Fällt das Stichwort „Süden“, so werden sofort positive Vorstellungen von Sonne, üppiger Vegetation oder Dolce Vita wach. Was aber ist mit dem „Norden“? Lange war diese Region wenig erforscht, so dass die Phantasie das Wissen ersetzte. Bernd Brunner geht in seinem anregenden und schön bebilderten Buch der „Erfindung des Nordens“ nach und zeigt, wie sich das Bild dieser Region im Lauf der Jahrhunderte wandelte. Grundlage dafür waren zunächst sehr beschwerliche Entdeckungsreisen, bei denen man oft mit dem Schlitten unterwegs sein musste. Bei Begegnungen gab es kulturelle Schranken, wenn etwa die protestantische Bevölkerung in Südnorwegen um 1700 mit Abscheu auf einen Karnevalsumzug reagierte, den Reisende aus dem Süden veranstalteten. Der Norden lockte früh mit ökonomischen Reizen: Tierfelle waren ebenso begehrt wie Walross-Elfenbein, aus dem filigrane Schnitzarbeiten entstanden.
Im 18. Jahrhundert entwickelte sich eine neue Wertschätzung für den Norden, getragen von der Begeisterung für nordische Literatur; man entdeckte die altnordischen Gottheiten, Polarexpeditionen wurden gestartet, und noch im 20. Jahrhundert schwärmte man von der „Natürlichkeit“ des Nordens, die in die fatale Verherrlichung alles Nördlichen und angeblich Germanischen durch die Nazis überging.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger
Bernd Brunner
Die Erfindung des Nordens
Kulturgeschichte einer Himmelsrichtung
Verlag Galiani Berlin, Köln 2019, 318 Seiten, € 24,–