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Weibliche Karrieren

Begabte Frauen im China des 18. Jahrhunderts

Weibliche Karrieren
Zweifellos unterlagen die Frauen auch im China des 18. Jahrhunderts vielen gesellschaftlichen Zwängen. Bemerkenswert waren jedoch ihre Möglichkeiten, sich zu bilden, Fertigkeiten zu erwerben oder durch Engagement für die Familie ein erfülltes Leben zu führen.

An einem Regentag gegen Ende der Regierungszeit des erhabenen Kaisers Qianlong saß Zhang Yunzi, eine junge Ehefrau, am Fenster ihres Schlafzimmers. Sie war lustlos und wünschte, ihr Mann Ren Zhaolin käme bald nach Hause. Um sich die Zeit zu vertreiben, schrieb sie ein Gedicht für ihn: „Unser unbemaltes Holztor bewegte sich nicht. / Das grüne Fenster scheint leer. / Ein Zugvogel kennt Frühlingsgefühle. / Tief im Zimmer vernimmt man eine Stimme, die aus Büchern rezitiert.“ Die Worte vom „unbemalten Holztor“ zeigen, dass Zhang stolz auf den Rang ihres Ehemanns – eines Gelehrten – war: Obwohl sie nicht so viel Geld besaßen wie die Kaufleute mit ihren prächtigen Toren, widmeten sie ihr Leben der moralisch höherwertigen Gelehrsamkeit und der Dichtung. Der „Zugvogel“ bezieht sich auf ihren reisenden Ehemann, der, wie sie glaubt, sich ihrer Liebessehnsucht (den „Frühlingsgefühlen“) bewusst ist. Sie versichert ihm aber, dass sie ihre Energie der Gelehrsamkeit widmet und sich nicht lüsternen Gedanken hingibt.

Das liebende Paar lebte am Seeufer in einem Vorort von Suzhou. Die Stadt im Osten Chinas (nahe Shanghai) war Mittelpunkt der Seidenindustrie und ein größeres Zentrum der Buchproduktion. 200 Jahre Handel und Wohlstand hatten hier seit dem 16. Jahrhundert einige der tra-ditionellen konfuzianischen Einschränkungen gelockert, unter denen Frauen lebten. Ren war unter den Männern der Gelehrtenklasse keine Ausnahme, wenn er sich eine gebildete Braut und damit eine Seelen- und Geistesgefährtin wünschte. Ungewöhnlicher ist, dass er die Ausbildung von Frauen aktiv förderte und schließlich neun Frauen, die in nahegelegenen Städten lebten, in der Dichtkunst unterrichtete. Gelegentlich trafen sie sich in Rens Haus und feierten Poesie-Feste, indem sie reihum Gedichte verfassten, die einem bestimmten Rhythmus folgten oder etwa den weißen Lotus priesen. Sie sandten Ren ihre Arbeiten aber auch mit der Post zur Korrektur zu. Um chinesische Gedichte zu verfassen, benötigt man nicht nur ein gutes Ohr, sondern muss auch mit klassischen Anspielungen vertraut sein – ein guter Dichter muss folglich auch ein guter Gelehrter sein.

Eine von Rens Schülerinnen war eine fromme Buddhistin namens Jiang Zhu. Sie war eine eindrucksvolle Frau und besaß Fähigkeiten, die man eher Männern zumaß: Sie kannte die Klassiker und die Geschichte, neben Gedichten schrieb sie lange Prosaabhandlungen, und sie war eine geübte Fechterin. Statt sich für weiblichen Zeitvertreib wie Stickerei zu interessieren, suchte Jiang den Sinn des Lebens, wenn nicht gar Erlösung in der Literatur – eigentlich der Ehrgeiz männlicher Gelehrter. In ihren Worten: „Das Leben ist so trügerisch wie Blumen im Wind und die Spiegelung des Mondes auf dem Wasser. / Doch in der Literatur begegne ich meinem Schicksal. / Ich halte unser Zufallstreffen in Ehren, als handele es sich um ein Bild. / Mögen meine Worte Zeugnis ablegen vor den Menschen und im Himmel.“

Anders als ihre Freundin Zhang Yunzi, der es genügte, die gebildete und geliebte Frau eines Gelehrten zu sein, war es Jiangs Ehrgeiz, selbst eine Gelehrte zu werden. Allerdings konnte eine Frau – unabhängig davon, wie gut sie ausgebildet war – nicht die Beamtenprüfung ablegen, in der immer auch traditionelles Gelehrtenwissen geprüft wurde; das höchste Ziel in der konfuzianischen Welt – Unsterblichkeit durch Gelehrsamkeit, denn Beamte verfassten immer Texte, auch literarische, und sicherten sich damit einen gewissen Ruhm über den Tod hinaus – war ein männliches Vorrecht. Zwar gelang es Jiang Zhu, zu ihren Lebzeiten mindestens zwei Bücher unter ihrem eigenen Namen zu veröffentlichen, doch betete sie, da sie nach buddhistischer Praxis lebe, möge es ihr vergönnt sein, im nächsten Leben in einem männlichen Körper wiedergeboren zu werden.

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Jiangs Frustration ist verständlich. Im 18. Jahrhundert hatte die Ausbildung von Frauen einen derartigen Aufschwung genommen, dass viele es in Sachen Gelehrsamkeit mit männlichen Gelehrten aufnehmen konnten; es gab aber kaum institutionelle Wege, auf denen Frauen gegen Vergütung öffentlich beschäftigt werden konnten. Einer war die Medizin. Unter anderem, weil die Regeln weiblicher Sittsamkeit es einem Arzt nicht geraten sein ließen, seine Patientin zu berühren oder auch nur zu mustern, blieb viel praktisches Wissen in den Händen von Frauen. Die Hausfrau war für ihre Familie der Doktor vor Ort – kochte täglich gesunde Mahlzeiten und bereitete Kräutermittel für kleinere Beschwerden zu. Heilerinnen oder Hebammen verabreichten Heilmittel bei Menstruationsbeschwerden, halfen bei Schwangerschaftsabbrüchen und gaben Geburtshilfe. Anders als sein nordeuropäischer Kollege, der sich dadurch zu empfehlen glaubte, dass er Hebammen verunglimpfte, anerkannte der chinesische Arzt – vor allem in Geburten betreffenden Belangen – die Autorität der Hebammen und Heilpraktikerinnen…

Prof. Dr. Doroty Ko

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Wissenschaftslexikon

♦ Re|tro  〈m. od. n.; – od. –s; unz.; umg.; meist in Zus.〉 Stilrichtung od. Mode, die Trends vergangener Epochen aufgreift (~design) [engl.]

♦ Die Buchstabenfolge re|tr… kann in Fremdwörtern auch ret|r… getrennt werden. Davon ausgenommen sind Zusammensetzungen, in denen die fremdsprachigen bzw. sprachhistorischen Bestandteile deutlich als solche erkennbar sind, z. B. –traktion, –tribution mehr

Gril|le  〈f. 19〉 1 〈Zool.〉 Angehörige einer Gruppe der Heuschrecken, den Laubheuschrecken ähnlich, die ein zirpendes Geräusch macht: Grylloidea 2 〈fig.〉 Laune, Schrulle, wunderlicher Einfall … mehr

In|ter|net|an|schluss  〈m. 1u; IT〉 Anschluss an das weltweite Internet (per Telefonleitung); Sy Internetzugang … mehr

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