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Wochen der Entscheidung

Die Juli-Krise 1914

Wochen der Entscheidung
Eine Spirale internationaler Krisen hatte die Atmosphäre in Europa vergiftet, und doch war der Krieg, der 1914 ausbrach, kein unvermeidliches Schicksal. Die Forschung interessiert sich daher neuerdings wieder verstärkt für die teilweise geradezu absurden Entscheidungsprozesse, die unmittelbar in die Katastrophe führten.

Es war ein schöner Sonntag, jener 28. Juni 1914 in Sarajevo. An diesem Tag besuchte der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand in Begleitung seiner Gattin die Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina. Von einem Truppenmanöver kommend, fuhr das Paar im offenen Wagen durch die Stadt. Aber die Stimmung war gedrückt. Seit Wochen hatte Franz Ferdinand der Reise mit Sorge entgegengesehen. Denn die einst osmanische Provinz, die 1878 besetzt und 1908 annektiert worden war, war ein Unruheherd innerhalb der Monarchie. Im serbischen Bevölkerungsteil machte sich ein militan-ter Nationalismus breit, der auch Anschläge und Attentate nicht scheute. Die radikalen Nationalisten wollten den Anschluß an ein Groß-Serbien – eine Losung, die auch unter den Serben jenseits der Grenze populär war. Trotz dieser bedrohlichen Umstände unternahmen die k. u. k. Behörden wenig bis gar nichts, um die Sicherheit des Thronfolgerpaars zu gewährleisten. Der provokante Besuch Sarajevos war bereits im März öffentlich angekündigt worden – ausreichend Zeit also für Fanatiker, eine Aktion vorzubereiten. Die Straßen entlang der Fahrroute waren kaum von Polizei und Militär gesäumt. Die Fahr?zeuge verfügten über minimalen Begleitschutz. So konnte ein Attentäter ungehindert eine Bombe werfen, die zwar ihr eigentliches Ziel verfehlte, aber zwei Offiziere verwundete. Auch dann wurden die Sicherheitsmaßnahmen nicht verschärft. Der junge Student Gavrilo Princip nutzte schließlich die Gelegenheit und erschoß den Thronfolger und seine Gattin. Der Doppelmord von Sarajevo löste in Europa einen Aufschrei der Empörung aus. Es gab Vermutungen, hinter dem Attentat stünden serbische Regierungskreise. Tatsächlich ist inzwischen erwiesen, daß serbische Geheimdienstkreise die Attentäter bewaffnet und auf ihr Opfer angesetzt hatten. Der serbische Ministerpräsident Pasic wußte ebenfalls um die Attentats?pläne, ohne sie zu unter?stützen. Innenpolitisch in Bedrängnis, unternahm er jedoch nichts, um Wien zu warnen. Modern gesprochen handelte es sich also um einen Akt von staatlich gefördertem Terrorismus. So gesehen war die Regierung in Wien völlig im Recht, wenn sie gegen die Urheber des Terrors vorgehen wollte. Doch der Krieg, der einen Monat später ausbrach, war keineswegs ein „Krieg gegen den Terrorismus“. Hier sollten ganz andere Rechnungen beglichen, Machtfragen entschieden und Ängste ausgelebt werden. Das Attentat von Sarajevo war nur der – allerdings unverzichtbare – Auslöser eines Intrigenspiels, das schließlich ganz Europa in Brand setzte. Dabei reichten die tieferen Ursachen des Ersten Weltkriegs zum Teil Jahrzehnte zurück. Imperialistische Rivalitäten, wirtschaftliche Streitigkeiten und das zunehmende Wettrüsten hatten die Atmosphäre in Europa vergiftet. Die Herausbildung gegeneinander gerichteter Allianzen – der „Triple-Entente“ (Frankreich, Rußland, Großbritannien) und des „Dreibunds“ (Deutsches Reich, Österreich-Ungarn, Italien) –, deren Mitglieder noch nicht einmal den eigenen Partnern über den Weg trauten, hatten eine gefährliche Lage entstehen lassen. Aber all diese Faktoren reichen nicht aus, um die Frage zu beantworten, warum es ausgerechnet im Sommer 1914 zum Krieg kam. Die Juli-Krise 1914 ist daher wieder zu einem zentralen Thema der Geschichtswissenschaft geworden. Im Mittelpunkt stehen die Aktivitäten und Handlungsmotive von etwa 50 Männern, deren Entscheidungen die Geschicke von Millionen bestimmten. Ein solcher Zugang bedeutet keineswegs den methodischen Rückzug zu jener Auffassung, wonach „Männer Geschichte machen“. Vielmehr geht es darum zu analysieren, wie vor dem Hintergrund der längerfristigen Tendenzen, Faktoren und äußeren Einflüsse Entscheidungen ganz konkret gefällt wurden. Dann läßt sich auch die Frage nach den persönlichen Verantwortlichkeiten stellen.

Prof. Dr. Stig Förster

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