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Runen, Skalden und die Edda

Sprache, Schrift und Dichtung der Nordgermanen in der Wikingerzeit

Runen, Skalden und die Edda
Kunst, Runenschrift und Dichtung weisen die Skandinavier der Wikingerzeit entgegen allen zeitgenössischen und modernen Vorurteilen als Volk mit einer eigenständigen und teilweise hoch stehenden Kultur aus. Sie zeigten sich dabei sehr offen gegenüber äußeren Einflüssen, die sie aufnahmen und in einer eigenen Formen- und Kunstsprache gestalteten.

Die englischen und fränkischen Mönche, deren Annalen von den Überfällen der Nordleute berichten, stritten diesen jegliche Kultur ab. Für sie waren die Wikinger heidnische Seeräuber und barbarische Wilde, die eher Tieren als Menschen glichen. Ein moslemischer Reisender stimmte mit ihnen überein: Um 950 besuchte ein arabischer Kaufmann den Handelsplatz Haithabu und beobachtete das Treiben seiner skandinavischen Bewohner. Er berichtet mit Abscheu von ihrem entsetzlichen Gesang, der „ärger als das Bellen von Hunden“ sei. Mit derartigen Urteilen widerfuhr den Nordeuropäern Unrecht. Auch wenn sie in keiner Hochkultur lebten, pflegten sie doch Künste auf beachtlichem Niveau. Das gilt für ihre kunsthandwerklichen Meisterstücke mit der typischen Tierornamentik wie für ihre Dichtung.

Die Sprachen der Dänen, Schweden, Norweger, Isländer und Färöer bilden die nördliche Gruppe der germanischen Sprachfamilie, zu der Deutsch, Englisch und Niederländisch gehören. Vor 1000 Jahren konnten sich die Nordgermanen gut untereinander verständigen, setzte doch erst in der Wikingerzeit der Prozeß des Sprachwandels ein, der zur Herausbildung der modernen skandinavischen Sprachen führte. Ihrem Altnordischen gleicht am ehesten das heutige Isländisch. Es war eine formenreiche Sprache mit auch dem Deutschsprachigen vertrauten Zwielauten wie „au“ und „ei“ sowie mit im Deutschen unbekannten Konsonanten, wie sie noch das englische „th“ repräsentiert. Die wikingerzeitlichen Skandinavier kannten weder das lateinische Alphabet noch Pergamenthandschriften. Aber sie verfügten mit den Runen über eine Schrift, die ihnen für meist kurze Inschriften diente. Diese Zeichen waren in Anlehnung an norditalienische Alphabete entstanden und in Skandinavien seit dem 2. nachchristlichen Jahrhundert in Gebrauch. Während die Runen unter Südgermanen wie Franken und Alamannen mit der Christianisierung nicht mehr verwendet wurden, erlebten sie im Norden eine späte Blütezeit.

Die insgesamt 16 Zeichen umfassende Runenreihe wird nach den ersten sechs Runen als „Jüngere Futhark“ bezeichnet. Jedes Runenzeichen stand für bestimmte Laute und repräsentierte einen Begriff. Runen konnten als Glücks- und Schadenszeichen geritzt werden; so galt die „th“-Rune, die mit den Thursen, den dämonischen Riesen, verbunden wurde, als Unheil stiftend. An den magischen Gebrauch der Runen erinnern deren ursprüngliche Bedeutung „Geheimnis“ und das verwandte deutsche Wort „raunen“. Die Wikinger kannten als Runenritzer die Magie ihrer Zeichen, verwendeten sie aber überwiegend zu profanen Zwecken. Seit jeher fanden sich Runen auf Lanzenspitzen und Schwertern, auf Fibeln und Ringen, auf Kämmen und anderen Gebrauchsgegenständen. Die Nordleute schmückten mit ihnen Felswände und errichteten Grabsteine und Gedenksteine, auf denen sie an Verwandte, Handelspartner, Gefolgsleute und Fahrtgenossen erinnerten, die in der Ferne ihr Leben verloren hatten.

Das Christentum stand diesem Brauch zuerst nicht im Wege, es scheint ihn sogar beflügelt zu haben. Viele Runensteine des 11. Jahrhunderts sind von Christen gesetzt und verwenden die Formel „Gott helfe seiner Seele“. Ihnen war der heidnische Mythos vom Gott Odin, der sich, am Weltenbaum hängend, selbst opferte und so das Runenwissen gewann, wenig mehr als eine alte Erzählung. Die Ritzungen der Heiden wie der Christen wurden immer prächtiger: Bilddarstellungen aus Mythologie und Heldensage zierten sie ebenso wie das christliche Kreuz und reiche Ornamente, in denen sich häufig fantastische Runentiere schlangenartig winden. Zu den beeindruckendsten Darstellungen gehört die des Ramsundfelsens in Mittelschweden. Sie zeigt, wie der junge Held Sigurd, der Sigfrid des Nibelungenliedes, den Drachen Fafnir tötet und dessen Schatz gewinnt. Der prachtvollste Runenstein Dänemarks ist der große Stein von Jelling in Jütland. Ihn ließ König Harald Blauzahn nach 965 errichten, um in der Runeninschrift seiner Eltern zu gedenken und seine eigenen Taten zu verkünden, so die Eroberung Norwegens und die Einführung des Christentums. Den Stein schmücken nicht nur Ornamente und ein löwenartiges Tier, das von einer Schlange umschlungen wird, sondern auch das erste monumentale Christusbild des Nordens.

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Viele Runensteine künden von weiten Fahrten und Abenteuern, von Kriegszügen nach England, vom Söldnerdienst in Konstantinopel, von Handelsfahrten über die Ostsee und in den Orient. Vor Schloß Gripsholm am Mälarsee steht ein Totengedenkstein, auf dem eine Frau an ihren Sohn Harald erinnert, der mit seinem Bruder Ingvar und vielen Kameraden fern der Heimat um 1035 den Tod gefunden hatte: „Sie fuhren mannhaft fern nach Gold, und im Osten fütterten sie den Adler. Sie starben im Süden, in Serkland.“ Es handelte sich um eine Beutefahrt bis ins Land der Sarazenen südlich des Kaspischen Meeres. Dort fütterten die Wikinger den Adler, das heißt, sie töteten viele Feinde; aber schließlich fielen sie selbst.

Tausende von Runenzeugnissen sind in Skandinavien erhalten geblieben, vor allem in der mittelschwedischen Landschaft Uppland. Von den Fahrten der Wikinger künden aber auch Funde weit im Süden. Ein Runenstein fand sich auf einer Insel der Dnjeprmündung am Schwarzen Meer. Vor dem Arsenal in Venedig wacht ein Marmorlöwe, der im 11. Jahrhundert in Piräus stand. Dort beritzte ihn ein Nordmann mit Runen, der wohl als Söldner dem byzantinischen Kaiser diente. Funde reichen von Istanbul bis nach Grönland und künden von der weiten Welt der Wikinger. Das sich im Norden rasch ausbreitende Christentum sorgte mit seiner lateinischen Schrift schließlich doch für ein Ende der Runenritzungen. Lediglich im Brauchtum der Bauern fanden die alten Zeichen noch Verwendung…

Dr. Arnulf Krause

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