Mit ihrem Buch stellt die Autorin Astrid Nunn endlich ein Thema in den Mittelpunkt des Interesses, über das es in der Altorientalistik bislang leider entweder nur Detailstudien gab oder das nur am Rand umfassenderer Arbeiten gestreift wurde: Es geht um den Privatmenschen im alten Orient und seinen Alltag.
Wie die Autorin darlegt, war es das anhaltende Interesse ihrer Hörerinnen und Hörer an verschiedenen Instituten, das sie zum Schreiben ermunterte. Dabei ist ihr gelungen, was nur wenige Fachleute schaffen: Sie hat eine solide und informative Einführung verfasst, die sowohl den mit dem alten Orient nicht so vertrauten Laien faszinieren kann als auch – in Anbetracht der großen Bandbreite der behandelten Themenbereiche – für den Fachmann nützlich ist. Eine umfangreiche Literaturliste in den Fußnoten lädt zum eigenständigen Arbeiten ein und macht das Buch überdies zu einem wertvollen Nachschlagewerk, ohne jedoch durch ein Übermaß an Titeln abschreckend zu wirken – was oft in Hinblick auf fachfremde Leser übersehen wird.
Dabei scheut sich die Autorin auch nicht, problematische oder in ihrer Deutung noch strittige Sachverhalte darzustellen. In diesem Fall weist sie zumeist – leider nicht immer – auf den persönlichen Charakter ihrer Interpretation hin. Natürlich bleiben bei einem solchen Buch kleine Mängel nicht aus: Zum einen hätte man sich mehr Abbildungen gewünscht, vor allem dann, wenn die Autorin im Text auf Werke der altorientalischen Kunst verweist, die zwar dem Fachmann vertraut sind, nicht jedoch notwendigerweise dem archäologischen Laien. Wenn etwa Bezug auf den Symbolsockel Tukulti-Ninurtas I. oder auf die Löwen aus Mari genommen wird, mag das noch hingehen; aber nicht jeder wird sich wohl unter „Weißer Ware“ (einem frühen Vorläufer der Keramik) etwas vorstellen können.
Dieser Mangel hat jedoch sicherlich weniger mit der Autorin zu tun als mit den Vorgaben des Verlags, da Abbildungen die Druckkosten bekanntlich sehr in die Höhe treiben. Doch er schmälert ein wenig das große Potential des Buchs als Einführungswerk auch für Fachfremde. Für die Beschreibung alltäglicher Vorgänge hätte ich mir außerdem eine stärkere Einbeziehung literarischer Texte – vor allem auch der in sumerischer Sprache – gewünscht. Doch deren Relevanz als Quelle zum Thema ist zugegebenermaßen strittig und eher Geschmackssache – zumal die Autorin in erster Linie Archäologin ist.
Äußerst gelungen ist dagegen der Aufbau des Werkes, der nach einer Einführung in Geographie und Klima einen Bogen spannt vom Wohnen, von der Bekleidung und Ernährung, der sozialen und religiösen Bedeutung der Tiere über religiöses Denken (das mit Abstand gelungenste Kapitel!), Sozialstruktur, Stellung der Frau und Familienorganisation bis hin zu den Themen Schrift(en), Ausbildung, Berufsleben und Freizeit.
Ein Kapitel über Tagesablauf und Weltbild des altorientalischen Menschen beschließt den Textteil, der durch eine Zeittafel und eine Karte erweitert wird. Insgesamt ist das Buch eine nicht nur nützliche, sondern oft auch spannende Einführung in einen wichtigen Bereich der Altorientalistik.
Rezension: Fritz, Michael