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Schmelztiegel New York

Das Tor zur Neuen Welt

Schmelztiegel New York
Kaum ein Stadt ist so polyglott wie New York, das – nicht nur aus diesem Grund –, oft als Verkörperung der Moderne schlechthin gilt. Aber die Geschichte der sich ablösenden Einwandererwellen reicht viel weiter zurück. Und häufig galt: Die zuerst Gekommenen schauten voll Mißtrauen auf die Nachdrängenden.

In einer feinsinnigen Beobachtung hat der britische Schriftsteller Anthony Burgess einmal bemerkt, daß „die Geschichte New Yorks die Geschichte von Immigranten ist, die gegen Immigranten kämpfen“. Zwar gilt dies für die Vereinigten Staaten als dem Einwanderungsland par excellence generell: Alteingesessene Immigrantengruppen blickten überall mit Skepsis oder gar Ablehnung auf die Neuankömmlinge, die englischen auf die irischen, letztere und die deutschen auf die osteuropäischen, und immer wieder gab es Reibereien zwischen den skandinavischen, italienischen, lateinamerikanischen, asiatischen Immigranten, um nur wenige Beispiele zu nennen. Doch in New York trat dieses Phänomen verdichtet auf. Zum einen wegen der räumlichen Begrenzung Manhattans, der berühmtesten Felseninsel der Welt, die ein Ausweichen nahezu unmöglich machte und die direkte Berührung mit anderen Gruppen zur alltäglichen Erfahrung werden ließ. Zum anderen war New York im 19. und 20. Jahrhundert das Tor zur Neuen Welt und damit Hauptankunftshafen für Millionen Menschen. So wuchs die Stadt rasch zu einer multi-ethnischen Gesellschaft heran und war immer wieder gezwungen, neue ethnische Gruppen zu absorbieren. Spannungen konnten dabei nicht ausbleiben. Das schillernde Völkergemisch Manhattans mit seinen bunten ethnischen Enklaven wie „Little Italy“, „Chinatown“, Harlem und der Lower East Side ist zu einem integralen Bestandteil und unverkennbaren Merkmal der amerikanischen Kultur schlechthin geworden. Immer wieder wurden seine Immigranten in Literatur und Film verewigt, italienische beispielsweise in dem (verfilmten) Roman „Der Pate“ von Mario Puzo, jüdische in Abraham Cahans „The Rise of David Levinsky“ oder Philip Roths „Portnoy’s Complaint“; die afro-amerikanische Kultur Harlems der 20er Jahre fand ihren Niederschlag in Literatur und Jazz und brachte Autoren wie Langston Hughes, Jean Toomer und Jessie Fauset sowie zahlreiche berühmte Musiker hervor. Heute leben und arbeiten etwa 170 verschiedene ethnische Gruppen in der Stadt. Wie aber entwickelte sich diese multi-ethnische Gemeinschaft? Bereits in der niederländischen Phase, als New York noch New Amsterdam hieß, besaß die Stadt mehr als jede andere in Nordamerika den Ruf einer polyglotten Hafenstadt. 1643, als sie etwa 4000 Einwohner zählte (hauptsächlich Niederländer, Franzosen, und Engländer), bemerkte der französische Jesuit Isaac Jouges, er habe auf New Amsterdams Straßen 18 verschiedene Sprachen vernommen . Zwar fällt es schwer, diese Vielzahl zu rekapitulieren, die Beobachtung zeigt jedoch, daß schon damals eine ethnische Vielfalt existiert haben muß. Darüber hinaus fällt auf, wie dauerhaft sich die ethnischen Gruppen hier etablierten. Der niederländischen Bevölkerung etwa gelang es, sich auch nach dem Verlust der Macht an die Engländer wirtschaftlich und kulturell zu behaupten. In den niederländisch-reformierten Kirchen wurde weiterhin holländisch gepredigt, und einige von dort stammende Familien blieben einflußreich, so etwa die der beiden Roosevelts Theodore und Franklin Delano. Aber New York war nicht nur von Anfang an multi-ethnisch, sondern brachte auch eine biracial society hervor, eine zweipolige schwarz-weiße Gesellschaft. Das System der Sklaverei war zur Zeit der britischen Eroberung (1664) zwar bereits etabliert, doch hatten die Niederländer es noch nicht kodifiziert. Die neuen englischen Herren holten dies rasch nach und versahen diese „eigentümliche Einrichtung“ mit einem festen legalen Rahmen und definierten Verhaltensregeln. In jener Zeit entwickelte sich New York zu einem Umschlagplatz für neu „importierte“ Sklaven vornehmlich aus Westafrika. Der Zensus von 1698 – der einzig präzise für das New York des 17. Jahrhunderts – nennt bei einer Gesamtbevölkerung von 4937 Personen 700 freie und unfreie Afro-Amerikaner. Damit war die Zahl der schwarzen Einwohner seit der britischen Übernahme zwar erheblich gestiegen, ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung hatte jedoch abgenommen, denn Anfang des 17. Jahrhunderts hatten rund 40 Prozent der weißen männlichen Steuerzahler Sklaven besessen. Die schwarze Bevölkerung war heterogen: Sie bestand aus in New York geborenen, aus der Karibik stammenden, aus westafrikanischen, madegassischen, aus freien und unfreien Farbigen. 1712 erlebte New York seine erste Sklavenrevolte, 1741 die weitaus größere zweite, einen tragischen Aufstand, in dessen Folge 14 Schwarze auf dem Scheiterhaufen endeten und 18 weitere gehängt wurden. Obwohl die Sklaverei in den Nordstaaten im Kontext der Amerikanischen Revolution graduell abgeschafft wurde, gab es um 1800 unter den 61000 Einwohnern New Yorks noch immer 3000 Sklaven, zusätzlich zu 3500 freien Schwarzen; erst 1827 wurde die Sklaverei auch in New York offiziell und gänzlich für widerrechtlich erklärt. Die rasch zunehmende ethnische Diversität New Yorks spiegelte die allgemeine Einwanderungsentwicklung in die Vereinigten Staaten nach 1820 wider (in diesem Jahr erfaßte die Bundesregierung die Immigration erstmals zahlenmäßig). Suchten in dem Jahrzehnt vor 1830 nur 152000 Immigranten ihr Glück in der Neuen Welt, so stiegen die Zahlen danach dramatisch. In den 1840er Jahren zählte man 1,7 Millionen Neueinwanderer; um die Jahrhundertmitte war fast jeder zehnte der 23,2 Millionen Amerikaner nicht in den USA geboren. New York zählte damals 515000 Einwohner, von denen etwa jeder vierte im Ausland geboren war; damit lag die Stadt weit über dem nationalen Durchschnitt. Der höchste Anteil am Immigranten wurde 1870 mit 36,1 Prozent erreicht…

Prof. Dr. Jörg Nagler

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Chlo|ral|hy|drat  auch:  Chlo|ral|hyd|rat  〈[klo–] n. 11; unz.; Chem.〉 mit Wasser aus Chloral entstehende, farblose Kristalle … mehr

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