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Streitmacht der Rechtgläubigen

Die Fürsten im Salierreich um 1100

Streitmacht der Rechtgläubigen
In der Zeit Heinrichs IV. und Heinrichs V. übernahmen die Fürsten eine immer größere Verantwortung für die Wohlfahrt des Reichs – die Kaiser schienen Frieden und Gerechtigkeit nicht mehr schützen zu können oder zu wollen. Auch der Machtanspruch der geistlichen Fürsten stieg in dieser Zeit enorm an.

Das Jahr 1105 löste bei den Fürsten hektische Unruhe aus. Das gesamte politische System im römisch-deutschen Reich schien in Bewegung zu geraten. Der junge Heinrich V. hatte sich mit mächtigen Fürsten seiner Generation zusammengetan. Gemeinsam wollte man den nun schon Jahrzehnte währenden Bürgerkrieg, der unter Kaiser Heinrich IV. Not und Verwüstungen über das Reich gebracht hatte, beenden. Die Fürsten waren nicht mehr bereit, diesen Zustand länger zu ertragen. Sie fühlten sich verantwortlich für die Ordnung, für die Gerechtigkeit und einen gedeihlichen Friedenszustand und entwickelten mehr und mehr ein Verantwortungsbewusstsein für das Reich.

Diese „Fürstenverantwortung“ in der spätsalischen Zeit war ein ganz neues Phänomen. Zwar handelten mächtige Fürsten auch schon früher im Auftrag des Königs als Grafen, Herzöge, Vögte oder in anderen Funktionen der „öffentlichen Gewalt“, aber ihr Handeln war abgeleitet von einer höheren Autorität. Diese wurde verkörpert vom König oder Kaiser, der für den Frieden, die Gerechtigkeit und den Schutz der Kirche und der Schwachen zu sorgen hatte. Der Königsschutz bildete die sicherste Garantie und war für alle das erstrebenswerteste Gut. Bischöfe sicherten ihre Bistümer damit, Klöster und Kirchen wappneten sich mit dem Schutz des Königs gegen Begehrlichkeiten des Adels, und als „gerechter König“ (rex iustus) galt der-jenige, der jedem Einzelnen zu seinem Recht verhalf. Aber in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts begann dieses Friedens- und Schutzsystem unter Heinrich IV. zu zerbrechen. Dieser Vorgang bedeutete eine große Zäsur in der politischen Ordnung des Reichs. Im Prinzip lief die Entwicklung darauf hinaus, dass sich neben der königlichen Autorität nun auch andere Mächte als Garanten für den Schutz herausbildeten, so dass man von der Entstehung eines Autoritäten-Pluralismus sprechen kann.

Einer der Gründe für diese Veränderung lag darin, dass sich eine neue Vorstellung von der Gesellschaftsordnung ausbreitete. Das Jahrhundert der Salier brachte das Modell einer „funktionalen Gesellschaft“ hervor, dem die Idee einer Aufteilung der Gesellschaft in drei Gruppen oder Stände zugrunde lag. Demzufolge gab es eine Gruppe derer, die sich um das Seelenheil der Menschen zu kümmern hatten. Das waren die Kleriker oder Beter (oratores). Die zweite Gruppe wurde von denen gebildet, die Kirchen und Menschen zu schützen und zu verteidigen hatten: Das waren die Kämpfer (pugnatores). Die dritte Gruppe schließlich bestand aus denen, die für die Produktion der Lebensmittel und damit für die Versorgung der anderen zuständig waren: Das waren die Arbeitenden (laboratores) oder Bauern. Schon zu Beginn des 11. Jahrhunderts treffen wir auf Abhandlungen über diese neue Einteilung der Gesellschaft (Adalbero von Laon, Gerhard von Cambrai). Darin wird eigens betont, dass jede Gruppe verpflichtet sei, die ihr zugewiesene Funktion optimal zu erfüllen. Nur dann könnten auch die beiden anderen Gruppen ihren Aufgaben nachkommen. Nur wenn alle ihre Pflichten und die ihnen übertragenen Funktionen bestens erfüllten, könne die Gesellschaft „funktionieren“. Dieses neue Verständnis einer gesellschaftlichen Ordnung griff also auf alle Bereiche über. Auf diese Weise entstand – wie man heute sagen würde – ein kollektiver Zwang zur Leistungsoptimierung. Die Bauern etwa vermehrten ihre Erträge, weil sie bessere Anbaumethoden einführten. Die Dreifelderwirtschaft breitete sich aus, der Scharpflug fand größere Verbreitung; vor allem begann sich die Dorfgemeinschaft selbst zu organisieren und damit genossenschaftlich ihre Effizienz zu steigern.

Für die Herrschaftsstrukturen noch wichtiger war es, dass sich auch der Adel in diesem Sinn organisierte. Seit ungefähr 1070/1080 ist zu erkennen, dass Adlige immer häufiger dazu übergingen, „Burgherrschaften“ zu errichten. Das bedeutete, dass allerorten „Höhenburgen“ entstanden, die als Signal für eine Intensivierung der Herrschaft zu verstehen waren. Damit nahm ein „Verherrschaftlichungsprozess“ seinen Anfang, der sich über 200 Jahre hinziehen sollte. Dabei ging es nicht nur um persönliche Macht-ambitionen, wie diese Vorgänge heute aus einem modernen Verständnis heraus gern gedeutet werden. Es handelte sich vielmehr um den gesellschaftlichen Auftrag des Adels. Die Adelsherrschaften bildeten für Hunderte oder Tausende von Menschen die Lebens- und Schutzbereiche. Daher musste dafür gesorgt werden, dass diese Räume und Personengemeinschaften beim Tod eines adligen Herrn nicht zerfielen oder zerteilt wurden. Aus dem hausherrlichen (patrimonialen) Verbund früherer Grundherrschaften, der von einer familiären Lebensordnung geprägt war, begann sich die Organisation einer großräumigen adligen Herrschaft zu entwickeln, mit Burgen als Herrschaftszentren. Hinzu kam eine neue Dienstmannschaft – Ministerialität genannt –, die aus der Schicht der Unfreien kam und deren Mitglieder zu Verwaltungsleuten, vor allem aber zu Kriegern ausgebildet wurden. Mit ihrer Hilfe konnten die Fürsten und Adligen ihre Macht gewaltig steigern – und sie waren zunehmend in der Lage, auch den Kirchen und Klöstern ihren Schutz anzubieten. Der Königsschutz bekam Konkurrenz.

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Besonders große Auswirkungen der neuen funktionalen Ordnung sehen wir bei der Kirche. Die Entwicklungen kündigten sich dadurch an, dass die Bischöfe in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts begannen, ihre Bistümer strenger auf die Spitze hin auszurichten – also auf ihre eigene Autorität. So sollte die Besetzung der Pfarreien nur noch mit Genehmigung des Bischofs erfolgen. Auch das „Pfarr-Recht“ (ius parrochiale) begann sich auszubilden. Das bedeutete, dass die Pfarrer in ihrer Gemeinde die Aufsicht über weite Teile der Lebensordnung – etwa in Eheangelegenheiten – beanspruchten. Hinzu kam ein Kontrollsystem, bestehend aus Dekanaten und Archidiakonaten. Das alles waren Prozesse, die sich zwar über einen längeren Zeitraum erstreckten, aber bereits um 1100 die Macht der Bischöfe ganz erheblich steigerten.

Dazu gehört auch, dass wir in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts erstmals bischöfliche Münzen antreffen, die nicht das Haupt des Königs abbilden, sondern dasjenige des Bischofs. Bis dahin hatten die Bischöfe ihre Münzhoheit im Auftrag des Königs ausgeübt. Nun gingen sie dazu über, selbst als Münzherren zu erscheinen und diesen Status auf ihren Münzen zum Ausdruck zu bringen. Um 1100 schließlich ließen sich die Bischöfe auch auf ihren Siegeln in neuartiger Weise abbilden, nämlich genauso wie der König auf einem Thron sitzend. Sie beanspruchten damit ein wichtiges Zeichen der „Majestät“ und zeigten sich als Repräsentanten einer Autorität, die sich von der des Königs kaum mehr unterschied…

Literatur Stefan Weinfurter, Canossa. Die Entzauberung der Welt. München 2007. Stefan Weinfurter, Das Jahrhundert der Salier (1024 –1125). Ostfildern 2008.

Prof. Dr. Stefan Weinfurter

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Lau|ben|vo|gel  〈m. 5u; Zool.〉 Angehöriger einer Familie dohlengroßer, mit den Paradiesvögeln verwandter Singvögel, der zur Balz laubenähnliche Gänge baut: Ptilonorhynchidae

Er|den|wurm  〈m. 2u; poet.〉 = Erdenkloß

Keuch|hus|ten  〈m. 4; unz.; Med.〉 Infektionskrankheit der Schleimhäute in den Luftwegen, bes. im Kindesalter, mit krampfhaften, anstrengenden Hustenstößen u. Zurückziehen der Luft durch die verengte Stimmritze: Tussis convulsiva; Sy Pertussis … mehr

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