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Schattenfrau und Lichtgestalt

Klara von Assisi

Schattenfrau und Lichtgestalt
Wenn wir von Assisi hören, denken wir unweigerlich an den heiligen Franziskus. Doch wer war Klara von Assisi? Eine Zeitgenossin, Schwester oder gar eine Geliebte? Über die Freundschaft zwischen Franziskus und Klara sind viele Seiten gefüllt und Legenden gesponnen worden.

Chiara di Favarone di Offreduccio wurde 1193 als älteste von drei Töchtern einer angesehenen Adelsfamilie in Assisi geboren. Der etwa elf Jahre ältere Bürgerssohn Fran‧cesco di Pietro di Bernadone gelangte zunächst nicht in ihr Blickfeld. Das Mädchen lebte hinter dicken Mauern eines Palazzos in der Oberstadt, vor städtischem Treiben sorgfältig geschützt. In diesen adligen Frauen‧gemächern genoss es gemeinsam mit Hausgenossinnen eine ausgezeichnete Erziehung, die sich in ihrem gewandten Schreibstil, gekonnten Latein und lebenslanger Freude an geist‧reicher Predigt zeigt. Der Kirchgang bot den unverheirateten Adelstöchtern eine der wenigen Gelegenheiten, der Welt außerhalb zu begegnen.

Mit Beginn der Geldwirtschaft geriet die Ständeordnung mittelalterlicher Gesellschaft ins Wanken. Viele bürgerliche Familien und Zünfte erlangten Reichtum und beanspruchten, an politischer Macht beteiligt zu werden. In Assisi kam es mit Erstürmung der Stauferburg 1198 zur kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Adligen (maiores) und dem Bürgertum (minores). Franziskus erlebte als junger Mann den Freiheitstaumel seines Standes, Klaras adlige Sippe musste ins benachbarte Perugia fliehen.

Erst nach dem Friedensschluss von 1203 konnte die Familie in die Stadt zurückkehren, die frühe Demokratisierungsbewegung war noch einmal in die Knie gezwungen worden. Nicht nur gesellschaftlich, auch spirituell lag Erneuerung in der Luft. War Gott als ferner König des Himmels und mächtiger Weltenherrscher verehrt worden, zu dessen Ehren palastähnliche Kirchen gebaut wurden, rückte nun der Mensch gewordene Christus näher, der arm in einer Krippe lag, unterschiedslos allen zugewandt lebte, wehrlos am Kreuz hing. Religiös sensibel, ließ Klara sich anstecken vom spirituellen Neuaufbruch dieser sogenannten Armutsbewegung. Mutig durchkreuzte sie die Pläne der Familie. Sie wollte nicht reich verheiratet werden, sondern ihren Weg in der Nachfolge Christi gehen. Dabei hörte sie von Franziskus – der nicht nur sein Hab und Gut verschenkt, sich Aussätzigen genähert und verfallene Kapellen mit erbetteltem Material renoviert, sondern öffentlich mit seiner Herkunft gebrochen hatte.

Klaras Familie wird an dem entlaufenen Bürgerssohn kein gutes Haar gelassen haben. Der Skandal war perfekt, als sich 1209 als erster Adliger Klaras Cousin Rufino der wachsenden Bruderschaft (fraternitas) um Franziskus anschloss. Doch Klara bildete sich ihr eigenes Urteil. Sie begann die Brüder finanziell zu unterstützen und wollte ihre Lebensweise kennenlernen. Erste heimliche Treffen wurden arrangiert – auf ihre Initiative hin. Noch hielt Franziskus sich vorsichtig zurück, was eine weibliche Beteiligung an seiner Bewegung anging. Die Verfolgung gemischtgeschlechtlich lebender häretischer Gruppen wie der Waldenser und Katharer warf ihre Schatten bis nach Umbrien. Vorsicht war durchaus geboten.

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Doch Klara war überzeugt und überzeugend genug. Für den Abend des Palmsonntags 1211 wurde die Flucht arrangiert. Der mittlerweile etwa 18-Jährigen gelang es, aus dem gut verschlossenen Elternhaus und – vermutlich mit Unterstützung des Bischofs – auch aus der ebenfalls verschlossenen Stadt zu gelangen. Bei der Landkapelle Portiuncula wurde sie in einer improvisierten, aber feierlichen Zeremonie in den Stand der Büßerinnen (Pönitentinnen) aufgenommen. Franziskus schnitt ihr die Haare ab, sie tauschte ihre reichen Kleider gegen eine ärmliche Kutte. Wie zuvor bereits das Erbe wurde alles zugunsten der Armen ver‧kauft. Doch wie sollte das Leben aussehen, für das die junge Frau diesen radikalen Abstieg riskierte?

Im Frühsommer 1209 hatten Franziskus und seine ersten Brüder von Papst Innozenz III. die Erlaubnis zur einfachen Bußpredigt erhalten. Sie durften durchs Land ziehen, sich von Predigt und Bettelei ernähren und solidarisch das Leben der Ausgestoßenen teilen. Es war jedoch unvorstellbar, dass junge, ehemals adlige Frauen ein solches Leben am Rand der Gesellschaft führten. Religiöse Frauen lebten gesellschaftlich anerkannt und materiell meist gut abgesichert in Klöstern, welche die Herrschaftsstrukturen der Welt in den eigenen Reihen abbildeten.

Bevor es zu einer Auseinandersetzung zwischen den traditionellen monastischen Formen und der Lebensweise der Armen Schwestern, wie Klara ihre Gemeinschaft nennen wird, kommen konnte, hatte die junge Frau eine kleine Odyssee durch die Formen etablierten weiblich-religiösen Lebens zu bestehen. Zunächst in einer reichen Benediktinerinnenabtei in der Nähe untergekommen, um Schutz vor der aufgebrachten Familie zu finden, wechselte Klara schnell zu einer kleinen Gemeinschaft von Frauen, die – den Beginen ähnlich – in den Wäldern um Assisi arm und von ihrer Hände Arbeit lebten. Ortskundige Brüder hatten diesen Kontakt hergestellt…

Literatur: Martina Kreidler-Kos / Ancilla Röttger, Gewagtes Leben. 800 Jahre Klara von Assisi und ihre Schwestern. Freiburg im Breisgau 2011. Martina Kreidler-Kos / Ancilla Röttger / Niklaus Kuster, Klara von Assisi. Freundin der Stille und Schwester der Stadt. Kevelaer 2011. Bernd Schmies (Hrsg.), Klara von Assisi. Zwischen Bettelarmut und Beziehungsreichtum. Münster 2011. Niklaus Kuster, Franz und Klara von Assisi. Eine Doppelbiografie. Ostfildern 2011.

Dr. Martina Kreidler-Kos

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ta|chy|gra|fisch  〈[–xy–] Adj.〉 auf Tachygrafie beruhend, mit ihrer Hilfe (geschrieben); oV tachygraphisch … mehr

♦ hy|dro|me|trisch  auch:  hy|dro|met|risch  〈Adj.〉 1 zur Hydrometrie gehörig, auf ihr beruhend … mehr

Par|ti|al|schwin|gung  〈[–tsjal–] f. 20; Phys.〉 eine der sinusförmig mit bestimmter Frequenz verlaufenden Teilschwingungen bei der Überlagerung mehrerer Schwingungen mit verschiedener Frequenz

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