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Bürgertum nach 1945

Hettling, Manfred/Ulrich, Bernd (Hrsg.)

Bürgertum nach 1945

Die Forschungen zum Bürgertum haben sich lange Zeit auf das 18. und 19. Jahrhundert konzentriert, als Grenze galt vielen Spezialisten der Untergang dieser Sozialformation und der von ihr geprägten Kultur der Bürgerlichkeit im Barbarismus des Ersten Weltkriegs. Seit einigen Jahren wird dagegen nicht nur die zähe Beharrungskraft des Bürgerlichen, sondern auch die Fähigkeit zur zeitgemäßen Wandlung nach den beiden Weltkriegen betont.

Der von Manfred Hettling und Bernd Ulrich herausgegebene Sammelband folgt dieser Diskussionsrichtung und erprobt verschiedene Zugänge. Zunächst geht es um individuelle Lebenswege. Bei der Dokumentation eines Gesprächs der Herausgeber mit dem inzwischen verstorbenen Histo-riker Reinhart Koselleck erstaunt allerdings dessen dezidierte Stellungnahme, der „Zerfall des Bürgertums als Sozialformation [habe] ja spätestens im Zuge des Ersten Weltkriegs eingesetzt“, und seine anschließende autobiographische Beschreibung der Selbstverständlichkeit, „wenn man Bildungsbürger war“. Auch das Nachfragen der Interviewer bringt keine Klärung.

Spannend zu lesen sind die Erinnerungen des deutsch-tschechischen „halbjüdischen“ Historikers Bedrich Loewenstein an die Existenz eines tschechischen „Schrumpfbürgertums“ von der Zwischenkriegszeit bis zu den Jahrzehnten im kommunistischen Regime. Hier wie auch in den Erinnerungen von Günter Wirth, eines engagierten Intellektuellen aus dem Umkreis der CDU der DDR, geht es um die Überlebenskraft des Bildungsbürgertums, im letztgenannten Fall auch um die Bedeutung kirchlich-konfessioneller Bindungen unter diktatorischen und explizit antibürgerlichen Rahmenbedingungen. In einem weiteren kundigen Aufsatz (von Thomas Großbölting) wird die Frage nach der „Entbürgerlichung der DDR“ noch einmal aufgegriffen.

Unter der Rubrik „Leitideen“ finden sich zwei sehr gehaltvolle Beiträge über den bedeutenden Nationalökonomen Wilhelm Röpke (von Josef Mooser) und über das Umfeld der kulturpolitischen Zeitschriften „Die Wandlung“ und „Die Sammlung“ (von Kai Arne Linnemann). Hervorzuheben sind informative Fallstudien: zu städtischer Tradition und „bürgerlichem Geist“ in Bremen (Bernd Ulrich), über den „Konsumbürger“ (Michael Wildt), die „ständische Bürgerlichkeit des Bundeswehroffiziers“ (Klaus Naumann) und den Wertewandel im Adel nach dem Zweiten Weltkrieg (Eckart Conze). Die Frage, ob die 68er-Bewegung „antibürgerlich“ war, beantwortet Wolfgang Kraushaar mit einer Skizze zur Binnendifferenzierung der Protestbewegung, die keine simple Zuschreibung erlaube. Insgesamt eröffnet der Band interessante kulturhistorische Zugänge zum Bürgertum und zur Bürgerlichkeit nach 1945, wenngleich einige Kernprobleme fast gänzlich ausgespart bleiben, vor allem der Bezug auf die Forschung über Funktionseliten, etwa Unternehmerkarrieren – hier fällt eine gewisse bildungsbürgerliche Schlagseite auf.

Rezension: Schildt, Axel

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Hettling, Manfred/Ulrich, Bernd (Hrsg.)
Bürgertum nach 1945
Hamburger Edition, Hamburg 2005, 438 Seiten, Buchpreis € 35,00
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