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Wie Brüder vereint?

Der Festzug der Württemberger

Wie Brüder vereint?
Wie zeigt man den Untertanen eines aus zahlreichen Herrschaften zusammengewürfelten neuen Königreichs, daß sie eigentlich alle zusammengehören? In Württemberg veranstaltete man 1841 einen Festzug, der alle Konfessionen und Schichten vereinte – und bannte das Geschehen in ein farbenprächtiges Buch.

Der Anlaß für den Festzug der Württemberger war ein Jubliäum: 25 Jahre zuvor hatte König Wilhelm I. den Thron bestiegen. So wurde der Festzug zu einer Huldigung für den Monarchen. Doch indem die Untertanen ihrem König huldigten, huldigten sie auch dessen Reich und akzeptierten Württemberg als „ihr“ Land – unabhängig davon, ob sie schon zuvor im Herzogtum Württemberg gelebt hatten oder in einer der fürstlichen, gräflichen, geistlichen, ritterlichen oder reichsstädtischen Herrschaften, die Württemberg 1803 durch den Reichsdeputationshauptschluß bzw. 1806 dank des Bündnisses mit Napoleon (durch das es zum Königreich aufstieg) geschluckt hatte. Da waren die Fürsten und Grafen, die auf einmal selbst zu Untertanen geworden waren und ihre Unterwerfung mit einer tiefen Verbeugung vor dem neuen König Friedrich I. hatten dokumentieren müssen. Da waren aber auch die Bürger der traditionsreichen Freien Reichsstädte wie Reutlingen, Rottweil, Heilbronn oder Schwäbisch Gmünd, deren Räte sich fortan nur noch um ihre inneren Angelegenheiten kümmern durften. Besonders einschneidend war der Herrschaftswechsel in den katholischen Gebieten, vor allem in den geistlichen Territorien, die auf einmal einen protestantischen Landesherrn bekamen.

Überall wurde damals das württembergische Wappen als Zeichen der Inbesitznahme aufgepflanzt, die Erinnerung an frühere Verhältnisse durch aus heutiger Sicht fast kuriose Anordnungen unterbunden: So durften die Menschen in Wiblingen bei Ulm die Gebäude des aufgelösten Benediktinerklosters unter Androhung von Strafe nicht mehr als „Kloster“ bezeichnen; da seit 1808 Herzog Heinrich von Württemberg darin lebte, galt es fortan als „Schloß“. Ernsthaften Widerstand gab es gegen die Vereinnahmung gleichwohl nicht. Die meisten Neu-Württemberger sahen ein, daß sie an der Situation nichts ändern konnten. Andere erhofften sich von dem größeren Württemberg eine fortschrittliche Entwicklung, fern der beengten Verhältnisse des Alten Reichs. So blieb es bei wenigen Zeichen des Unmuts, wie in Esslingen am Neckar, wo unbekannte Täter im Schutz der Dunkelheit ein württembergisches Wappen herunterrissen.

Der erste württembergische König Friedrich I. war ein autokratisch herrschender Monarch, der Widerspruch nicht duldete. Zwar gewährte er auch seinen neuen katholischen Untertanen religiöse Toleranz, doch stellte er unmißverständlich fest: „Glauben kann jeder, was er will, gehorchen aber muß jeder.“ Regionale Besonderheiten kamen in dem zentralistischen Württemberg Friedrichs I. nicht vor.

Das Bündnis mit Napoleon hatte Friedrich zwar die Königskrone eingebracht, doch die Gegenleistung dafür waren Soldaten, die an der Seite des französischen Kaisers in Rußland kämpfen mußten. Die Niederlage des großen Korsen vor Augen, wechselte Friedrich 1814 die Seite. Die Hoffnung, dafür auf dem Wiener Kongreß mit neuerlichen Gebietszuwächsen belohnt zu werden, erfüllte sich nicht.

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Friedrich I. von Württemberg starb am 1. Oktober 1816. Seinem – ungeliebten – Sohn Wilhelm hinterließ er ein schweres Erbe. Jahrelange Mißernten hatten in der Bevölkerung zu Hungersnöten geführt, die Stellung Württembergs im Deutschen Bund war unbefriedigend, zu groß war die Dominanz Preußens und Österreichs. Der neue König hoffte, im Zusammenwirken mit Bayern und Sachsen ein Gegengewicht schaffen zu können. Im Auftreten gab sich Wilhelm I. als das direkte Gegenbild seines Vaters, der in fast barocker Manier repräsentiert und eine Pracht entfaltet hatte, die den Kassen des Königreichs wenig bekam. Der neue König gab sich dagegen genügsam und bescheiden. Nach der Auflösung seiner ersten Ehe mit Charlotte von Bayern hatte er 1816 die Großfürstin Katharina von Rußland geheiratet, eine Schwester Zar Alexanders I. Sie war eine hochgebildete Frau, die wegen ihres so‧zialen und bildungspolitischen En‧gagements (sie gründete etwa das Katharinenhospital in Stuttgart) bis heute verehrt wird. Nach ihrem frühen Tod 1819 ging Wilhelm eine dritte Ehe mit seiner Cousine Pauline von Württemberg ein.

Die Mißernten und Hungersnöte haben Wilhelm zwangsläufig mit den Problemen der Landwirtschaft konfrontiert. Er nahm sich dieses Themas schließlich so sehr an, daß ihn bereits seine Zeitgenossen als „rex agricolarum“, als König der Landleute, bezeichneten. Um die Landwirtschaft voranzu-bringen, gründete er 1818 das Landwirtschaftliche Institut in Hohenheim (bei Stuttgart) und stiftete eine jährliche Leistungsschau „zur fortschreitenden Verbesserung der Viehzucht im Königreich“. Verbunden wurde sie mit einem Volksfest – es war dies die Geburtsstunde des nach dem Münchner Oktoberfest größten deutschen Volksfestes: des Cannstatter Wasens. Fanden schon diese Maßnahmen des Königs den Beifall der Untertanen, so galt dies auch für die 1819 in Kraft getretene neue Verfassung des Königreichs. Wilhelm I. war zwar kein Absolutist wie sein Vater, doch war er auch nicht geneigt, sich in die Abhängigkeit der Stände zu begeben. Drei Jahre dauerten die Diskussionen zwischen dem König und den Vertretern der Landstände; am Ende erhielten letztere zwar eine ganze Reihe von Mitspracherechten, doch behielt der König auch über Notstandsrechte die Zügel in der Hand. Die Regierung des Königreichs bestand fortan aus sechs Ministern unter dem Vorsitz des Königs; ein aus zwei Kammern bestehendes Parlament stand ihr gegenüber. Die erste Kammer war vor allem eine Vertretung der Standesherren, also der fürstlichen und gräflichen Familien, die durch vom König ernannte Mitglieder ergänzt wurde, die zweite bestand aus Mitgliedern des ritterschaftlichen Adels, Vertretern der Kirchen und Universitäten sowie gewählten Abgeordneten.

Die neue Verfassung bildete eine Klammer für das ganze Königreich Württemberg und diente damit als wichtiger Faktor bei der Integration der neuen Untertanen. Ein sichtbarer Ausdruck dieser Einheit sollte auch der Festzug zur 25jährigen Wiederkehr der Thronbesteigung Wilhelms I. 1841 sein: keine Militärparade, kein Schwelgen in Rokoko-Pracht oder Mittelalter-Herrlichkeit, sondern das, allerdings idealisierte, Spiegelbild einer Gesellschaft, die ihre Traditionen bewahrte, aber zugleich stolz zu Württemberg und seinem König stand.

Darüber hinaus sollte der Festzug vom Fleiß der Menschen künden, sei es in der Landwirtschaft, im Handel oder im Handwerk. Daß Württemberg am Beginn seiner Industrialisierung stand und immer mehr Menschen in Fabriken arbeiteten, wurde nur an wenigen Stellen manifest. Lieber inszenierten die Organisatoren das Bild einer genügsamen Biedermeier-Gemütlichkeit. Zwar bereitete ein Aktionskomitee das Fest vor und betonte man stets die Freiwilligkeit, mit der die Untertanen sich zu Ehren ihres Königs versammelten, doch war der Festzug natürlich ganz im Sinne Wilhelms ein „belehrendes Beispiel wahrer Übereinstimmung zwischen einem edlen hochherzigen Fürsten und seinem biederen glücklichen Volke“.

Das mag überzogen klingen, doch zeugen allein die Teilnehmerzahlen davon, daß diese Stimmung durchaus in der Luft lag: Insgesamt zogen am 28. September 1841, einen Tag nach dem 60. Geburtstag des Königs, 10390 Personen durch die Stuttgarter Innenstadt: 9736 Fußgänger und 640 Reiter, dazu kamen 716 Tiere und 23 Festwagen. Der älteste Festzugsteilnehmer war ein 102jähriger Bäckermeister. Über 200 000 Zuschauer wollten sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen; dabei hatte die württembergische Haupt- und Residenzstadt damals nur 40 000 Einwohner. Das Aktionskomitee hatte den Festzug penibel vorbereitet, von den Sammelplätzen der Teilnehmer bis zum minutiösen Ablauf des Umzugs, eine logistische Meisterleistung. Alles sollte in geordneten Bahnen stattfinden: Den Reitern wurde eingeschärft, daß sie nur „ruhige Pferde“ und keinesfalls „unartige Hengste“ mitbringen durften, und Kinder sollten am besten ganz zu Hause bleiben, „zum wenigsten aber nicht auf solche Stellen gebracht werden, wo sie leicht Schaden nehmen können“. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Daß weder Gendarmen noch Soldaten den Ordnungsdienst leisteten, sondern normale Bürger, unterstrich den angestrebten Charakter einer „Veranstaltung von unten“, die nicht obrigkeitsstaatlich angeordnet war.

Unter Glockengeläut und Kanonendonner setzte sich der Festzug in Bewegung. König Wilhelm I. nahm die Huldigung seiner Untertanen im Hof des Neuen Schlosses hoch zu Roß, aber in Zivilkleidung entge‧gen – auch das ein Zeichen für den bürgerschaftlichen Charakter des Festzugs. Zwar gab es auch bunte Uniformen zu sehen, doch waren deren Träger keine regulären Soldaten, sondern Mitglieder von Bürgerwehren württembergischer Städte. Eine Ausnahme bildeten nur die Veteranen der antinapoleonischen Kriege 1814/15 und eine Deputation des Königlichen Armee-Corps. Ansonsten gab sich der Festzug zivil, wobei die unterschied‧lichen Trachten die Vielfalt in der Einheit des neuen Königreichs unterstrichen: Niemand mußte seine örtliche Identität aufgeben, um als guter Württemberger zu gelten. Dies galt auch für die Konfession – katholische und evangelische Geistliche reihten sich gleichermaßen in den Festzug zu Ehren des Königs ein. Auf einem rotsamtenen Kissen trug man die Verfassungsurkunde des Königreichs mit.

Den größten Platz in der Festzugsfolge nahmen Land- und Forstwirtschaft ein, wobei jede Region ihre regionale Kultur zeigen durfte: die Filder mit ihrem berühmten Sauerkraut, das Unterland mit seinem Wein, von der Schwäbischen Alb die Schäfer in ihrer typischen Tracht (wenn auch ohne Schafe, deren Geblöke wohl als störend empfunden worden wäre), Tabakbauern aus Maulbronn, Obstbauern aus Nürtingen … Einen zweiten Schwerpunkt bildeten die Handwerker: Teppichweber, Tuch- und Zeugmacher, Färber, Schneider, Hutmacher, Schmiede, Glaser, Zimmerleute, Metzger, Müller, Bäcker, aber auch Bergleute, Flößer, Holzhacker und Köhler – alle mit ihren Zunftfahnen, ihrer Berufskleidung und typischem Handwerkszeug. Das größte Interesse zogen aber die 23 aufwendig geschmückten Festwagen auf sich. Deren Reihe begann mit den beiden Wagen des Landwirtschaftlichen Instituts in Hohenheim, das stolz die – im wahrsten Sinn des Wortes – Früchte seiner Arbeit zeigte, aber auch einen neuentwickelten Pflug, der die Arbeit der Bauern künftig erleichtern sollte. Auf anderen Wagen stapelten sich Weinfässer oder zeigten Winzer, wie man aus Trauben den begehrten Saft herstellt. Eine stattliche Buche schmückte den Wagen aus dem Schönbuch, dem großen Waldgebiet zwischen Stuttgart und Tübingen, und kostbare Tuche präsentierte der Wagen der Manufaktur der Gebrüder Hardtmann aus Esslingen. Zwei Stunden dauerte der Umzug, doch das Fest war damit noch lange nicht beendet. Am Abend wurden Freudenfeuer entzündet, und ein Feuerwerk lockte noch einmal Zehntausende von Besuchern an. Die Freude der Zuschauer und der Jubel für den König an diesem Tag waren sicherlich nicht inszeniert, und bei vielen Neu-Württembergern dürfte der Festzug tatsächlich das Gefühl verstärkt haben, nun endlich dazuzugehören. Gleichwohl war der Festzug der Württemberger kein reales Abbild des Königreichs im Jahr 1841. Differenzen wurden bisweilen zugedeckt; so war es mit der „brüderlichen Eintracht“ der katholischen und evange‧lischen Geistlichen nicht weit her, und während 2000 Mitglieder von Sängerbünden den Festzug bereicherten, fehlten die Turner und studentischen Burschenschaften ganz – mit ihrer Begeisterung für ein einheitliches Deutschland hätten sie kaum in das idyllische Bild glücklicher württembergischer Untertanen gepaßt.

Das Königreich Württemberg Ausstellungstip und Literatur Die Große Landesausstellung 2006: Das Königreich Württemberg 1806 –1918. Monarchie und Moderne. 22. September 2006 – 4. Februar 2007 Stuttgart, Altes Schloß Mit opulenten Exponaten aus verschiedenen Museen und Privatbesitz werdenn das persönlich und zeitgenössisch geprägte Verständnis königlicher Regentschaft und Württembergs Weg in die Moderne schon „zu Königs Zeiten“ dargestellt. Zu der Ausstellung erscheint im Jan Thorbecke Verlag ein reich bebilderter Katalog.

Markus Dewald (Hrsg.), Der Festzug der Württemberger von 1841. Ostfildern/Stuttgart 2005. Der aufwendig gestaltete Band präsentiert die beiden Bildzyklen „Der Große Festzug“ und „Der Kleine Festzug“, denen wir die detaillierte Kenntnis der einzelnen Gruppen und Wagen verdanken. Darüber hinaus enthält er ein biographisches Porträt König Wilhelms I. und ergänzende Aufsätze.

Helmut Engisch, Das Königreich Württemberg. Stuttgart 2006.

Sabine Thomsen, Die württembergischen Königinnen. Tübingen 2006.

Sönke Lorenz/Dieter Mertens/Volker Press, Das Haus Württemberg. Ein biographisches Lexikon. Stuttgart 1997.

Internet http://w210.ub.uni-tuebingen.de/dbt/volltexte/2001/215/

http://www.koenigreich-wuerttemberg.de

Uwe A. Oster

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