Über den Zweiten Weltkrieg gibt es eine unüberschaubare Vielzahl von Publikationen. Einen ungewöhnlichen Blickwinkel nimmt der australische Historiker Nicholas Stargardt, der in Oxford lehrt, ein. Der Autor will „Ängste und Hoffnungen der breiten Gesellschaft aufdecken, um zu verstehen, wie Deutsche diesen Krieg vor sich selbst rechtfertigten“. Er richtet damit sein Augenmerk ganz bewusst auf das subjektive Erleben der Menschen im Krieg, vor allem der Deutschen, aber auch derjenigen in den besetzten Gebieten. Dazu verwendet er sowohl geheime Stimmungsberichte, die für das NS-Regime erstellt worden waren, als auch Selbstzeugnisse, vor allem Briefe und Tagebücher. Stargardt konnte unter anderem Walter Kempowskis berühmtes Archiv nutzen. 16 Personen, unter ihnen Soldaten und Personen an der „Heimatfront“, Christen und Juden, stellt Stargardt in den Mittelpunkt, doch viele andere treten hinzu. Aus ihren Eindrücken und Deutungen, verknüpft mit dem historischen Kontext, entwickelt der Autor ein so engmaschiges wie beklemmendes Geflecht aus ideologischer Verblendung und fortwährender Täuschung, gnädigem Wegsehen und beflissenem Rechtfertigen, hellsichtiger Kritik und nackter Angst. Es kommen kaltblütige Vollstrecker, zweifelnde Mitläufer, selbstgerechte oder bangende Angehörige zu Wort, dazu Verfolgte und Besiegte, Zwangsarbeiter oder KZ-Häftlinge.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger