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Weltreisender und Gesellschafter

Das Reisebuch des Evliya Celebi

Weltreisender und Gesellschafter
Der 1611 in Istanbul geborene und wohl nach 1684 wahrscheinlich in Kairo verstorbene Evliyâ Çelebi hat in einem zehnbändigen Werk – zu durchschnittlich 700 bis 1000 Druckseiten! – ein ungewöhnliches, zum größten Teil im Sattel verbrachtes Leben, beschrieben.

Das „Reisebuch“ enthält die Porträts von Tausenden von Städten und Siedlungen zwischen Istanbul und Kairo, Wien und Bagdad mit den Beschreibungen der dazwischen liegenden „nackten Berge“ und „blühenden Landschaften“. Allein die Schilderung der 1638 vor dem Sultan Murâd IV. paradierenden Istanbuler Zünfte ist ein einmaliges Panorama der osmanischen Gesellschaft. Das Reisebuch ist zugleich eine unterhaltsame Sammlung von Anekdoten, Märchen- und Sagenstoffen, Personenbeschreibungen und Erzählungen aus Vergangenheit und Gegenwart. Evliyâ sammelte also nicht nur Städte, auch wenn man das Reisebuch noch heute wie einen gigantischen Baedeker nutzen kann; er war auch ein glänzender Erzähler, der sich eines reichen Osmanisch bedient. Und nicht zuletzt ist es eine große Autobiographie.

Um seine Leser zu erheitern, setzte Evliyâ häufig Dialektformen des Türkischen ein und schreckte auch vor obszönen Wendungen nicht zurück. Auch fremde Sprachen zeichnete er gewissenhaft auf, von griechischen und slawischen Dialekten bis zu afrikanischen Idiomen. Seine Beobachtungen über die Verwandtschaft des Deutschen und des Neupersischen sind älter als die schüchternen Anfänge der Indogermanistik im 18. Jahrhundert und müßten ihm eine Büste in der Ruhmeshalle der Sprachwissenschaft reservieren. Für eine solche Skulptur fehlt freilich ein Porträt, fast alles, was wir über Evliyâ wissen, stammt aus seinem eigenen Werk. Hinzukommen einige wiederaufgefunden Graffiti an Moscheen, mit denen er sich verewigt hatte, im südostanatolischen Adana etwa oder in Bulgarien (Kustendil) und in Fotscha/Hercegovina (diese Inschrift wurde allerdings mit der berühmten Moschee ein Opfer des jugoslawischen Bürgerkriegs). In Adana kann man hingegen noch heute eine Formel lesen, wie sie sich auch auf Grabsteinen findet: „Um Gottes Wohlgefallen eine Fatiha [die 1. Sure des Koran] für die Seele Evliyâs des Weltreisenden aus dem Haushalt des Melek Ahmed Pascha im Jahr 1082/beg. 10. Mai 1671“.

Evliyâ wurde an seinem 20. Geburtstag durch ein Traumgesicht, in dem ihm der Prophet Muhammad erschien, aufgefordert, das Reisen zum Lebensinhalt zu machen. Auch sein verstorbener Vater wünschte ihm in einem Traum den Segen des Propheten für seine Reisen, Handelsgeschäfte und Pilgerfahrten. Aus praktischen Gründen verband er seine Fahrten, die er zehn Jahre später (1640) antrat, allerdings meist mit politischen und administrativen Aufgaben oder damit, wichtige Nachrichten zu überbringen.

Zur Familie des Reisenden soll hier nur das Notwendigste gesagt werden: Der Vater Dervisch Mehmed Zillî war ein gesuchter Goldschmied, der auch zahlreiche Aufträge des Hofes entgegennahm. An vielen Stellen weist Evliyâ darauf hin, daß seine Vorfahren gleichsam osmanischer „Uradel“ war, der mit den ersten Sultanen Anatolien unter seine Hufe nahm. Evliyâ wuchs in Unkapan? („Mehlmagazin“) in der Istanbuler Altstadt unweit des Goldenen Horns auf. Er besuchte die Koranschule und über sieben Jahre die Medrese. Er konnte den Koran über seine ganze Länge von acht Stunden auswendig und wurde ein gesuchter Rezitator und Müezzin. Als die Osmanen die kretische Festung Candia (Heraklion) einnahmen (1670), stand Evliyâ auf der Mauern und verkündete den Sieg über Venedig, indem er die erste Sure des Koran vortrug.

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Die Mutter war eine Abchasin, entstammte also dem kleinen westkaukasischen Volk, das erst im Laufe des 17. Jahrhunderts mehr oder weniger zügig islamisiert wurde. Über die mütterlichen Beziehungen gelangte Evliyâ in dem Umkreis wichtiger Höflinge und Staatsmänner, die ihre Wurzeln ebenfalls im Kaukasus hatten. Ein Abchase und weitläufiger Verwandter war auch der damalige Silihdar („Schwertträger“) Melek („Engel“) Ahmed Pascha. Er stellte den jungen Evliyâ Murad IV. vor, worauf der Sultan das mundfertige Bürschlein in die Serailschule aufnahm, in welcher der Nachwuchs an Pagen rekrutiert wurde. Die Nähe zu Melek Ahmed, der es 1650/51 kurz zum Großwesir brachte, sich aber danach mit Statthalterposten in Diyarbekir, Van (beides in Ostanatolien), Özi (Otschakov am Djnepr) und Bosnien zufrieden geben mußte, war für Evliyâs Leben von größter Bedeutung. Er galt als Mitglied des Haushalts von Melek Ahmed, und dies bildete den Kern seiner Identität als Osmane und Muslim.

Der Besuch muslimischer Wallfahrtsstätten bildete sicher ein Programm für Evliyâ (der Name ist die Pluralform von arabisch veli, Heiliger), doch darf dies nicht mit einer lebenslangen Pilgerfahrt verwechselt werden. Evliyâs spirituelle Seite wird durch Lebenspraxis, eine gesunde Skepsis und politischen Instinkt mehr als ausgewogen. Selbst sein Bericht über die Wallfahrt zu den heiligsten Stätten der islamischen Welt wird mit einer deftigen Anekdote über den (natürlich fehlgeschlagen Versuch) der Ungläubigen, den Leichnam des Propheten in Medina zu stehlen, aufgelockert. Bedeutende christliche Klöster und Kirchen kennenzulernen, war ihm sehr wichtig. An einer Stelle faßt er die sieben gewaltigsten Klöster zusammen, die er auf seinen Reisen aufgesucht hatte: Drei lagen im armenischen Kulturkreis (Eriwan, Nachitschewan und Van), das vierte ist der als Kloster verstandene Stephansdom in Wien, es folgen ein ungarisches Kloster, die Geburtskirche in Bethlehem und die Auferstehungskirche in Jerusalem. Es kann aber vermutet werden, daß Evliyâ mindestens so oft Wärmbäder (nach eigenen Aussagen 770 hammâms) aufsuchte wie die Mausoleen frommer Männer…

Prof. Dr. Klaus Kreiser

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Mo|no|pha|gie  〈f. 19; unz.; Biol.〉 auf nur eine Futterpflanze bzw. nur eine Tierart eingestellte Ernährungsweise; →a. Oligophagie … mehr

♦ an|dro|lo|gisch  〈Adj.; Med.〉 die Andrologie betreffend, zu ihr gehörig

♦ Die Buchstabenfolge an|dr… kann in Fremdwörtern auch and|r… getrennt werden.

Kol|ben|stan|ge  〈f. 19; Tech.〉 am Kolben eines Kolbenmotors befestigte Stange zur Übertragung der auftretenden Kräfte auf die Kurbelwelle

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