In fünf Monaten von Berlin nach Paris und wieder zurück, diese Fahrt im Jahr 1928 machte den Droschkenfahrer Gustav Hartmann schon zu seinen Lebzeiten berühmt. In Zeiten der Automobilisierung verließ er sich allein auf sein Pferd Grasmus. Das Presseecho war in beiden Ländern enorm: Am Straßenrand bejubelt, posierten Gustav und Grasmus mit Bierkrug und Fliederschmuck, Honoratioren empfingen sie vor dem Eiffelturm. Als der Kutscher in Paris eintraf, wurde zwar gerade die 50. Tagung des Völkerbundrates in Genf eröffnet, entscheidenden Einfluss auf das deutsch-französische Verhältnis nahm jedoch der „cocher d’honneur“. Das auf der Rückreise in Rüsselsheim entstandene Foto von Gustav und Grasmus am Opel-Fließband nutzte die Autofirma raffiniert als Werbeträger, gleichzeitig wurde Gustav zum prominenten ADAC-Mitglied. Doch wie schaffte der gebürtige Magdeburger den Sprung zum Berliner Original? Der Essayist und emeritierte Germanistikprofessor Gunnar Müller-Waldeck erzählt witzig und pointiert die Geschichte von Gustav Hartmann, dem „Eisernen Gustav“. Anhand einer Fülle von Bildern, Dokumenten und Interviews zeichnet er die Legendenbildung nach und beleuchtet auch die von Hans Fallada 1938 geschaffene literarische Figur des Droschkenkutschers Gustav Hackendahl. Zwar erwähnt der Autor, dass sich die Popularität Gustavs erst in den 50er-Jahren entfaltet hat, weil ihn manche Details – wie etwa die Unterstützung der Fahrt durch den jüdischen Ullstein-Verlag – in der Nazizeit diskreditierten. Leider bleibt diese historische Einbettung der Legende jedoch marginal. Geradezu akribisch versammelt der Autor dagegen alle Anekdoten und Erinnerungsstücke aus dem Umfeld des Kutschers, von der Zeitungsnotiz bis zur Blechplakette. Er lässt die Enkeltöchter Gustavs ebenso zu Wort kommen wie den Bildhauer Gerhard Rommel, Urheber des 2002 von den Berliner Taxifahrern in Berlin-Wannsee errichteten Gustav-Denkmals. Inwiefern das Buch so selbst einen Beitrag zur Legendenbildung geliefert hat, müsste in einigen Jahren geprüft werden.
Rezension: Gnädinger, Constanze
