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Zweifelhafte Verbündete

Maximilian I. und die Schweiz

Zweifelhafte Verbündete
Für die Herrschaft Kaiser Maximilians waren die Konflikte und Kooperationen mit den schweizerischen Eidgenossen entscheidend, handelte es sich bei deren Territorium doch um die Ursprungslande der habsburgischen Dynastie. Noch Maximilian wollte sie wiedergewinnen: Er war der letzte Habsburger, der einen solchen Versuch unternahm.

Über die historischen Verbindungen der Habsburger hinaus betraf Maximilians Verhältnis zu den Eidgenossen deren Mitwirkung an den Institutionen des römisch-deutschen Reiches. Nach den Reformen am Ende des 15. Jahrhunderts forderten diese mehr als jemals zuvor Pflichten von allen Reichsangehörigen ein – was die Schweizer ablehnten, auch wenn sie sich weiterhin als treue Glieder des Reiches und als Verteidiger der deutschen Lande gegenüber den „Welschen“ ansahen. Ein weites Feld für Eroberungen, Bündnisse und Konflikte öffnete sich zudem in Italien: Der französische König, Maximilian und eben auch die Schweiz waren darin engagiert und fochten einen Kampf mit wechselnden Konstellationen aus. Resultat war ein europäisches Mächtesystem, das die Geschichte der frühen Neuzeit prägen sollte.

Wer waren die Schweizer um das Jahr 1500? „Diese Waldmenschen sind nicht Julius, Augustus oder den Kaisern unseres Zeitalters, Friedrich und Maximilian, ähnlich. Sie greifen aus nichtigem Anlaß und aus Zorn sofort zu den Waffen, wenn sich jemand untersteht, das Muhen einer Kuh nachzuahmen …Türken und Böhmen scheinen eine größere Frömmigkeit zu haben als diese Waldmenschen, Rohlinge, Grobiane, Hitzköpfe, Prahler und Kriegstreiber, die von der Wiege an zum Kämpfen erzogen werden, sich an Christenblut weiden und sich an den Zwistigkeiten der Könige bereichern. Sie erweisen keinem Fürsten und keinem Gesetz Ehrerbietung, benützen die Urteilskraft des Verstandes nicht, sondern stürzen sich mit ihrer Wut kopfüber ins Verderben. Vergebens wird ihnen ein Gesetz auferlegt. Ihre Gesetze sind Eigenwille, Gier, Zorn, Angriffslust, Zügellosigkeit und Wut … Die unbarmherzigen Alpenbewohner sind nicht Gottes Ebenbild.“ Dies schrieb der süddeutsche Humanist und Verehrer Kaiser Maximilians, Jakob Wimpfeling, kurz nach 1500. Verunglimpfungen ähnlicher Art wurden in zahlreichen Spottliedern, Flugschriften und Traktaten verbreitet, die von Anhängern Maximilians in Umlauf gesetzt wurden: Die Schweizer galten als Feinde der gottgewollten Ordnung, als Abtrünnige vom Reich, als Verderber des Adels, als stets zu Streit aufgelegte Barbaren, die mit ihren Kühen Sodomie trieben.

Die Vorurteile trafen einen Verband, der in der Außenwahrnehnung als der der „Schweizer“, in der eigenen Wahrnehmung als „Bünde“, „Bund“ oder – erstmals 1370 – als „unser Eydgnosschaft“ Namen und Gestalt erhielt. Auf den Vorwurf, daß die Schweizer – obwohl als Bauern unfähig zur Herrschaft – sich selbst regierten, antworteten diese mit einer Selbstdeutung, die den Bauer als Träger eidgenössischer Tugenden emporhob. Der Vorwurf, Adelsfeinde zu sein, wurde ins Positive gewendet und diente der Konstruktion einer Geschichte, die die Schweizer als Ausnahme darstellte in Gottesfurcht, Freiheitsliebe und Treue zum Reich.

Diese Selbstdeutung beruhte auf Mythen, die die Entstehungsgeschichte der Eidgenossenschaft in ein Legitimität stiftendes ideologisches Muster einpaßten. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts gibt es die ersten Texte, die von Wilhelm Tell, vom Rütlischwur, dem Tyrannenmord und der Zerstörung der Ritterburgen berichteten. Die Sage diente der Selbstvergewisserung des sich langsam herausbildenden Verbandes der schweizerischen Eidgenossenschaft, die aus Städten, Landgemeinden, aber auch Adligen und geistlichen Herrschaften zusammengesetzt war. Die Fiktionalität der Tellsage steht heute nicht mehr in Frage. Fiktional und die tatsächlichen sozialen Grundlagen negierend ist auch die angebliche Adelsfeindschaft, denn die Städte wurden von einer kleinen und höchst exklusiven Gruppe von Stadtadligen regiert. Auch in den Landgemeinden dominierten nicht Großbauern, sondern ebenso Landadlige. Die Schweiz war also viel aristokratischer, als es ihr die Gegner vorwarfen und die Schweizer selbst verkündeten. Dennoch wiesen die Mißdeutungen auf eine Besonderheit hin: Unter Zurückdrängung von Landesherrschaften hatten sich in der Stadt wie auf dem Land politische Organisationsformen durchgesetzt, die auf kollegialen Gemeindeorganen beruhten.

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Konkurrenten der Eidgenossen waren die Habsburger. Deren namengebende Burg südlich des Rheins war zwar schon seit fast 100 Jahren im Besitz der Schweizer, und auch die anderen Stammlande waren in einem langen Prozeß und nach mehreren Schlachten zugunsten der eidgenössischen Orte verloren gegangen. Städte und ländliche Gemeinden hatten seit dem 13. Jahrhundert zunehmend Autonomie erlangt, sie verteidigt und durch Verträge untereinander erweitert. Die Entwicklung verlief im römisch-deutschen Reich ähnlich. Rheinischer Städtebund, Schwäbische Städtebünde, Hanse und andere zeigen, wie Gemeinden Verbände schufen und sich anschickten, auch ihr Umland zu kontrollieren. Nirgends waren sie aber so erfolgreich wie im Gebiet der heutigen Schweiz; und nirgends war die Partizipation von ländlichen Gemeinden (keineswegs Bauernrepubliken, sondern oligarchisch verfaßten Gebilden) so groß…

Prof. Dr. Hans-Joachim Schmidt

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