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Spätmittelalterliche Lebenswelten

Museum Humpis-Quartier Ravensburg

Spätmittelalterliche Lebenswelten
Das Humpis-Quartier in Ravensburg ist eines der besterhaltenen spätmittelalterlichen Wohnquartiere in Süddeutschland. Das in dem Häuserkomplex jüngst eröffnete Museum nimmt die Be‧sucher mit auf einen Streifzug durch die Lebenswelten seiner einstigen Bewohner.

Safran? Aus dem Gelieger (Niederlassung) in Saragossa. Wachs? Aus Avignon. Feinstes Leinen? Aus Brügge. Fast 150 Jahre, von um 1380 bis zu ihrer Auflösung 1530, gehörte die Große Ravensburger Handelsgesellschaft zu den erfolgreichsten „Global Players“ des Spätmittelalters. Konzentrierte man sich anfangs auf den direkten Güteraustausch mit den oberdeutschen Märkten, kam im 15. Jahrhundert der europaweite Handel mit Luxuswaren hinzu. Hans Humpis stand der Handelsgesellschaft von 1496 an als „Regierer“ vor und koordinierte den Warenaustausch. In seiner repräsentativen Wohnung im ersten Obergeschoss des Gebäudes Marktstraße 45 in Ravensburg pflegte der Hausherr einen aufwendigen, patrizischen Lebensstil. Heute ist seine „gute Stube“ eines der Herzstücke des Museums, sein Familienwappen mit den drei Hunden (der Familienname leitet sich von „Hundebiss“ ab) das Emblem des Museums.

Bereits Ende der 1980er Jahre wurde die Idee geboren, im Humpis-Quartier ein städtisches Museum einzurichten. Mit der Übernahme des „Humpishauses“ durch die Ravensburger Museumsgesellschaft fiel 2000 der Startschuss für die Sanierung. Dabei wurde Wert darauf gelegt, dass keine Rekonstruktion oder „geglättete“ Sanierung vollzogen, sondern die Bausubstanz in ihren verschiedenen Zeitschichten gesichert wurde. So legte man etwa den rosa Putz aus dem 19. Jahrhundert an der Ostfassade der Humpisstraße 3 in mühevoller Feinarbeit unter den Schichten des 20. Jahrhunderts frei. Damit entstand mitten in Ravensburg ein Stadtmuseum der besonderen Art: Das wertvollste Exponat ist das Viertel mit seinen sieben Häusern selbst.

Schon beim Betreten des Museums schaut man verblüfft nach oben. Denn der Innenhof ist samt den dazugehörigen Häuserdächern lichtdurchflutet, mit Glas überdacht und vor der Witterung geschützt. An den Häuserwänden veranschaulichen die rekonstruierten Laubengänge die teils abenteuerlichen Wege der Bewohner und bieten den Besuchern die Möglichkeit, das Fachwerk auch einmal aus der Nähe zu betrachten.

In vier horizontalen Querschnitten vermittelt das Museum anschaulich jeweils anhand eines zeitgenössischen Bewohners, wie sich das Quartier und die Stadt Ravensburg insgesamt im Lauf der letzten 1000 Jahre verändert haben. Moderne Medien unterstützen in den 60 Räumen die Präsentation, ohne sich dem Besucher aufzudrängen. Zunächst begegnet man im Kellergewölbe neben den originalen Mauerfundamenten eines Hauses aus der Zeit um 1050 einem Lederhandwerker aus der welfischen Gründungsphase der Stadt – einem der ersten Bewohner Ravenburgs. Im ersten Geschoss taucht man ein in die Welt des erfolgreichen Fernhändlers und Bürgermeisters Hans Humpis (um 1430–1512). Dabei wird deutlich, wie sehr das Leben im Mittelalter von der Religion bestimmt war. Vom politischen Engagement des Kaufmanns zeugt etwa ein „Schwörstab“, mit dem der Stadtrat und Bürgermeister Humpis jeden Pfingstsonntag, am Schwörtag, gelobte, zum Wohl der Bürger zu handeln.

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Weiter geht die Zeitreise zu den Brüdern Wucherer. Das Rot- und Weißgerberhandwerk der Brüder wird als typisches Zunfthandwerk im Ravensburg des 18. Jahrhunderts gezeigt. Der Dachboden Johannes Wucherers zum Trocknen der Tierhäute und eine Gerbergrube können besichtigt werden. Akustisch wird der Besucher von den historisch verbürgten Querelen der Brüder begleitet, die sich um das elterliche Erbe, die Übernahme des prestigeträchtigen Weißgerberbetriebs und das als unfein geltende Rotgerbertum drehen. In jedem Querschnitt präsentieren zusätzliche Stelen die Ereignisse der Epoche in Wissenschaft, Kultur und Weltgeschehen. Für das Zeitalter der Industrialisierung steht die Geschichte des Humpiswirts und Bierbrauers Gottfried Rösch. In seinem Speiselokal in der Marktstraße 47 trafen sich die Honoratioren der Stadt. Die Gaststättenräume des 19. Jahrhunderts mit dem Grünen Saal werden derzeit denkmalgerecht saniert. Die Ausstellung eröffnet noch 2011. Ausklingen lassen kann man den Besuch im Geschichtslabor im Erdgeschoss. Im hellen, offenen Raum werden neben Exponaten auch Filme und Fotografien gezeigt, die die Ravensburger Geschichte von 1871 bis heute im gesamtdeutschen Kontext zeigen.

Ausgestellt sind im Museum überwiegend Objekte, die man vor Ort fand und die eine Geschichte erzählen können. Daher sind etwa die Renaissance oder der Dreißigjährige Krieg ausgeklammert. Umso mehr Zeugnisse gibt es dagegen über das Leben im „paritätischen Ravensburg“. Mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 wurde die Bikonfessionalität in Ravensburg festgeschrieben. Katholiken und Protestanten galten fortan in der Stadt als gleichberechtigt, und Ämter wurden doppelt, das heißt mit Vertretern beiden Konfessionen besetzt. Die Auswirkungen auf das Stadtbild erschließen sich den Besuchern spielerisch unter dem Dachboden: Die Ergebnisse des „Seelenbeschriebs“ von 1789, einer Art Volkszählung, kann man sich auf einem interaktiven Stadtplan anzeigen lassen. Etwa, in welchen Vierteln Katholiken, Handwerker oder Reiche lebten und welche Namen dort verbreitet waren. Zum Beispiel wurden nur katholische Mädchen auf den Namen „Agatha“ getauft. Auch ein „Schandmantel“ ist hier ausgestellt. Er wurde als Ehrstrafe eingesetzt, wenn die „Policeyordnungen“ nicht respektiert wurden, die unter anderem Rauchen, Kaffeetrinken oder Glücksspiel verboten. Den wohlhabenden Weißgerber Johannes Wucherer scheint dies nicht gestört zu haben, fand man im Quartier doch Pfeifen, Kaffeetassen und Würfel.

http://www.museum-humpis-quartier.de

Carmen Fischer

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