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Der Nazi und der Psychiater

Jack El-Hai

Der Nazi und der Psychiater

Als nach Ende des Zweiten Weltkriegs die ungeheuren Dimensionen der nationalsozialistischen Verbrechen bekannt wurden, beschäftigte die Öffentlichkeit vor allem eine Frage: Was ging in den Köpfen der Männer vor, die solche Taten zu verantworten hatten?

Dem US-amerikanischen Psychiater Douglas M. Kelley bot sich 1945 die Gelegenheit, dieser Frage nachzugehen: Im Rahmen des ersten Nürnberger Prozesses, bei dem die Alliierten führende Persönlichkeiten des NS-Regimes wie Hermann Göring und Rudolf Heß anklagten, war der Armeepsychiater für die geistige Verfassung dieser Männer zuständig. Was Kelley jedoch in seinen Gesprächen mit den Inhaftierten vorfand, waren entgegen aller Erwartungen keine abnormen „Monster“, sondern mehr oder weniger angepasste Männer mit lediglich kleineren psychischen Auffälligkeiten. Eine Erkenntnis, der sich die Wissenschaft, die die führenden Nationalsozialisten lange als geisteskranke Ausnahmen sehen wollte, mehrheitlich erst Jahrzehnte später anschloss. Den ehrgeizigen und zur Selbstdarstellung neigenden Psychiater ließ die Begegnung mit den NS-Größen auch nach seiner Rückkehr in die USA nicht mehr los: Er stürzte sich in zahlreiche Projekte, bei denen es ihm stets um die Erforschung menschlicher Abgründe und die Suche nach der Wurzel des Bösen im Menschen ging. Am 1. Januar 1958 beging Kelley schließlich vor den Augen seiner Familie Selbstmord, indem er Zyankali einnahm – genau wie Hermann Göring kurz vor seiner Hinrichtung in Nürnberg.

Kelleys Selbstmord bildet auch den Einstieg einer Biografie über die Figur des Psychiaters, die der Wissenschaftsjournalist Jack El-Hai verfasst hat. Basierend auf zum Teil unveröffentlichten historischen Dokumenten sowie Erinnerungen von Zeitgenossen, zeichnet der Autor ein umfassendes Porträt Kelleys. Im Fokus steht insbesondere die Untersuchung der angeklagten Nationalsozialisten in Nürnberg, es behandelt aber auch die Herkunft Kelleys sowie dessen beruflichen Werdegang und Familienleben. Obwohl sich der Autor eng an den historischen Quellen orientiert, ist das Werk dabei vor allem auf eine dramatische Darstellung ausgerichtet. Der auf den ersten Seiten beschriebene Selbstmord, den der Autor als Höhepunkt der ambivalenten Beziehung Kelleys zu den Nürnberger Angeklagten und insbesondere zu Hermann Göring deutet, macht dies bereits zu Beginn deutlich. Dabei überdehnt der Autor den Spannungsbogen doch an einigen Stellen und lässt sich mitunter auch zu wenig überzeugenden Vermutungen über Motive und Einstellungen der handelnden Personen hinreißen.

Dennoch stellt das Buch gerade auch wegen des fesselnden Schreibstils des Autors eine kurzweilige Lektüre dar, bei der der Leser einige faszinierende Einblicke in das Leben Kelleys und vor allem dessen eindrucksvolle Erfahrungen in Nürnberg vor dem allgemeinen zeitlichen Hintergrund erhält.

Rezension: Liza Soutschek

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Jack El-Hai
Der Nazi und der Psychiater
Die Andere Bibliothek, Berlin 2014, 317 Seiten, Buchpreis € 38,00
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