Vielmehr kann man die aktuellen Erkenntnisse aus Evolutionsbiologie, experimenteller Psychologie und Hirnforschung so zusammenfassen: Aggression ist das Mittel, mit dem Menschen und andere soziale Tiere signalisieren, dass ihre Schmerzgrenze überschritten wurde. Dabei muss es sich nicht um einen körperlichen Schmerz handeln, Ungerechtigkeit und Ausgrenzung werden ähnlich empfunden. Wer aggressiv wird, signalisiert: Bis hierhin und nicht weiter! Erst wenn das Signal nicht verstanden wird oder die Wut zunächst unterdrückt wird und dann den Falschen trifft, ist die Aggression destruktiv. Joachim Bauer bringt es auf den Punkt: Der Aggressionsapparat des Menschen ist ein neurobiologisches Hilfssystem, er steht seiner biologischen Grundkonzeption nach im Dienst des sozialen Zusammenhalts.
Wer Gewalt so begreift, wird sie nicht abschaffen können, aber doch besser verstehen und begrenzen. Das ist die zutiefst humane Botschaft des neuen Buchs von Joachim Bauer. Der Freiburger Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut hat sich zu einem politischen Autor entwickelt, der weit über die Grenzen seiner Fächer hinaus Gehör findet.
Judith Rauch