Die Geschichte des Mittelmeeres ist römisch, griechisch-byzantinisch und islamisch geprägt – von drei ganz unterschiedlichen Kulturkreisen, Gesellschaftsformen und Denkweisen. In Süditalien trafen sie aufeinander und beeinflussten sich gegenseitig.
Das opulent und qualitativ hochwertig bebilderte Buch „Byzantinisches Sizilien und Süditalien“ von Adele Cilentogilt den Zeugnissen der byzantinischen Herrschaft, die vom Sieg der Heerführer Justinians über das Ostgotenreich im 6. Jahrhundert bis zu Ankunft und Aufstieg der normannischen Eroberer im 11. Jahrhundert dauerte. Der Akzent liegt auf dem süditalienischen Festland, wo sich die byzantinische Herr‧schaft bis zur normannischen Eroberung von Reggio di Calabria und Bari zuletzt nur noch in Kalabrien und Apulien behaupten konnte, sowie auf Sizilien, das im frühen 9. Jahrhundert von den Arabern und seit 1061 von den Normannen erobert wurde.
Das Buch gibt zunächst einen instruktiven Überblick über die politische Geschichte und verfolgt den seit der justinianischen Rückeroberung Italiens unaufhaltsamen Bedeutungsverlust der byzantinischen Oberhoheit angesichts der Her-ausforderungen durch die langobardischen und fränkischen Eroberungen, aber auch die Versuche, durch Einrichtung der Exarchate (Verwaltungsdistrikte) und der Themenverfassung die notwendigen Konsequenzen aus der militärischen Bedrohung zu ziehen.
Daran schließt ein den Entwicklungen in Gesellschaft, Kunst und Kultur gewidmetes Kapitel an, das die Hinterlassenschaft der multiethnischen und multireligiösen Realität im byzantinisch beherrschten Süditalien anhand ausgewählter Beispiele vorstellt: Man liest von der Seidenproduktion in Kalabrien, dem Nebenein-ander von griechischen und lateinischen Diözesen mit seinen Konsequenzen für die unterschiedlichen liturgischen Gebräuche, der eremitischen Ausrichtung des oströmischen Mönchtums sowie dem byzantinischen Einfluss in Buchma-lerei, Skulptur, Goldschmiedekunst, Stoffherstellung, Fresko, Ikone und Mosaik. Das alles ist eine durchaus ansprechende und umsichtig illustrierte Einführung zu einem in der deutschsprachigen Geschichtsforschung leider vernachlässigten Thema.
Ein drittes Großkapitel gilt dem Nachwirken der byzantinischen Kunst im normanni-schen Sizilien seit dem frühen 12. Jahrhundert und insbesondere seit der Gründung des normannischen Königreichs unter Roger II. Eine Fülle großformatiger Bildtafeln stellen die weltberühmten Mosaiken der Capella Palatina und der Kirche S. Maria dell’Ammiraglio in Palermo sowie der Dome von Cefalù und Monreale vor. Dieser Teil des Buches erscheint indessen weniger gut gelungen, weil er die byzantinische Nachwirkung allein auf die Mosaikkunst beschränkt. So erfährt man nichts vom Schicksal der griechischen Klöster oder von der griechischen Kanzlei der frühen Normannenherrscher, begegnet dafür aber wieder dem alten Märchen von den toleranten Normannenkönigen. Das gerät entschieden zu beliebig und löst das Versprechen, dem Leser die faszinierende Welt des mittelalterlichen Süditalien aufzuschließen, nur zur Hälfte ein.
Alles in allem also ein coffee-table-book, dessen größter Vorzug – neben der opulenten, freilich mit Erläuterung nicht immer großzügigen Bebilderung – im Wunsch besteht, nach der Lektüre möglichst bald nach Süditalien zu reisen.
Rezension: Görich, Knut