Der Bonner Osteuropa-Historiker Dittmar Dahlmann hat es mit seiner Arbeits‧gruppe schon mehrfach verstanden, ältere Texte der Vergessenheit zu entreißen und sie im Grenzbereich zwischen Entdeckungsgeschichte, histo‧rischer Ethnologie und histo‧rischer Geographie – aber immer auch vor dem Hintergrund russischer Herrschaftsgeschichte – zu erschließen. Die Wissenschaftler dokumentieren damit den hohen Stand des Detailwissens, der gerade in der sibirisch-fernöstlichen Peripherie des Russischen Reiches am Ende des 18. Jahrhunderts erreicht worden war.
In die Reihe dieser Entdeckungen gehört das Tagebuch des Arztes Carl Heinrich Merck. Er war an der Expedi-tion beteiligt, die der in russischen Diensten stehende Engländer Joseph Billings und der russische Leutnant Gavriil A. Sarytschew gewissermaßen in Fortführung der zweiten Kamtschatka-Expedition (1733 –1743) zwischen 1787 und 1792 im Ochotskischen Meer und im Nordpazifik unternahmen. Die Reise galt insbesondere der Erkundung der Inselwelt der nördlichen Kurilen und der Aleuten.
Der hier nach dem handschriftlichen Original edierte Text liest sich, weil die Schreibweisen des Originals nicht bereinigt wurden, vordergründig sehr spröde, enthält aber beim genauen Hinschauen ein immenses Informationsmaterial naturkundlicher, ethnologischer und geographischer Art, das weit über die reine Beschreibung des äußeren Ablaufs der Reisen hinausgeht. Erläuterungen in den Fußnoten erschließen weitere Hintergründe und Kontexte.
Die Einführung in die Edition versteht es hervorragend, den Text in den entdeckungsgeschichtlichen Kontext einzuordnen. Bis ins beginnende 19. Jahrhundert hinein (Alex-ander von Humboldts Russland-Reise von 1829) folgte nämlich der ressourcenorientierten Durchdringung Sibiriens eine umfassende wissenschaftliche Erschließung des riesigen Gebietes. Zugleich werden die weit über die russischen Grenzen reichenden wissenschaftlichen Netzwerke aufgezeigt, in die Merck eingebunden war. Aber auch die Bedeutung politischer Konstellationen, vor allem Russlands Interesse an Alaska, wird verständlich. Man möchte diesem Band eine weite Beachtung wünschen.
Rezension: Prof. Dr. Jörg Stadelbauer