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Vom Kaiser zum Leinwandstar

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Vom Kaiser zum Leinwandstar
Peter Ustinov ist Nero – und Nero ist Peter Ustinov. Seit dem 1951 uraufgeführten Spielfilm „Quo vadis“ mit dem britischen Schauspieler in der Hauptrolle gilt diese Gleichung. Doch der römische Kaiser mit dem schlechten Ruf war auch in zahl?reichen anderen Filmen die Hauptperson.

Lange bevor der Kaiser, der antiken Berichten zufolge ein Künstler sein wollte, zum Leinwandstar avancierte, begann der Prozeß der Rezeption dieses Herrschers. Bis zum Ende der Antike war Nero in jenen Quellen, die unser heutiges Bild von ihm prägen, zu einem Ablehnung hervorrufenden Beispiel geworden, zu einer Gestalt, deren Erwähnung dazu führen sollte, sich nicht so zu verhalten, wie Nero es einst getan hatte. In der aristokratischen Geschichtsschreibung figurierte er als Beispiel für einen Tyrannen, in christlichen Quellen galt er überdies als Antichrist. Zum Motivkanon dieses Nero-Bildes gehörten bald Mutter- und Gattinnenmord, Brandstiftung, exzeßhafte Lebensführung und Christenverfolgung als in verschiedenen Variationen immer wiederkehrende topische Bestandteile. Im Zeitalter des Barock verkörperte Nero besonders im Drama und in der Oper Wahnsinn und Exzeß, im 19. Jahrhundert wurde er zu einem häufigen Thema in Malerei und Literatur, aber auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Christentum führte unweigerlich zu Nero. Selbst das Schaustellergewerbe nahm sich des Kaisers an.

Die Historienmalerei des 19. Jahrhunderts bannte Ereignisse der Geschichte detailreich und dramatisch auf die breite Leinwand und schuf so visuelle Vorbilder für das Kino. Bereits 1860 inszenierte der Historienmaler Carl Theodor von Piloty „Nero auf den Trümmern Roms“. Auf diesem Gemälde steht der Kaiser vor dem brennenden Rom und blickt in der Gestalt eines gelangweilten Genußmenschen voller Verachtung auf die Opfer der von ihm initiierten Christenverfolgung – eine Form der zeitlichen Verdichtung zweier Ereignisse, wie sie auch für die Kinogeschichte nicht untypisch ist. Ebenfalls sehr bekannt wurde das Gemälde „Die Fackeln des Nero“ (1876) von Henryk Siemiradszki, das die Hinrichtung von Christen durch den Feuertod im Palast Neros zeigt.

Wichtig für die weitere Rezeption Neros waren das englische Theaterstück „Sign of the Cross“ (1875) von William Barrett und der Roman „Quo vadis?“ (1894) des polnischen Schriftstellers Henryk Sienkiewicz, der 1905 mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet wurde. In beiden Werken erscheint Nero als der Gegenspieler eines römischen Feldherrn (Marcus Superbus/Marcus Vinicius), der durch die Liebe zu einer Christin (Mercia?/?Lygia) zum rechten Glauben findet. Im Roman des 19. Jahrhunderts verweist der christenfeindliche Tyrann Nero zudem auf den in Polen als Fremdherrscher und Gegner des Katholizismus empfundenen russischen Zaren.

Erstaunlicherweise betonte gerade die damalige wissenschaftliche Beschäftigung mit christlicher Legendenbildung wieder das Gegensatzpaar Christ und Antichrist und bekräftigte die Historizität der Hinrichtung von Petrus und Paulus unter Kaiser Nero. Manche historische Hypothese geriet in der Popularisierung zur Gewißheit, und der Roman „Quo vadis?“ erhielt gar wissenschaftlichen Segen, indem Orazio Marucchi, ein ausgewiesener Experte für christliche Archäologie, ein fachwissenschaftliches Kapitel für die italienische Romanausgabe beisteuerte. Aber Nero war inzwischen nicht nur ein Antiheld des Dramas und des Romans, sondern gehörte auch zum Programm von Zirkusshows und Pyrodramen, bei denen Ereignisse der Arena und des Bran-des als publikumswirksame Sensa-tion gezeigt wurden.

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Im Jahr 1896 wurde Nero zur Hauptfigur des ersten einminütigen Antikfilms von Alexandre Promio. Zu sehen ist in diesem kurzen Streifen, wie Nero die Wirkung eines Gifts an Sklaven testet („Néron essayant des poisons sur des esclaves“). Aber auch als Filme von längerer Abspielzeit produziert wurden, findet sich unter den Pionierprojekten wieder eine Verfilmung der Nero-Thematik. Der italienische Regisseur Enrico Guazzoni setzte 1912 mit seiner zweistündigen italienischen Version von „Quo vadis?“ Standards für spätere Historienfilme – das gilt sowohl für die Umsetzung eines Romans in filmische Narration als auch für die an der Historienmalerei orientierte Bildsprache. Gerade die Figur Neros bot den Machern des neuen Mediums mit ihren Schreckenstaten (Brandstiftung und Hinrichtungsszenen in der Arena …) die Möglichkeit, mit der realitätsnahen Inszenierung ihre Kompe?tenz unter Beweis zu stellen.

So ist Nero in der gesamten Stummfilmzeit eine international gefragte Figur geblieben. Obwohl Angaben zu Stummfilmen wegen der schlechten Überlieferungslage oft spekulativ bleiben, dürfte sich die Anzahl der Verfilmungen von „Quo vadis“ in jener Zeit auf etwa neun belaufen, die von „Sign of the Cross“ auf fünf. Außerdem erhielt Nero noch in zahlreichen anderen Filmen kleinere oder größere Rollen. Neben den Filmen, in denen seine Regierungszeit den Zeitrahmen abgibt, zeichnen sich bereits die Genres ab, in denen Nero auch in der späteren Filmgeschichte auftauchen sollte: Dazu zählen Episodenfilme, in denen die römische Zeit durch Nero repräsentiert wird (zum Beispiel „Restitution“, USA 1918), ferner Parodien mit einem clownesken Kaiser (etwa 1912 mit dem italienischen Komiker Kri Kri in „Kri Kri et il ‚Quo vadis?‘“ oder in „Nero“(hysterical historical comedy, USA 1925) und als unverzichtbarer Akteur in filmischen Porträts seiner Verwandten („Britannicus“, Frankreich 1912; „Nerone e Agrippina“, Italien 1913). Soll man es vor diesem Hintergrund für einen Zufall halten, daß die bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten sehr erfolgreiche deutsche Produktionsfirma von Seymour Nebenzahl und Richard Oswald „Nero-Film“ hieß? …

Dr. Anja Wieber

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