder/Perser, der Griechen und der Römer. Solange das Römische Reich und seine Kaiser bestanden, so behaupteten es die Prophetien vom kommenden Antichrist, würde die Welt nicht untergehen.

Komplettiert wurde der Reichstitel erst im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. In den europäischen Auseinandersetzungen des ausgehenden 15. Jahrhunderts wurde immer offensichtlicher, daß sich das römische Reich faktisch im Besitz der deutschen Nation befand. Um diesen Zusatz wurde seit den 1470er Jahren der Reichstitel präzisiert: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. Phantasievoll erschlossen Humanisten der Nation ihre ältere Geschichte aus germanischen und römischen Wurzeln.

Als letzter Kaiser wurde Friedrich III. 1452 in Rom vom Papst gekrönt. Weil ihm der Romzug nicht glückte, nahm Maximilian I. mit päpstlicher Zustimmung 1508 den Titel eines „Erwählten römischen Kaisers“ an. Als letzter Papst spendete Clemens VII. 1530 in Bologna Karl V. die Krönung. Seine Nachfolger erlangten ihre kaiserliche Würde in Frankfurt am Main. Doch das Reich behielt seinen römischen Namen und seine Heiligkeit über die Jahrhunderte, auch ohne Romzüge oder päpstliche Krönungen. Die Reichskleinodien, ein großer Schatz aus Reliquien und Herrschaftszeichen, hielten die Wirkkraft des Überirdischen präsent. König Sigismund hatte sie im 15. Jahrhundert für immer zur Aufbewahrung nach Nürnberg gegeben.

Diese Ewigkeit überdauerte zwar die Reformation, währte aber nur bis zum Ende des Alten Reichs. Vor den napoleonischen Truppen brachte man zu Beginn des 19. Jahrhunderts den kaiserlichen Schatz nach Wien in Sicherheit. Im nationalsozialistischen „Großdeutschland“ kurzzeitig nach Nürnberg zurückgeführt, künden die Herrschaftszeichen heute in der Schatzkammer der Wiener Residenz vom Glanz eines untergegangenen Reichs.

Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. 962–1806 29. Ausstellung des Europarats im Kulturhistorischen Museum Magdeburg und im Deutschen Historischen Museum Berlin 28. August – 10. Dezember 2006

Die Ausstellung in Magdeburg widmet sich der Zeit von 962 – der Kaiserkrönung Ottos des Großen – bis zum Ausgang des Mittelalters. Fast 40 Kaiser und Könige bestimmten in dieser Zeit die Entwicklung des Heiligen Römischen Reichs. Mit diesen Herrschern sind einzigartige Kunstwerke verbunden; in ihrem Umfeld entstanden wertvolle Skulpturen, prächtige Bildhandschriften, edelsteinbesetzter Schmuck und kunstvoll bestickte Textilien. Diese berichten ebenso von der Geschichte des Reichs wie Gemälde, Rüstungen, Graphiken, Münzen, Urkunden oder Siegel. In Magdeburg, der Stadt Ottos des Großen, belegen zahlreiche Exponate diesen überlieferten Reichtum des Mittelalters. Beispielsweise wird erstmals seit 15 Jahren der berühmte „Codex Manesse“ aus der Universitätsbibliothek Heidelberg zu sehen sein. Es werden bedeutende Persönlichkeiten der Zeit vorgestellt und die Entwicklung des Reichs in ihrem chronologischen Fortgang erzählt. Im Innenhof des Museums lädt die historische Spielstätte „Megedeborch“ die Besucher dazu ein, in den Alltag einer mittelalterlichen Stadt einzutauchen. Das vielseitige Rahmenprogramm zur Ausstellung bietet unter anderem am 30. September die Live-Uraufführung eines musikalischen Hörspiels zum „Codex Manesse“.

Der zweite Ausstellungsteil in Berlin spannt den Bogen von der Reformation bis zum Zeitalter Napoleons. In glanzvollen Porträts ihrer Hofkünstler präsentieren sich die Kaiser von Maximilian I. bis Franz II. Die Herrschergalerie wird ergänzt durch Ausstellungsstücke aus zahlreichen europäischen Sammlungen, aus Schlössern, Klöstern und Kirchen, die die lebendige Vielfalt des Reichs widerspiegeln. Doch die Schau im Pei-Bau des Berliner Zeughauses endet nicht mit der Niederlegung der Kaiserkrone durch Franz II. vor 200 Jahren. Darüber hinaus richtet sich der Blick auf die neuen, souveränen Staaten, die 1806 entstanden sind, und auf die aktuelle Neubewertung des Alten Reichs mit seinem föderalen Ordnungs-, Verfassungs- und Rechts-system. Begleitende Abendveranstaltungen bieten ein Forum für die Diskussion. Zu den beiden Ausstellungsbereichen erscheint im Sandstein Verlag (Dresden) jeweils ein zweibändiger, reichillustrierter Katalog mit der Erläuterung der Exponate sowie Essays zum aktuellen Stand der Forschung. Zur Vorbereitung und Vertiefung eines Ausstellungsbesuchs in Berlin ist ein reichausgestattetes didaktisches Begleitheft verfügbar.

http://www.dasheiligereich.de http://www.reichundregion.de

Prof. Dr. Bernd Schneidmüller

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